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Slowakei
Queer sein in der Slowakei? Ein Albtraum

LGBTQ Kundgebung nach Mord in Bratislava
© picture alliance/dpa/CTK | Michaela Rihova

Slowakische Queere genießen fast keine Rechte. In dem immer noch streng katholisch geprägten Land gibt es keine anerkannten Partnerschaften für gleichgeschlechtlich orientierte Menschen. Im Gegenteil, die Ehe ist als einzigartige Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankert. Knapp 63 % der Slowaken sind derzeit gegen eine Ausweitung der Rechte für die LGBTQI+-Gemeinschaft, und die Slowakei belegt nun schon für mehrere Jahre in Folge den letzten Platz in verschiedenen europäischen Ranglisten der LGBT-Akzeptanz. Die Anti-LGBT- und Anti-Gender-Narrative slowakischer Spitzenpolitiker und der katholischen Kirche, die auch heute noch einen großen Einfluss im Lande genießt, tragen dazu bei.

Wie „Anti-LGBT“ zur „Mode“ geworden ist

Die Slowakische Republik, die erst 1993 nach der Teilung der Tschechoslowakei als unabhängiger demokratischer Staat entstand, war lange Zeit vor allem mit den Aufgaben der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Transformation beschäftigt, die auch nach dem EU-Beitritt im Jahr 2004 weiter andauerten. Während zu dieser Zeit in vielen nordeuropäischen Ländern bereits erste Gleichstellungsmaßnahmen für die queere Gemeinschaft ergriffen wurden, wurde dieses Thema in der slowakischen Politik immer wieder in den Hintergrund gedrängt.

Die ersten Schritte zur Gleichstellung der queeren Gemeinschaft wurden erst 2012 unternommen, als der Nationalrat über den Gesetzesentwurf zu registrierten Partnerschaften abstimmte, der von Abgeordneten der rechtsliberalen Bewegung Sloboda a Solidarita (SASKA) (deutsch: „Freiheit und Solidarität“) vorgelegt worden war. Der Gesetzentwurf erhielt jedoch wenig Unterstützung und wurde nicht angenommen. 2013 nahm erstmals der Ausschuss für LGBT-Rechte im Regierungsrat für Menschenrechte – einem Beratungsgremium für die Regierung zum Schutz der Rechte von Minderheiten, zur Förderung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der Chancengleichheit und der Gleichstellung der Geschlechter – seine Arbeit auf.  Die Reaktion aus konservativen, katholischen Kreisen ließ nicht lange auf sich warten. Noch im selben Jahr wurde die ultrakonservative NGO "Allianz für die Familie" gegründet und begann, ein Referendum über LGBTQI+ Rechte zu organisieren. Parallel dazu wurde im Juni 2014 nach einer Einigung zwischen den Parteien SMER-SD („Richtung-Sozialdemokratie“) und KDH („Christdemokratische Bewegung“) ein Verfassungsgesetz verabschiedet, das die Ehe als einzigartige Verbindung zwischen Mann und Frau definiert. Für diesen Gesetzentwurf stimmten damals auch die Abgeordneten von Oľano („Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten“), der Regierungspartei von 2020 bis 2023. Dies reichte der „Allianz für die Familie“ jedoch nicht aus, und das von ihr initiierte Referendum zur Ablehnung der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen, wurde schließlich im Februar 2015 abgehalten. Aufgrund einer sehr geringen Wahlbeteiligung wurde es jedoch für ungültig erklärt.

Nach den Parlamentswahlen 2016 zogen mehrere ultrakonservative Katholiken als Kandidaten der rechtskonservativen Oľano und der rechtsextremen ĽSNS („Volkspartei Unsere Slowakei“) ins Parlament ein, die wiederholt versuchten, eine fundamentalistische Agenda in die slowakische Gesetzgebung einzubringen und mit Rhetorik gegen die LGBTQI+ Gemeinschaft aufzufallen. Zu dieser Zeit befand sich der Populismus in Europa bereits auf dem Vormarsch, dem nun auch die LGBTQI+ Community zum Opfer fiel. Anti-LGBT- und Anti-Gender-Bigotterie hielten nun auch verstärkt in der Slowakei Einzug. In dieser Zeit wurde die LGBTQI+-Gemeinschaft zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema und Gegenstand von Wahlkämpfen im Lande.

Die aktuelle Situation

Heutzutage ist die Lage queerer Menschen in der Slowakei so schlecht wie nie. Da Partnerschaften nicht gesetzlich geregelt sind, gelten LGBTQI+ Personen rechtlich nicht als ihrem Partner nahestehend und können zum Beispiel keine Informationen über ihre Gesundheit einholen, nicht erben, geschweige denn Kinder adoptieren. Im Jahr 2019 plante der SMER-SD-Chef und damalige Ministerpräsident Robert Fico sogar, eine Verfassungsänderung vorzuschlagen, die die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare verbieten würde. Die slowakischen Behörden erkennen auch im Ausland geschlossene Ehen nicht an. Im Falle einer Geschlechtsumwandlung werden Trans-Personen zur Scheidung gezwungen. Gesetzliche und medizinische Geschlechtsumwandlungen sind in der Slowakei zwar legal, aber nur unter der Bedingung der Kastration, d.h. des Verlusts der Reproduktionsfähigkeit. Erst kürzlich, im März 2023, wurde ein von einer Abgeordneten der Oľano-Fraktion eingebrachter Gesetzentwurf über das Verbot der rechtlichen Transsexualisierung in die zweite Lesung geschickt.  

