EN

Malaysia Today
Malaysia ist noch kein gescheiterter Staat, aber der Verfall schreitet schnell voran

Malaysia
© Chuttersnap from Unsplash 

Es ist niemals ein gutes Zeichen, wenn Ihre malaysischen Mitbürger ernsthaft darüber diskutieren, ob Ihr Land schon zu einem gescheiterten Staat geworden ist.

Das Land erlebt derzeit seine bisher schwerste Covid-19-Welle und hat mit 24.000 Fällen pro Tag einen neuen Rekordwert erreicht. Das Gesundheitssystem steht auf der Kippe, die Selbstmordrate ist sprunghaft angestiegen und die Bürger mussten schon einmal eine weiße Fahne aus ihrem Fenster halten, um nach Grundnahrungsmitteln und Geld für die Miete zu fragen. Wirtschaftlich steckt Malaysia schon seit mindestens einem Jahrzehnt in der sog. „Mittleren-Einkommens-Falle“ fest.

Inmitten dieser Mühen fehlte es der Spitze fast vollständig an Führungskräften, die derzeitige Regierung von Premierminister Ismail Sabri Yakoob ist die vierte Regierung Malaysias innerhalb von drei Jahren.

Malaysia erlebte seit März 2020 eine mehr als 17-monatige politische Dysfunktion, als die damalige multiethnische Pakatan-Harapan-Koalition unter dem ehemaligen Premierminister Mahathir Mohamed durch den Austritt von Abgeordneten zu Fall gebracht wurde, um eine neue Koalition mit Oppositionsparteien zu bilden, die ausschließlich für die malaiischen Muslime, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, gedacht war.

Der Zusammenbruch der Pakatan-Harapan-Koalition kann teilweise auf Malaysias stark rassistisch geprägte politische Kultur zurückgeführt werden, ein hässliches Nebenprodukt der Neuen Wirtschaftspolitik (NEP), eine von Malaysias folgenreichsten politischen Maßnahmen, die vor etwa 50 Jahren verabschiedet wurde. Nach den Rassenunruhen von 1969 verabschiedete die malaysische Regierung im Juli 1971 die NEP, um sowohl Armut zu reduzieren als auch um die eklatanten wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den sogenannten Bumiputra (eine administrative Bezeichnung für Malaien und indigenen Völker, die mit „Söhne des Bodens“ übersetzt werden kann) und den Non-Bumiputras zu beseitigen.

Urpsrünglich als eine kurzzeitige politische Maßnahme gedacht, legte die NEP den Grundstein für eine nicht enden wollende Reihe von Maßnahmen zur Bevorteilung von Malaien. Dreißig Prozent des Unternehmenskapitals sollte den Malaien zu gute kommen, während in vielen Berufen eine Quotenregelung eingeführt wurde. Auch staatliche Lizenzen und Verträge sollten malaysischen Unternehmen vorbehalten sein, die in der Regel über Malaysias allgegenwärtige regierungsnahe Unternehmen (GLCs) verteilt wurden.

Sicherlich gab es auch Erfolge. Für viele Malaien, wie zum Beispiel meinen Vater, war die NEP der Weg in die Mittelschicht. Der Anteil der Malaien an der gesamten Mittelschicht stieg von 12,7 % im Jahr 1971 auf 27 % im Jahr 1990.

Die überwiegend von den Bumiputra bevölkerten Bundesstaaten sind jedoch nach wie vor die ärmsten in Malaysia, da ein großer Teil der staatlichen Unterstützung im Rahmen der NEP letztlich an gut vernetzte malaiische Geschäftsleute und nicht an die Armen ging, die es eigentlich verdient hatten. Hierdurch entstand ein klientelkapitalistisches System, in dem die malaiische Elite von staatlichen Renten profitierte.

Die tief verwurzelte Vetternwirtschaft in Malaysia wirkte sich letztendlich nachteilig auf das Wohlbefinden der malaiischen Durchschnittsbevölkerung aus, deren Lebenshaltungskosten künstlich in die Höhe getrieben wurden. Korrupte Praktiken innerhalb der Versorgungsketten führen häufig zu einem Preisanstieg von Waren und Dienstleistungen für die Verbraucher, sei es durch höhere Geschäftskosten oder durch geringeren Wettbewerb auf dem Markt.

