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Thailand
Opposition gewinnt Thailand-Wahl haushoch

Pita Limjaroenrat, Vorsitzender der Move Forward Partei, spricht nach den thailändischen Parlamentswahlen im Hauptquartier der Move Forward Party in Bangkok, Thailand, zu den Medien.

Pita Limjaroenrat, Vorsitzender der Move Forward Partei, spricht nach den thailändischen Parlamentswahlen im Hauptquartier der Move Forward Party in Bangkok, Thailand, zu den Medien.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Valeria Mongelli

Laut vorläufigen Angaben der Wahlkommission, deren offizielles Endergebnis noch aussteht, haben in Thailand die beiden größten Oppositionsparteien insgesamt 58 % der Parlamentssitze gewonnen. Sie kündigten eine Regierungskoalition an. Überraschend stärkste Kraft wurde die Move Forward Partei, welche das Land grundlegend verändern möchte. Die Parteien der beiden Generäle, die Thailand seit 2014 regieren, gewannen insgesamt nur 15 % der Sitze. Trotz des klaren Ausgangs bleibt die Regierungsbildung spannend.

Bei einer Wahlbeteiligung von 75 % verlief Thailands Parlamentswahl geordnet und friedlich. Grobe Verstöße oder ernste Unregelmäßigkeiten wurden nicht berichtet. 99 % Prozent der Stimmen sind ausgezählt. Das inoffizielle Wahlergebnis bestätigt Umfragen, die einen Sieg der Opposition vorhergesagt hatten. Doch es gab zwei Überraschungen. Zum einen die Deutlichkeit des Ausgangs: Thailands Wählerinnen und Wähler haben die Generäle, die sich 2014 an die Macht putschten und sich 2019 in einer fragwürdigen Wahl bestätigen ließen, jetzt nicht nur abgewählt, sondern gedemütigt. Die beiden Generäle – einer ist knapp 70, der andere knapp 80 Jahre alt – wurden von Parteien geschlagen, die viele junge Kandidatinnen und Kandidaten aufstellten.

Zum anderen überrascht, dass die dem Ex-Premier Thaksin Shinawatra nahestehenden Pheu Thai Partei nicht stärkste Kraft wurde. Stattdessen gewann die andere große Oppositionspartei, die Move Forward, die meisten Sitze. Ihr Parteichef müsste nun eigentlich Thailands neuer Premierminister werden: der 42 Jahre junge Pita Limjaroenrat. Er hat Harvard- und MIT-Abschlüsse, ist charismatisch und war in Thailand vor vier Jahren von der Wirtschaft in die Politik gewechselt. Pitas Partei steht für einen grundlegenden Wandel des Königreichs Thailand. Unter anderem will Move Forward eine neue Verfassung, die Abschaffung der Wehrpflicht und eine Reform des Artikels 112, der Majestätsbeleidigung unter Gefängnisstrafe stellt. Thailands konservatives Establishment - das derzeit an der Macht ist und, wenn überhaupt, nur höchst ungern abtreten wird - hält die Ankündigungen der Move Forward Partei für radikal und inakzeptabel. Konflikte sind absehbar. Offen ist, welche Gestalt sie annehmen werden. Die Move Forward Partei hieß früher Future Forward, hatte bei der Wahl 2019 recht gut abgeschnitten und war damals aus fadenscheinigen Gründen per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden. Ähnliches ist auch jetzt nicht auszuschließen.