Für die zunehmende Verschlechterung der Lage gibt es mehrere Gründe. Die Slowakei ist historisch stark von der katholischen Kirche geprägt. Die Geschichte des slowakischen Staates ist eng mit dem Katholizismus verbunden, die Priester und „Slawenapostel“ Kyrill und Method werden als Väter der Nation und Heimat wahrgenommen. Die Kirche und ihre Vertreter nahmen stets einen wichtigen Platz in der Gesellschaft ein und genießen Respekt, wobei viele Priester auch hohe politische Ämter bekleideten. Obwohl heutzutage nicht alle Slowaken katholisch sind und ihren Glauben aktiv praktizieren, dominiert die katholische, konservative Lebensweise und Weltanschauung die Gesellschaft. Die Kirche in der Slowakei hat zwar keine verfassungsmäßigen Befugnisse, nimmt aber in der Praxis oft Einfluss auf die öffentliche Meinung, vor allem durch Priester, die sich aktiv in der Politik engagieren oder in den Kirchen während der Gottesdienste ihre Meinung zu aktuellen politischen Ereignissen vor der Gemeinde kundtun. Sogenannte Hirtenbriefe, Schreiben eines Bischofs an die Gläubigen seines Bistums, tun ihr Übriges. Interessanterweise werden in der Slowakei die Ansichten der Kirche in der Politik nicht nur von rein christlichen Bewegungen berücksichtigt und vertreten, sondern auch von konservativen Parteien auf der rechten und auch auf der linken Seite, die sich nicht primär als christlich bezeichnen. Wenn es um LGBTQI+ Rechte geht, sprechen sogar die linken prorussischen Politiker von SMER-SD über christliche Kultur, traditionelle Familienbilder und eine Bedrohung für Kinder.

Auch die „Allianz für die Familie“ ist weiterhin aktiv und erfreut sich in konservativen Kreisen großer Beliebtheit. Jedes Jahr organisiert die Allianz parallel zur Bratislava Pride ihren eigenen Marsch für Familien, der den Kampf für den Erhalt der traditionellen Familien und gegen die Rechte der LGBT-Gemeinschaft darstellen soll. Viele Vertreter konservativer politischer Parteien nehmen daran teil. Darüber hinaus kämpft die Allianz gegen Abtreibung und die Möglichkeit der Geschlechtsumwandlung.

Eskalation und unsichere Zukunft

Besonders in den letzten zwei Wahlperioden wurde LGBTQ+ zu einem der größten Wahlkampfthemen. Populisten nutzten die traditionell konservative Weltanschauung der slowakischen Gesellschaft aus, um Angst und Hass gegenüber queeren Menschen zu wecken und zu verbreiten. Dass dies tatsächlich auf die Gesellschaft wirkt, zeigt sich in teilweise absurden Alltagssituationen. So spielte beispielsweise ein Kindergarten eine Aufführung zum Thema "Der wandernde Wassertropfen", in dem nach einem Regen ein Regenbogen am Himmel erscheint. Einige Eltern, sahen den Regenbogen jedoch als Symbol der LGBTQI+-Gemeinschaft und protestierten dagegen. Das Theaterstück wurde zur gesamtgesellschaftlichen Affäre und die Eltern wurden von einem agressiven Internet-Mob unterstützt. Der Kindergarten wurde gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen.  

Auch im aktuell laufenden Wahlkampf findet man Sprüche und Plakate, die versprechen, die Slowakei vor LGBT- und Gender-Ideologie zu schützen. Die Hassreden der Spitzenpolitiker haben tragische Folgen. Statistiken zeigen, dass die Gesellschaft unter diesem Einfluss homophober und extremer wurde. Laut der neusten GLOBSEC-Studie von März 2023 wünscht sich die Mehrheit der Slowaken, genauer 63%, keine Gleichberechtigung für queere Menschen. Zum Vergleich: In Polen sind es 38%, in Ungarn 37%.  Eine weitere Konsequenz sind die ständig zunehmenden Attacken und Ausschreitungen gegen queere Menschen. Ein trauriger Höhepunkt war der brutal geplante Mord an einem homosexuellen Paar vor einer Gay-Bar in Bratislava im Oktober 2022. Der 19-jährige Täter schrieb auf Twitter unmittelbar nach der Tat und bevor er sich selbst umbrachte, dass er aus Hass zu LGBTQI+  Menschen handelte und nichts bereue.

Dieses Ereignis erschütterte viele Menschen in der Slowakei und Europa. Das Europäische Parlament appellierte an die slowakische Regierung, die Situation der LGBTQI+ Gemeinschaft zu verbessern. Nach dieser Tragödie kam es aber stattdessen zu weiteren Ausschreitungen gegen queere Menschen. Die Regierung unternahm seitdem keine großen Schritte und viele Politiker setzen ihre homophoben Narrative fort. Die Partei, die seit ihrer Gründung am aktivsten für die Rechte der LGBTQI+ Gemeinschaft kämpft, ist die liberale Progresívne Slovensko („Progressive Slowakei“). LGBTQI+-Rechte sind ein Kernthema ihrer Agenda, auch in diesem Wahlkampf. Dies wird ihr allerdings von den konservativen Parteien vorgeworfen und stellt bei den konservativen Wählern einen Nachteil dar. Laut neuesten Wahlumfragen befindet sich die Progressive Slowakei derzeit auf dem zweiten Platz und die Zustimmung zur Partei wächst. Den ersten Platz nimmt aber immer noch die populistische und prorussische SMER-SD-Partei ein. Eine Koalition der beiden Parteien ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

Die Zukunft der LGBTQI+ Menschen ist also unsicher. Sicher ist, dass queere Menschen in der Slowakei kein vollwertiges Leben führen können, sondern in Angst leben müssen. Diese entscheidende Frage der Zukunft war auch das Motto eines von den lokalen Pride Festen in der Slowakei: Love or Fear?