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Polen
Polnisches Disziplinarrecht auf dem Prüfstand: Hoffnung für Polen und Europa

Vor dem EuGH wird das Disziplinarrecht für Richter in Polen verhandelt
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. © picture alliance/Arne Immanuel Bänsch/dpa

Wie weit kann sich ein Land von den in der Europäischen Union geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernen? Das ist letztlich die Frage, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) am kommenden Donnerstag zu klären hat. Es geht um die polnische Justiz, die in den letzten Jahren durch die nationalkonservative Regierung dramatischen Veränderungen unterworfen wurde, die ihre Unabhängigkeit unterminierten und die Gewaltenteilung aushebelten. Nach und nach wurden das Verfassungstribunal und das Oberste Gericht durch fragwürdige Gesetzesänderungen mit regierungsnahen Richtern besetzt. Mit dem Landesjustizrat, der die Richter ernennt, verfuhr man ähnlich. Die Mitglieder werden nicht mehr unabhängig bestimmt, sondern der Regierungsmehrheit im Parlament.

Nun geht es vor dem EuGH zum den „krönenden Schlussstein“ der sogenannten Justizreformen der Regierung: die Disziplinarkammer. Die wird vom (regierungsnahen) Präsidenten auf Vorschlag des (nunmehr ebenfalls recht regierungsnahen) Landesjustizrat ernannt. Die Kammer kann die Immunität von Richtern aufheben, sie vom Dienst suspendieren oder ihre Bezüge kürzen. Der Verdacht, dass die Kammer zu einem Instrument der Einschüchterung missliebiger Richter werden könne, fand schon bald Nahrung, als 2020 Beata Morawiec wegen noch unbewiesener Korruptionsvorwürfe suspendiert wurde, die sich bis dato in einer regierungskritischen Richterorganisation engagiert hatte. Die Suspendierung hatte heftige Demonstrationen zur Folge. Der Menschenrechtsbeauftragte Polens, Adam Bodnar, ließ verlauten, es „besteht der Eindruck", dass dies „eine Form der Repression" sei, um, „die Justiz zu beeinflussen" und einen „Abschreckungseffekt hervorzurufen", der kritische Richter beträfe.

Im Oktober 2019 hat die EU-Kommission Klage beim EuGH erhoben, um die gültigen Standards für Rechtsstaatlichkeit auch in Polen zu schützen. Die Klagegründe sind schwerwiegend. In Polen sei die Unabhängigkeit der Disziplinarkammer nicht gewährleistet, könnte der Inhalt von Gerichtsentscheidungen zu Disziplinarmaßnahmen führen, seien Disziplinarverfahren und liefen polnische Richter, die sich mit Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH wendeten, in Gefahr diszipliniert zu werden.

Die polnische Regierung sieht das Verfahren als eine Art „Showdown“, in dem sich das Land gegen die Zerstörung der nationalen Souveränität wehren müsse. Vize-Justizminister Sebastian Kaleta warnte davor, dass die Infragestellung der Reform eine „Ermutigung zur Anarchie“ sei. Die schrille politische Rhetorik könnte ihren Grund darin haben, dass die juristischen Argumente der Regierung eher auf schwachen Füßen stehen. Und tatsächlich hat der EuGH offenkundige Verstöße gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz klar geahndet. Das gibt Hoffnung für die Demokratie in Europa.

Ob dann die EU-Mitgliedstaaten den Mut finden, den Urteilsspruch klar mit Sanktionen durchsetzen, steht auf einem anderen Blatt.