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Mehr als ein Funken Hoffnung – Joe Biden als „Gamechanger“ in der globalen Klimapolitik?

Joe Biden Pariser Klimaabkommen
Joe Biden unterzeichnete an seinem ersten Tag im Amt zahlreiche Beschlüsse, darunter auch den Wiedereintritt der USA in das Pariser Klimaabkommen. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alex Brandon

Die internationale Klimapolitik konnte während der Amtszeit von US-Präsident Trump kaum Fortschritte verzeichnen. Da die vor uns liegenden Jahre entscheidend für eine weltweite Ausrichtung der Weltwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit sein dürften, werden in die Präsidentschaft Joe Bidens weltweit klimapolitisch große Hoffnungen gesetzt. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den entsprechenden Herausforderungen, vor denen die neue US-Administration steht und den Fragen, ob und wie die USA die Welt auf „Klimakurs“ bringen können und wie europäische Akteure dabei gestaltend tätig werden können.

Wie der Klimawandel bereits heute Staaten weltweit beeinflusst

Dass Europa und auch die USA mitten in einem durch den Klimawandel getriebenen Wandlungsprozess stecken, ist grundsätzlich zwar seit Jahrzehnten bekannt, tatsächlich aber gerade erst in den vergangenen vier Jahren während der Präsidentschaft Donald Trumps wieder verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion gerückt. Die durch den Klimawandel verursachten Schäden beliefen sich in der näheren Vergangenheit allein in den USA auf bis zu 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Mitbestimmend dafür waren die Dürrejahre seit 2018, die durch wenig Niederschlag bei gleichzeitig erhöhten Temperaturen charakterisiert waren. Höhere Belastungen für die Natur und die Wälder, schwierigere Bedingungen für die Landwirtschaft, ein erhöhter Migrationsdruck durch Klimaflüchtlinge und ein größeres Gesundheitsrisiko für ältere und anfälligere Bevölkerungsgruppen werden auch in Deutschland und den anderen Staaten der EU für zusätzliche Spannungen in den Gesellschaften sorgen – mit Folgen für nahezu alle Bereiche der Politik.

Für die Außen- und Sicherheitspolitik verändert sich mit dem Klimawandel und dessen Wahrnehmung vor allem der grundlegende „Gefahrenmix“, da klimatische Veränderungen vielfach als Brandbeschleuniger in ohnehin konfliktreichen Regionen fungieren. Weite Teile Afrikas und zahlreiche Staaten am Indo-Pazifik kämpfen bereits seit vielen Jahren mit den Folgen von Wassermangel, Desertifikation, stärkeren und häufigeren Unwetterextremen und Überschwemmungen. Da nicht nur Indien, sondern auch besonders vulnerable Staaten wie Nigeria, Pakistan, Bangladesch oder auch Äthiopien bereits heute jeweils über 100 Millionen Einwohner haben und ihre Bevölkerungen in den kommenden Jahrzehnten von den aktuellen hohen Niveaus a priori weiter stark wachsen werden, wird unmittelbar ersichtlich, dass Handlungsbedarf besteht, um weiteren sozialen Konflikte in Folge der klimatischen Veränderungen vorzubeugen bzw. diese zumindest (präventiv) eindämmen.

Bidens ambitionierte Klimaziele und wie er sie erreichen kann

Dass all dies in das Entscheidungskalkül des 46. Präsidenten der USA eingeht, ist spätestens seit seiner ersten Rede an die amerikanische Nation nach seiner Wahl ersichtlich. Personifiziert wird  dies durch Joe Bidens Entscheidung, den ehemaligen US-Außenminister John Kerry zum Sondergesandten für das Klima zu machen und diesen zudem zum Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates zu ernennen. Ebenso kann die Besetzung des US-Innenministeriums mit der Indigenen Deb Haaland, die sich u.a. als Abgeordnete im Repräsentantenhaus mit dem Schutz der Naturräume in den Reservaten einen Namen machte, als Signal hinsichtlich eines deutlichen Wechsels in der Klimapolitik gesehen werden.

