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China Bulletin
Chinas Agrarsektor – landwirtschaftliche Supermacht in der geopolitischen Zeitenwende

China Landwirtschaft
© picture alliance / CFOTO | CFOTO

Die Volksrepublik China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und der größte Nahrungsmittelproduzent, -importeur und -konsument.  China ist auch der größte Verbraucher von Mineraldünger und Pestiziden. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) war China 2021 der größte Erzeuger von Reis, Weizen und Baumwolle der Welt. Bei Mais und Hirse belegte China Platz zwei. China ist der größte Erzeuger von Schweinfleisch und der zweitgrößte bei Hühnerfleisch. Bei vielen Obst- und Gemüsesorten liegt China auf dem ersten Platz. Nur bei Sojabohnen belegt das Land Rang vier.

Auf 9% der weltweit verfügbaren Ackerkfläche und mit 6% der Wasservorkommen ernährt China 18% der Weltbevölkerung. China produziert genügend Grundnahrungsmittel, um seine 1,4 Milliarden Menschen zu ernähren. Zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Was ist das Geheimnis einer Agrarpolitik, die das geschafft hat?

Ernährungssicherheit ist eine politische Priorität

Dazu muss man kurz in die Geschichte des Landes einsteigen. Der „große Sprung nach vorn“, also die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Industrialisierung der ländlichen Regionen unter Mao Zedong, hatte 1958 -61 zu einer der größten Hungerkatastrophen der Menscheitsgeschichte geführt. Schätzungen gehen von 15 bis 55 Millionen Toten aus. Erst die Aufteilung der Volkskommunen und die Rückkehr zur individuellen Landbewirtschaftung nach Maos Tod, verbunden mit der Zulassung von Märkten und der Aufhebung der Schollenbindung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, machten den Weg frei für das chinesische Wirtschaftswunder.

historische Landwirtschaft
© By Thomas Fisher Rare Book Library - https://www.flickr.com/photos/thomasfisherlibrary/8161070075/in/photolist-draBNK-8Z83x4-nfmxAM-kGuc9F-kGucja-kGuc64-bEBR6v-9MT8tT-jTKn88-kGucsB-dnWGKc-kGuJNF-n2f8eT-kGvwp1-kGudeB-kGuceR-kGwhEL-4Ayp5i-draMYs-4ACFCJ-draMSY-kGuJpV-kGucwp-kGuc4F-kGucSV-n2j1aU-kGwgUs-kGuK5x-kGuHXn-4AynAe-7yRvZ7-kGuKh6-kGudyz-9fBvdH-bEBQYe-kGuc3D-4zxpC8-9MUKJZ-kGwh1j-7fNeiQ-aabMhb-asWYaK-kGucy8-kGuJMi-4ACDpq-n2ieTh-4ACDCh-kGtYbK-7yMJPB-4ACwim, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53190190

Historisch betrachtet begannen alle Revolutionen in China auf dem Land.  Angesichts dieser Erfahrung ist es leicht verständlich, dass die Themen Nahrungsmittelversorgung und Ernährungssicherheit ganz oben auf der Agenda der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) stehen. Diese Fixierung wurde in den letzten Jahren noch durch die Sanktionspolitik der USA, die COVID-Pandemie und den Überfall Russlands auf die Ukraine verstärkt. Letzterer führte der chinesischen Regierung die Abhängigkeiten und die Fragilität der Lieferketten für Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Rohstoffe vor Augen.

Traditionell befasst sich das erste Arbeitsdokument des Zentralkomittees der KPCh mit dem Thema Landwirtschaft. 2021 stand die Sicherstellung der Getreideproduktion im Vordergrund. Die Festlegung der Ackerfläche auf ein Minimum von 120 Millionen Quadratkilometern, die Festsetzung von Mindestpreisen für Reis und Weizen sowie die Subventionierung für Mais und Soja waren Bestandteile des Dokuments. 2023 widmete sich das „Dokument Nr. 1“ der Ernährungssicherheit. Darin wurden auch neue Regelungen zur Wiederherstellung von Ackerland zur Sicherstellung der Getreideproduktion angekündigt. Die in 2022 erstmals seit fünf Jahren gesunkene Sommergetreideproduktion mag dabei eine Rolle gespielt haben. Dass sich die agrarpolitischen Vorstellungen der KPCh an den realen Herausforderungen orientieren, wurde 2023 durch die extremen Wetterlagen belegt. Erst litten weite Teile Chinas unter extremer Trockenheit, später überfluteten gewaltige Überschwemmungen das Land.

