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Wahlen in Bulgarien
Und täglich grüßt das Murmeltier

Kiril Petkov

Der ehemalige Ministerpräsidenten Kiril Petkov

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Valentina Petrova

Wahlen in Bulgarien – ein Déjà vu

Aufmerksame Leser werden denken: „Wahlen in Bulgarien? Schon wieder?“ In der Tat: Bulgariens Politik steckt seit dem Protestsommer von 2020 in einer endlosen Krisenschleife. Damals musste Langzeitministerpräsident Borissov nach wochenlangen Protesten, die das Land quasi lahmlegten, sein Amt niederlegen und Platz machen für Neuwahlen. Ein Großteil der Bevölkerung hatte damals das nebulöse Geflecht von korruptiver Politik, Mafia, Justiz und Medien satt, das sich das Land seit 1990 zur Beute gemacht hatte. Die Bulgaren wollten ihre alte Führungsclique ein für alle Mal loswerden und einen Neustart hinlegen. Das Land sollte knapp dreißig Jahre nach der Wende endlich in Europa ankommen, alles sollte besser werden. Es lag ein Hauch von Revolution in der Luft.

Bulgarien auf dem schleichenden Weg zur Präsidialdemokratie

Doch zwei Jahre und vier Wahlen später ist von dieser Wechselstimmung wenig übrig geblieben – bei den letzten Wahlen im Oktober des vergangenen Jahres lag die Wahlbeteiligung bei gerade einmal 39 %. Dies war der niedrigste Wert seit der Wende im Juni 1990. Abgesehen von einem kurzen Intermezzo von nur acht Monaten wird Bulgarien seitdem von sich abwechselnden Interimsregierungen mehr verwaltet als regiert, und das Land hat mit leisen Schritten den Wechsel zu einem inoffiziellen Präsidialsystem vollzogen – Präsident Radev ist angesichts des politischen Vakuums der neue starke Mann. Der eigentlich qua Amt zu politischer Neutralität verpflichtete Radev hat die Gunst der Stunde genutzt und sich in den vergangenen zwei Jahren stärker politisch profiliert als sein es Amt der Verfassung nach zulässt. „Ausschließeritis“, politische Unreife, verhärtete Fronten und offene Rechnungen aus der Vergangenheit haben Kompromisse zwischen den politischen Akteuren bislang unmöglich gemacht. Dabei warten auf das Land wichtige Aufgaben wie der Beitritt zur Schengen- und Euro-Zone, längst überfällige Reformen in der Justiz sowie in der Bildung, die Bekämpfung der hohen Inflation sowie die Neuaufstellung der gesamten Wirtschaft nach den Vorgaben des EU-Green Deals, um nur einige wenige zu benennen.

Doch für all diese Mammutprojekte bedarf es einer progressiven Reformerregierung, die auch den Mut aufbringt, diese undankbaren Aufgaben anzugehen – und einer Mehrheit im Parlament. Auch die russischen Unterwanderungsversuche dürfen nicht vergessen werden – Bulgarien hat historisch und traditionell eine enge Beziehung zu Moskau, und obwohl mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung die imperialistische Politik Russlands ablehnt, gibt es weiterhin einen nicht zu unterschätzenden Anteil in der Bevölkerung, der für russische Flötentöne empfänglich ist.

Reformparteien bilden gemeinsame Wahlallianz und wollen stärkste Kraft werden

Um endlich Bewegung in die verhärteten Fronten zu bringen, haben sich nun die liberal-progressiven Kräfte Wir setzen den Wandel fort (PP) des ehemaligen Ministerpräsidenten Kiril Petkov und Demokratisches Bulgarien (DB) unter der Führung von Hristo Ivanov zu einer Wahlallianz zusammengefunden. So soll die konservative GERB von Borissov als stärkste politische Kraft abgelöst und so womöglich für eine noch unklare Form der politischen Zusammenarbeit gewonnen werden. Um ihrer Wahlallianz mehr gesellschaftlichen Rückhalt zu beschaffen, haben die beiden Parteien auch eine zivilgesellschaftliche Plattform mitbegründet, die dabei unterstützen soll, die Herausforderungen des Landes zu identifizieren.

Petkovs PP und Ivanovs DB hatten bereits im vergangenen Jahr in einer Vierer-Koalition für einen Zeitraum von acht Monaten das Land recht erfolgreich zusammen regiert, wichtige Reformen zumindest auf den Weg gebracht und die Unterstützung der Ukraine gegen den Widerstand aus dem Präsidialamt zur Chefsache erklärt, bevor ihre Regierung jedoch durch einen fragwürdigen Misstrauensantrag im Parlament zu Fall gebracht worden war. Neben PP und DB waren die Sozialisten der BSP und die populistische ITN des Alt-Schlagersängers Trifonov Teil der Koalition – mit über 24% war ITN bei den Wahlen im Juli 2021 noch stärkste Kraft, heute rangiert sie nur noch unter „ferner liefen“. Auch die ehemalige Staatspartei BSP kann die extremen Fliehkräfte innerhalb ihrer Wählerschaft nicht mehr aufhalten und ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.  

Ist ein Ende der politischen Krise möglich?

Die Lösung des gordischen Knotens liegt eigentlich in der Führungsriege der GERB – Petkov und Ivanov haben in der Vergangenheit immer wieder angedeutet, dass eine Kooperation mit GERB nicht ausgeschlossen sei, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sich die Partei unwiderruflich von ihrem Übervater Borissov löst. Der ehemalige Langzeitministerpräsident ist für viele Bulgaren ein Auslaufmodell und die Personifizierung der korrupten Komplizenschaft zwischen Politik, Mafia, Justiz und Medien – erinnert sei an die etlichen unfertigen Autobahnen im Land. Eine Zusammenarbeit mit GERB unter seiner Führung käme für die Reformparteien einem politischen Suizid gleich.

Das Problem: Eine Abkehr von Borisov wäre für GERB zwar eine Gelegenheit für einen politischen Häutungsprozess, will sie der politischen Landschaft Bulgariens als demokratisch-konservative Kraft erhalten bleiben. Ob aber jemand in der Partei den Mut aufbringen kann, Borissov in Frage zu stellen – bislang eine Blasphemie und damit unmöglich – bleibt fraglich.

Eine Kooperation von PP-DB mit GERB ohne Borisov wäre gleichwohl keine Koalition der Herzen, sondern würde zumindest bei den Reformern größte Überwindung und hohe politische Risikobereitschaft erfordern. Dafür würde im Gegenzug zumindest die Aussicht auf eine stabile Regierung unter der Führung der Reformer winken. Es gibt aber natürlich auch immer die Möglichkeit eines Weiterso, also weitere Wahlen in naher Zukunft oder einer Koalition der reaktionären Kräfte – GERB unter Borissov zusammen mit der DPS, dem selbst ernannten Schutzpatron der türkischen Minderheit, und den Rechtsextremen von Vazrazhdane.

Aret Demirci ist Projektassistent im Regionalbüro Südost- und Osteuropa.

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