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© FNF

Wahl der Premiers steht noch bevor

Ein wichtiger Test wird die bevorstehende Wahl des neuen Premierministers. Trotz des Sieges vom Sonntag und einer absehbaren Koalition mit absoluter Parlamentsmehrheit ist die Wahl des Move Forward Vorsitzenden Pita Limjaroenrat zum neuen Regierungschef nicht gesichert. Laut Verfassung, die nach dem jüngsten Putsch entstand, wird der Premierminister von einer Nationalversammlung gewählt, in der außer den 500 neu gewählten Parlamentariern auch 250 vom Militär ernannt Senatoren sitzen. Manche sind Militärs oder Polizisten im Ruhestand. Sie stehen vor einer kniffeligen Entscheidung. Die Senatoren können für Pita Limjaroenrat als neuen Premier stimmen, für ihren politischen Gegner, den sie für radikal und gefährlich halten. Oder sie können versuchen, Pita durch Gegenstimmen zu verhindern - was ein Schlag ins Gesicht der Wählerinnen und Wähler wäre. Beide Optionen sind nicht verlockend. Es gibt eine dritte: Stimmenthaltung. „Die meisten Senatoren sind sich einig, dass die Partei, die die Regierung übernimmt, die Haupt-Institution schützen muss“, sagte Senator Wallop Tangkananurak zwei Tage vor der Parlamentswahl der Bangkok Post. Thailands Haupt-Institution ist die Monarchie.

Zu erwarten ist, dass die Parteien, die am Sonntag die Wahl verloren haben, einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Premiers aufstellen werden. Zusammen mit den Stimmen aller Senatoren könnte es für eine Mehrheit in der Nationalversammlung reichen. Allerdings ist kaum vorstellbar, wie so ein Premier, der keine Parlamentsmehrheit hätte, regieren könnte. Die Wahl des neuen Premiers wird für Juli erwartet. Zunächst muss die Wahlkommission die Wahlergebnisse verifizieren und das amtliche Endergebnis bekannt geben. Dazu hat sie sechs Wochen Zeit.

Stimmenauszählung für die Parlamentswahlen

Stimmenauszählung für die Parlamentswahlen

© FNF

270 Euro für alle

Die zweitstärkste Partei der Parlamentswahl vom Sonntag - die Pheu Thai, die mit der Tochter von Ex-Premier Thaksin Shinawatra an der Spitze angetreten war – verpasste zwar den erhofften Sieg, gewann aber fast so viele Sitze wie der künftige Koalitionspartner Move Forward. Entsprechend wird Pheu Thai wichtige Posten besetzen und die künftige Politik mitgestalten. Auch Pheu Thai hat Wahlversprechen gemacht, die es in sich haben. Darunter ist die Zusage, allen Bürgerinnen und Bürgern, die 16 Jahre und älter sind, umgerechnet 270 Euro in ein digitales Portemonnaie zu überweisen. Das Geld muss in einem Umkreis von vier Kilometern vom Wohnsitz ausgegeben werden. Das soll die lokale Wirtschaft ankurbeln. Ob es finanzierbar und technisch machbar ist, ist umstritten.

Der geplanten Koalition von Move Forward und Pheu Thai sollen vier weitere kleinere, bisherige Oppositionsparteien angehören. Das neue Bündnis, das einen Koalitionsvertrag ausarbeiten will, hätte 309 der 500 Parlamentssitze. Für die Wahl von Move Forward Chef Pita Limjaroenrat zum neuen Premier muss die Koalition allerdings zusätzlich 67 der 250 Senatoren auf ihre Seite bringen.

Nicht in der angestrebten Regierung willkommen sind diejenigen, die in den vergangenen Jahren Teil der aktuellen, von Generälen geführten Regierung waren. Damit dürfte eine künftige Regierungsbeteiligung der Bhumjaithai Partei ausgeschlossen sein, die am Sonntag immerhin drittstärkste Kraft geworden war. Ihr Chef ist derzeit Gesundheitsminister und hatte jüngst die Legalisierung von Cannabis durchgesetzt. Ebenfalls im Abseits dürfte die Democrat Partei stehen. Thailands älteste Partei, die früher wiederholt regiert hatte,  gewann nur noch weniger als 5% der Parlamentssitze.

Moritz Kleine-Brockhoff leitet das Regionalbüro Südost- und Ostasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Bangkok, Thailand.