Klima- und Demografischer Wandel gefährden die Versorgungssicherheit

Jüngere wissenschaftliche Forschungsergebnisse bescheinigen China ein hohes Maß an Versorgungssicherheit. Allerdings steht die chinesische Agrarpolitik auch vor großen Herausforderungen. Da wären zunächst die strukturellen und wirtschaftlichen Probleme. Der Bauernstand ist überaltert – mehr als 50% der Landwirte sind älter als 55 Jahre – und schlecht ausgebildet: Viele Bauern haben lediglich eine Grundschulausbildung. In vielen Teilen des Landes besteht die Landbevölkerung aus Alten und Kindern, während die beruflich aktiven Altersgruppen sich als Wanderarbeiter verdingen und in die Industriezentren abgewandert sind. Die älteren Menschen auf dem Land können nur sehr begrenzt auf staatliche Sozialleistungen wie eine adäquate Kranken- und Altersversorgung, zurückgreifen. Die 200 Millionen landwirtschaftlichen Haushalte erwirtschaften nur etwa 9% des Volkseinkommens. Das Pro-Kopf Einkommen betrug 2022  mit 17.700 RMB nur etwa 40%  des Einkommens städtischer Haushalte von 45.000 RMB. Dieses Einkommensgefälle sorgt auch dafür, dass die jungen Menschen die ländlichen Gebiete und die Landwirtschaft verlassen. Wanderarbeiter verdienen fast so viel wie städtische Arbeitskräfte.Sie haben allerdings nicht den gleichen Zugang zu sozialen Dienstleistungen.

Die durchschnittliche Betriebsgröße ist klein und die Flächenausstattung gering, was besonders für die Getreideproduktion eine große Herausforderung darstellt. Pro Flächeneinheit verbrauchen chinesische Landwirte drei Mal so viel Mineraldünger und fünf Mal mehr Pestizide als ihre westlichen Kollegen. Mit besserer Ausbildung und Beratung könnte diese Menge reduziert werden. Dieser hohe Verbrauch steigert die Produktionskosten und hat verheerende Folgen für die Umwelt: Böden und Grundwasser werden so vergiftet. Durch den Klimawandel häufen sich auch in China extreme Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen. Die gestiegene Intensität dieser Ereignisse führt oft zu Katastrophen erheblichen Umfanges unter denen besonders die landwirtschaftliche Produktion leidet. Dies stellt die Nahrungsmittelsicherheit vor neue Herausforderungen. Durch die Störung der nationalen und internationalen Lieferketten, sind besonders Änderungen in der Lager- und Vorratshaltung notwendig, die wiederum  die Nahrungsmittelpreise erhöhen.  

Alte Konzepte lösen keine neuen Probleme

China möchte nicht nur die USA als Supermacht ablösen, sondern selbst eine „landwirtschaftliche Supermacht“ werden. Dazu setzt das Land seine eignene Ressourcen geschickt ein. So hat China beispielsweise seit 2021 den Phosphatdüngerexport beschränkt, und dadurch zu Preisteigerungen auf dem Weltmarkt beigetragen. Die derzeitige geopolitische Polarisierung nutzt die Volksrepublik geschickt für ihre Großmachtinteressen: Die Einfuhr von Getreide aus Russland ist seit Kriegsbeginn um mehr als 40% gestiegen. Die KPCh will einseitige Abhängigkeiten durch eine Diversifizierung der Lieferketten und Handelspartner vermeiden. Die Sicherung der eigenen Lebensmittelversorgung steht dabei immer im Mittelpunkt.

Für alle genannten Probleme gibt es entsprechende Reformvorschläge. Aber die KPCh tut sich derzeit schwer, diese anzupacken. Das hat teilweise damit zu tun, dass sie Grundprinzipien wie die Bodeneigentumsverfassung betreffen würden: Die KPCh ist nicht bereit, den Landwirten private Eigentumsrechte an Grund und Boden zuzugestehen. Teilweise erfordert die Suche nach Kompromisslösungen aber auch komplexe und komplizierte Verhandlungen mit den politischen Akteuren der verschiedenen Ebenen und Regionen. Denn obwohl die Volksrepublik ein zentralistisch organisierter Einparteienstaat ist, müssen die Untergliederungen gehört und eingebunden werden, damit tragfähige Politikkonzepte auch umgesetzt werden können. Xi Jingpings Agrarpolitik setzt wieder vermehrt auf staatliche Verbote und Kontrollen. Gleichzeitig werden aber kaum marktwirtschaftliche Anreize geschaffen, die unternehmerisches Handeln belohnen würden. Die Zukunft der chinesischen Landwirtschaft wird aber entscheidend von Innovationen und technologischen Lösungen geprägt sein, die nur durch Wettbewerb und funktionierende Märkte erreicht werden können.

Dr. Rainer Adam studierte  Agrarökonomie an der Universität Bonn. Er hat von 1991 bis 1996 das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beijing, China geleitet. Von 2008 bis 2014 war er für die Region Südost- und Ostasien (und damit auch für die Beobachtung von China) für die Stiftung in Bangkok verantwortlich. Seine Dissertation beschäftigte sich mit der landwirtschaftlichen Betriebsgrößenproblematik der taiwanesischen Landwirtschaft.

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