Tatsächlich dürften die Herausforderungen, vor denen eine neue US-Klimapolitik steht, substanzieller wie vielschichtiger Natur sein, will sie die kommenden vier Jahre überdauern und somit nachhaltig sein. Auf nationaler Ebene ist ein fundamentaler ökonomischer Wandel von Nöten. Von den Demokraten regierte Bundesstaaten wie New York, Washington und der Technologie-Vorzeigestaat  Kalifornien haben sich bereits unter der Trump-Administration und in Abgrenzung zu dieser mit der Formulierung ambitionierter Klimaziele hervorgetan. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu klimatischen Veränderungen flossen direkt in neue Gesetzestexte und Verordnungen mit unmittelbaren Folgen für die Baubranche, die Land- und die Energiewirtschaft ein. Neue Großprojekte dürfen bereits heute in  diesen und weiteren demokratisch regierten Bundesstaaten nur noch zugelassen werden, wenn sie nachhaltigen Standards entsprechen: US-Gesetzgeber haben also bereits bewiesen, dass sie private Investoren zum Umdenken und Handeln überzeugen können.

Die USA sind aber nicht Kalifornien:  So ist der swing state Ohio ökonomisch gering diversifiziert und derzeit vornehmlich auf die herstellende Industrie sowie auf Unternehmen aus den Bereichen der alten Energieträger Kohle, Atomkraft und Gas angewiesen. Sollte Joe Biden sein Versprechen ernst nehmen, Wege zu beschreiten, die die USA bis 2050 emissionsfrei werden lassen (können), ist die dafür notwendige Voraussetzung, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozess insbesondere in Staaten des mittleren Westens und des rust belts effektiv voranzutreiben. Auch wenn der Ausstieg aus den alten Energieträgern in den europäischen „Energiewendevorzeigeländern“ Deutschland und Schweden insgesamt (zu) langsam und zögerlich von statten geht, so kann dieser Prozess durchaus eine Vorbildwirkung für Entscheidungsträger in US-Bundesstaaten haben. Dabei wird der Abschied von Subventionen für die Förderung fossiler Energieträger weit oben auf den US-Agenden stehen. Parallel müssen neue Anreizsysteme finanzieller und logistischer Natur geschaffen werden, die es auch den Unternehmen im klein- und mittelständischen Bereich ermöglichen, Teil des Wandels zu werden. Bereits jetzt ist die Anzahl der Beschäftigten im US-Sektor der erneuerbaren Energien mit 3,3 Millionen Arbeitnehmern drei Mal so hoch wie in der Öl- und Gasindustrie.  Da – gerade durch die historischen Erfahrungen im rust belt – nicht nur unter Demokraten Konsens besteht, dass eine vornehmliche (wenn nicht die wichtigste) Aufgabe des Staates darin besteht, den Teil der Bevölkerung, der arbeiten kann, in vernünftig bezahlte Arbeit zu bringen, sind die Chancen, dass die Zentralregierung mit moderaten Republikanern (nicht nur im rust belt) hier gemeinsam einen Transformationsprozess anstoßen und gestalten kann, besser als zumeist vermutet. So ist es gerade der Verweis auf die Schaffung von gut bezahlten Jobs, auf den sowohl in den USA als auch in Europa in der politischen Debatte stärker abgestellt werden sollte, um die Bewältigung des Klimawandels nicht als vorrangig negativ bzw. als „Abwehrschlacht“ wirken zu lassen.

Für den 46. US-Präsidenten würde dies kurzfristig auch zur Folge haben, sich gegen einige der wichtigsten privaten Geldgeber der US-amerikanischen Parteienlandschaft zu stellen. Zudem dürfte der Einfluss von „ideologischen Kohle-Magnaten“ wie den Koch-Brüdern dazu führen, dass innerhalb der USA die Gefahr einer beständigen Front gegen effektive Klimaschutzmaßnahmen besteht und dass es zwischen zwei Gruppen von US-Staaten zu einem „Kampf der Systeme“ kommt.