Praktiken der Vetternwirtschaft im öffentlichen Auftragswesen führten auch zu einer Verschlechterung der öffentlichen Einrichtungen, einschließlich des Schulwesens und der Regierungsbehörden. Aus diesem Grund sind viele Menschen dazu gezwungen, auf kostspieligere private Alternativen auszuweichen.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Kosten wirkte sich die NEP letztlich auch auf das Sozialgefüge Malayisas aus. Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Ethnien in Malaysia verschlechterten sich, da Non-Bumiputras sich darüber ärgerten, dass sie von Geburt an bei der Zulassung zu Universitäten, bei staatlichen Stipendien und bei der Wohnungssuche benachteiligt wurden.

Als Reaktion auf dieses System der institutionalisierten Diskriminierung sind seitdem Tausende von Nicht-Malaien ins Ausland, z. B. nach Singapur und Australien, ausgewandert, wodurch Malaysia lebenswichtiges Kapital und Fachwissen entgeht.

Gleichzeitig betrachtete eine ganze Generation von Malaien, die in der NEP-Ära geboren wurden, diese Privilegien als ein unbestreitbares Geburtsrecht, das von den malaiischen Eliten gefördert wurde. Diese wollten das Klientelsystem, das sie stützte, unbedingt aufrechterhalten. Dies zeigte sich beispielsweise in Mahathirs hartnäckigen Behauptungen, die Malaien seien aufgrund ihrer angeborenen "Faulheit" arm, wobei er sich eines Sprachbildes aus der Kolonialzeit bediente, um die anhaltenden staatlichen Interventionen zu rechtfertigen.

Unter malaiischen Experten setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass eine Reform der NEP längst überfällig ist, wenn sie nicht sogar vollständig durch eine bedarfsorientierte Politik zur Unterstützung der Schwächsten unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit ersetzt werden sollte. Zwar wird der reale Zuwachs der malaiischen Mittelschicht anerkannt, jedoch haben 50 Jahre institutionalisierter Rassismus in Malaysia letztendlich eine Kultur des vetternwirtschaftlichen Kapitalismus, eine unproduktive Rentnerklasse und überhöhte Lebenshaltungskosten hervorgebracht.

Schlussendlich hat Malaysias System der umfangreichen staatlichen Interventionen in Verbindung mit dem Festhalten an einem System malaiischer Privilegien verzerrte Märkte geschaffen, die auf die Bedürfnisse einer kleinen malaiischen Elite ausgerichtet sind.

Dieses System hat das Produktivitätswachstum gedämpft und Malaysias Fertigungssektor zu sehr von von billigen Arbeitsmigranten abängig gemacht – zum Nachteil der Entwicklung lokaler technologischer Möglichkeiten – sowie von ausländischem Kapital mit geringer technologischer Verbreitung.

Malaysias unterentwickelte industrielle Basis ist symptomatisch für die vorzeitige Desindustrialisierung des Landes, da sich sowohl lokale als auch ausländische Investoren im Laufe der Zeit von der Fertigungsindstrie auf Dienstleistungsbereiche wie Immobilienentwicklung, Logistik und Finanzdienstleistungen verlagert haben.

Trotz allem hat keine der amtierenden Regierungen versucht, diesen Status quo in Frage zu stelle, aus Sorge, die wahlentscheidende Mehrheit der Malaien auf der Halbinsel zu verärgern, die befürchteten, ihr Vorzugssystem zu verlieren. Der Staat ist zwar noch nicht gescheitert, aber er verfällt mit Sicherheit.

Geschrieben von Imran Shamsunahar - Referent für Außenbeziehungen beim Institute for Democracy and Economic Affairs (IDEAS) mit Sitz in Kuala Lumpur, Malaysia.

Dieser Artikel wurde zuerst auf https://asia.nikkei.com/Opinion/Not-yet-a-failed-state-Malaysia-is-deca veröffentlicht...