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50 Jahre Freiburger Thesen
Umweltpolitik mit Weitblick

1971 prägte die FDP mit den Freiburger Thesen innovative Ideen für den Klimaschutz: Sie forderte Auflagen und Standards. Damit sollte die deutsche Wirtschaft weltweit Innovationstreiber für Umwelttechnologien werden. Der Ansatz ist so aktuell wie nie.
50 Jahre Freiburger Thesen
50 Jahre Freiburger Thesen © Photo by Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Umweltprobleme wurden in Deutschland erstmals in den Sechzigerjahren umfangreich politisch thematisiert. Die Zunahme industrieller Emissionen in den Nachkriegsjahren hatte den Zustand der Umwelt merklich verschlechtert. Die Belastungen der Luft, der Gewässer, des Grundwassers und der Böden waren für die Menschen unübersehbar. Gegen Ende der Sechzigerjahre führte die sozialliberale Regierung unter Willy Brandt und Walter Scheel die Umweltpolitik ein und brachte eine Reihe an Programmen und Gesetzen auf den Weg, um Umweltprobleme anzugehen. In diese Phase fallen die 1971 verabschiedeten Freiburger Thesen der FDP, die bis 1977 die inhaltliche Programmatik der Partei prägten und einen bemerkenswerten Abschnitt zur Umweltpolitik enthalten. Die Thesen begreifen Sozialpolitik und Umweltpolitik als Freiheitsmoment und zeugen von einer Sensibilisierung der Politik für viele Fragen, die heute noch (oder wieder) hochaktuell sind. Die hohe Bedeutung von Umweltschutz wird dort unmissverständlich zum Ausdruck gebracht („Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen“) und seine Verankerung als Grundrecht in Paragraf 2 des Grundgesetzes gefordert. Eingang in das Grundgesetz fand der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen jedoch erst viel später, im Jahr 1994, als Staatsziel in Paragraf 20a. Spätestens seit dem jüngsten Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist deutlich, dass dies kein stumpfes Schwert ist. Die Thesen beschränkten sich aber keinesfalls auf den Vorschlag einer abstrakten Verankerung des Umweltschutzgedankens, sondern forderten Auflagen, Abgaben, die Einhaltung von Standards und plädierten für die Einordnung von Umweltschädigung als Straftatbestand. Sehr klar betonten sie das Verursacherprinzip und stellten fest, dass „der Vorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit keinesfalls auf Kosten der Unversehrtheit von Mensch und Umwelt geltend gemacht werden“ könne. 

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist deutlich, dass das Staatsziel Klimaschutz kein stumpfes Schwert ist.

Veronika Grimm
Veronika Grimm

Neben der Ausrichtung des realwirtschaftlichen Umfelds auf effektiven Klimaschutz ist ein attraktives Finanzierungsökosystem zu schaffen. Private Investitionen müssen die tragende Säule der Transformation sein. Die Bedeutung der Finanzmärkte für die Technologieführerschaft Europas kann heute nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ob die europäische Technologiekompetenz zu einer starken Position europäischer Firmen auf den Weltmärkten führt, wird davon abhängen, ob genug (Wagnis-)Kapital verfügbar ist, um diese Innovationen auch in Europa auf große Losgrößen zu heben. Das war in den Siebzigerjahren noch nicht im Fokus.

Vertrauen auf eine faire Transformation

„Soziale Gerechtigkeit durch Umweltschutz“ war die Triebfeder der politischen Initiativen der Sechzigerjahre. Dies ist auch in den Freiburger Thesen erkennbar, die sich einem Liberalismus nähern, der im Einklang mit Gemeinschaft, Mitmenschlichkeit und Partizipation in der Demokratie steht. Diese Gedanken sind heute wichtiger denn je. Ohne die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, ohne ein Verständnis, dass unterlassenes Handeln der Menschheit unumkehrbar schadet, ohne begründetes Vertrauen auf eine faire Transformation („Just Transition“) wird die Klimakrise nicht zu meistern sein. Es gilt, sozial Benachteiligte sowie kleine und mittelständische Firmen konsequent zu entlasten, sodass sie bereit und in der Lage sind, ihren Teil zur Transformation beizutragen. Es gilt auch, umweltpolitische Entscheidungen rückgängig zu machen, die in ihrer Zeit stimmig waren, heute aber nicht mehr zielführend sind. Allen voran betrifft das die hohe Belastung der Strompreise durch die EEG-Umlage und die Stromsteuer sowie direkte und indirekte Subventionen fossiler Energien. Sie behindern heute die Nutzung von zunehmend klimaneutralem Strom zur Dekarbonisierung aller Sektoren. Die Freiburger Thesen formulierten es so: „Die Leistungskraft unserer Volkswirtschaft wird aber in Zukunft danach beurteilt werden, ob es gelingt, mit marktgerechten Mitteln umweltfreundliche Verfahren und Produkte durchzusetzen.“ Dieser Gedanke ist heute dringlicher denn je, weil Umwelt- und Klimapolitik weniger gegenwartsbezogen als zukunftsorientiert ist. Werden in der notwendigen Transformation die Belange von Teilen einer Gesellschaft oder künftiger Generationen ausgeschlossen, so ist dies mit freiheitlicher Politik nicht vereinbar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Weckruf, die wegweisenden Gedanken zum Zusammenspiel von Liberalismus, Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit wieder ins Zentrum zu rücken.