Im Unterschied zu den meisten Staaten der westlichen Hemisphäre wird der Beitrag der Menschen am Klimawandel in der US-amerikanischen Medienlandschaft wenig thematisiert: Er ist in weiten Teilen der Gesellschaft nur bedingt anerkannt oder gar bekannt. Eine Studie von Naomi Oreskes von der University of California macht deutlich, dass zwar nahezu alle wissenschaftlichen Publikationen in den USA den Klimawandel als Folge des menschlichen Einwirkens ansehen, die Medienakteure diese Erkenntnisse allerdings kaum oder überhaupt nicht wiedergeben. Das Ergebnis dieser Entwicklung lässt sich in einer YouGov-Umfrage von Juli 2019 erkennen: Nur etwas mehr als 55% der Befragten gaben darin an, dass der Klimawandel einen Einfluss auf ihr Land haben werde. Ob und wie die privaten Medien und die (zumeist kommunalen) Bildungseinrichtungen dazu beitragen werden, einen Bewusstseinswandel bei den US-Amerikanern zu bewirken , die nicht dem zumeist an der Atlantik- und der Pazifikküste ansässigen „Bildungsbürgertum“ zugehörig sind, ist somit von herausragender Bedeutung für den zukünftigen Erfolg von Joe Bidens Klimapolitik, muss derzeit aber Spekulation bleiben.

Jenseits dieses „großen Transformationsprozesses“ muss die neue US-Administration  pragmatisch mit den Nachwirkungen von Donald Trumps Politik zu Reservaten und Naturschutzgebieten fertig werden. Joe Biden und sein Kabinett werden schnellstmöglich Genehmigungen zurückzunehmen versuchen, natürliche Naturräume wie das „Arctic National Wildlife Refuge“ in Alaska oder das „Grand Staircase – Escalante“ in Utah wirtschaftlich auszubeuten.

Der Klimawandel ist –  in unterschiedlichen Facetten – globaler Natur: Die neue US-Regierung wird sich wieder deutlich stärker auf internationaler Bühne präsentieren und sich für eine striktere und zugleich innovative Klimapolitik weltweit einsetzen. Da die Maßnahmen der Industriestaaten während der letzten fünf Jahre von den meisten damit befassten Wissenschaftlern als unzureichend eingeschätzt werden, wird es somit kaum genügen, dass die USA „nur“ zum Pariser Klimaabkommen zurückfinden. Offen ist, ob und ggf. inwieweit die neue US-Regierung auf die weitreichende Blockadehaltung von USA-freundlichen Ländern wie z.B. Australien, Brasilien, Polen oder Saudi-Arabien Einfluss zu nehmen versuchen wird. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Stärkung (d.h. vor allem die finanzielle Förderung) supranationaler Institutionen wie des World-Food-Programms (WFP), des Weltkinderhilfsprogramms (UNICEF) oder auch des Weltklimaratse (IPCC).

Mit John Kerry als erstem Ansprechpartner in klimapolitischen Fragen wird nicht nur ein außenpolitisch versierter und anerkannter, sondern bei internationalen Verhandlungen auch pragmatisch veranlagter Typ von Politiker die künftigen Gespräche mit prägen, wenngleich wir uns stets in Erinnerung rufen müssen, dass das Hauptaugenmerk der US-Politik durch die innenpolitischen Spannungen bedingt nach innen gerichtet sein wird und globalpolitische Kraftanstrengungen weiterhin von europäischen Akteuren flankiert bzw. mitangestoßen werden müssen.

