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Nachruf
Kissinger: Ein großer Stratege und ein großer Freund Deutschlands

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger (L) und der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger (L) und der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher

© picture-alliance / dpa | Armin_Weigel

Henry Kissinger hat in diesem Jahr dem Economist ein immerhin achtstündiges Interview zur aktuellen Weltlage gegeben. Auch im Alter von 100 Jahren machte er weltweit Schlagzeilen mit seinen Warnungen vor einem Weltkrieg und zeigte zugleich Wege auf, um Eskalationen zu vermeiden.  Dabei brauchte es dieses Interview nicht, um ein Vermächtnis seines außenpolitischen Schaffens zu hinterlassen. Er schrieb umfassende und tiefgründige Werke mit Titeln wie "Diplomacy" oder "World Order ".

Henry Kissinger hatte schon immer etwas zu sagen, und meist viel davon. Seine Abschlussarbeit in Harvard umfasste 383 Seiten. Solchen ausufernden Werken schob Harvard dann einen Riegel vor, indem eine Seitenbegrenzung für Abschlussarbeiten eingeführt wurde.  Die wurde in Harvard dann „Kissinger Rule“ genannt.

Seine scharfsinnigen geostrategischen Analysen gründeten in einem tiefen Wissen über europäische Geschichte. Als er schließlich im angestrebten Amt als Außenminister angekommen war, konnte er aus seinen geostrategischen Analysen auch sein immer konsequentes, manchmal umstrittenes politisches Handeln ableiten. Von 1969 bis 1975 war er Sicherheitsberater und von 1973 bis 1977 Außenminister der Präsidenten Nixon und Ford.  Als wichtigste Errungenschaften seiner Amtszeit werden die Öffnung für China (zu Lasten von Taiwan) und die Friedensverhandlungen mit Vietnam bewertet. Für letzteres bekam er sogar den Friedensnobelpreis, den sein vietnamesischer Verhandlungspartner für sich ablehnte.

Auch nach dem politischen Amt wurde sein Rat gehört und von US-Präsidenten und internationalen Politikern in Anspruch genommen.  Seine überragende Reputation als intellektueller Geopolitiker und Autor von außenpolitischen Werken adelte auch den zu beratenden Amtsträger. Selbst Donald Trump wollte und bekam sein Foto mit Henry Kissinger.

Der Machtpolitiker

Anders als viele andere akademische Lehrer scheiterte Henry Kissinger nicht im politischen System. Im Gegenteil: Er war wohl der machtvollste US-Außenminister des 20. Jahrhunderts. So hatte er über mehrere Jahre gleichzeitig noch das Amt des Sicherheitsberaters inne. Er wollte Macht. Noch in seinem diesjährigen Interview im Economist erwähnte er, dass es drei Außenminister in der US-Geschichte gegeben habe, die Präsident geworden seien. Hier zeigte sich sein andauernder Schmerz darüber, dass ihm die US-Verfassung wegen seiner Geburt außerhalb der USA den Weg ins höchste Amt versperrte. In Veranstaltungen fügte er dann aber altersmilde hinzu: Er wäre wohl auch nicht zum Präsidenten gewählt worden. Damit spielt er darauf an, dass sein Vermächtnis als Außenminister umstritten ist, meist mit Attributen von realpolitisch bis machiavellistisch versehen.

Dr. Otto Graf Lambsdorff, links, spricht mit US-Außenminister Henry Kissinger im Außenministerium in Washington

Dr. Otto Graf Lambsdorff, links, spricht mit US-Außenminister Henry Kissinger im Außenministerium in Washington

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | John Duricka

Ein Freund Deutschlands

Dass Henry Kissinger immer wieder Deutschland besuchte, muss man als großes Zeichen der Versöhnung bewerten. 1938 war er mit seiner Familie wegen der Judenverfolgung in die USA ausgewandert. Er blieb Deutschland und seiner Heimat Fürth sowie als Mitglied dem Fußballverein Greuther Fürth verbunden. Sein starker fränkischer Akzent wurde in den USA gern als deutscher Akzent bezeichnet.

Politisch war diese Verbundenheit ausgesprochen wichtig für Deutschland. Hans-Dietrich Genscher und Henry Kissinger bezeichneten sich als Freunde. Beide besuchten sich in ihren Privathäusern. Kissinger erzählte gern, dass Genscher jedem Außenminister, den er traf, das Versprechen abgerungen habe, Genschers Heimatstadt Halle zu besuchen. In Zeiten der deutschen Teilung eine schwierige Herausforderung. Aber so hielt Genscher das Thema der deutschen Teilung auf der internationalen Tagesordnung. Über seine Amtszeit hinaus pflegte Henry Kissinger einen intensiven transatlantischen Austausch. Einer seiner langjährigen und regelmäßigen Gesprächspartner schon seit den siebziger Jahren war Otto Graf Lambsdorff.

Mit dem Tod von Henry Kissinger verlieren die USA  eine große Persönlichkeit und Deutschland einen großen Freund.