Europäische Akteure als unterstützende Kraft

In Europa sollten die kommenden vier Jahre als die Chance wahrgenommen werden, eine ehrgeizigere Agenda in der Klimapolitik zu fahren. Der Green Deal der EU-Kommission kann dabei als ein erster Schritt angesehen werden. Insbesondere die Festlegung von konkreten Maßnahmen zur Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens muss im Einvernehmen mit der neuen Regierung in Washington erfolgen. Der kommende Klimagipfel in Glasgow bietet hier eine erste Möglichkeit, eine Einigung zu einer einheitlichen und höheren CO2-Bepreisung zu erzielen.

Die USA und Europa gemeinsam könnten im Erfolgsfall fraglos eine Vorbildwirkung weltweit beanspruchen. Dabei müssen aber sowohl die USA als auch die EU-Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung im Sinne des Verursacherprinzips gerecht werden. Hinsichtlich eines zunehmenden Migrationsdrucks und stärkerer Spannungen in der außenpolitischen Peripherie liegt es somit im Eigeninteresse Europas und der USA, den Ländern des globalen Südens bei der Bewältigung des Klimawandels beizustehen. Dazu gehört für Europa allerdings auch, mit den USA diejenigen Länder an der Schwelle zum Status eines Industriestaates zu unterstützen und gegenüber den ölreichen Staaten am Golf und aber auch gegenüber der Russischen Föderation Alternativen aufzuzeigen, um deren wirtschaftliche Abhängigkeit von der Förderung ihrer fossilen Energieträger  Schritt für Schritt zu reduzieren.

Ausblick – Die Klimakrise als Chance verstehen

Politische Entscheidungsträger in den USA als auch in Europa müssen besser verstehen und kommunizieren lernen, dass die Bewältigung der Klimakrise auch ökonomische Chancen mit sich bringt. Dafür ist aber nichts weniger als ein Paradigmenwechsel, wie wir weltweit wirtschaften, erforderlich. Die technischen Innovationen innerhalb des letzten Jahrzehnts im Bereich der erneuerbaren Energien und des Recyclings haben gezeigt, dass die Akzeptanz neuer Technologien mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Bevölkerung zunimmt. Zudem können mit Hilfe von Digitalisierung und innovativen Formen des sanften Tourismus neue Wege aufgezeigt werden, die Probleme des Klimawandels in den westlichen Gesellschaften deutlicher zu machen; ein Ansatz, der offensichtlich in Bidens politische Agenda Einzug gefunden hat. Sollte Biden, wie angekündigt, finanzielle Mittel in Höhe von bis zu 1,7 Billionen US-Dollar im Kampf gegen den Klimawandel zur Verfügung stellen, werden sich auch die nationalen Regierungen in Europa nicht scheuen, dem nachzueifern. Bislang haben weltweit nur 10% der Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens einen Maßnahmenplan vorgelegt, um die eigenen Emissionen zu reduzieren: Dies sollte sich dann sehr rasch ändern. Die USA haben heute noch sowohl die Kraft als auch die Möglichkeit, auch bei einem Transformationsprozess hin zu einer ökologischeren Gesellschaft als weltweites Vorbild zu dienen. Wir sollten die beginnende Präsidentschaft Joe Bidens begrüßen und mit den USA, aber auch mit China und allen anderen Staaten dieser Erde  daran arbeiten, die Zukunft kommender Generationen zu sichern.

Stefan Lukas ist Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Internationale Politik der Universität Jena und Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Seit 2019 ist er Advisor bei der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Seine Forschung und seine Publikationen beschäftigen sich insbesondere mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheitspolitik am Beispiel des Nahen und Mittleren Ostens.

Prof. Dr. Dr. h.c. Dirk Linowski hat seit 2004 den Lehrstuhl für Asset Management mit seit 2006 verbundenem Direktorat des Institute for International Business Studies der Steinbeis-Hochschule Berlin inne. Seit 2004 ist er offiziell ernannter „Distinguished Guest Professor“ für Angewandte Mathematik an der Shanghai Normal University. Er ist Vertrauensdozent und Mitglied des Auswahlausschusses der Friedrich Naumann-Stiftung für die Freiheit.