EN

Wahlen in den Niederlanden
Annäherung an die Rechtsextremen öffnet die Büchse der Pandora

Geert Wilders

Geert Wilders

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Peter Dejong

Der Sieg der PVV kam für viele überraschend, da die Umfragen in den vergangenen Wochen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der liberalen VVD, der gemeinsamen Liste der sozialdemokratischen und grünen Parteien (GL/PvdA) und der Mitte-Rechts-Partei Neuer Sozialvertrag (NSC) hinwiesen. Die Kampagne der PVV gewann jedoch in den letzten Tagen vor der Wahl an Schwung, als Wilders einige seiner extremsten Positionen zu mildern schien. Im Endergebnis lag seine Partei deutlich vor den anderen Kandidaten, wobei GL/PvdA mit 25 Sitzen den zweiten Platz belegte, die VVD mit 24 Sitzen knapp dahinterlag und Neueinsteiger NSC 20 Sitze holte.

Das Ergebnis bedeutet das Ende der 13-jährigen liberalen Siegesserie in den Niederlanden. Noch vor zwei Jahren waren die VVD und die sozialliberale D66 die beiden größten Parteien bei den Parlamentswahlen. Unter Ministerpräsident Rutte übernahmen sie die Führung in einer Vier-Parteien-Koalition zusammen mit den Christdemokraten (CDA) und der kleineren Partei Christliche Union. Bei der gestrigen Wahl haben alle Koalitionsparteien stark verloren: Die D66 erhielt 9 Sitze (vormals 24), die CDA 5 (vormals 10) und die Christliche Union hat zwei Sitze eingebüßt und kommt auf 3 Vertreter.

Die große Frage ist natürlich, wie es dazu kommen konnte und welche Auswirkungen das Ergebnis haben wird. Seit Jahrzehnten ist ca. ein Viertel der niederländischen Wähler wütend und unzufrieden und möchte dem politischen Establishment einen Denkzettel verpassen. Vor vier Jahren haben diese Wähler bei den Regionalwahlen für das sogenannte Forum für Demokratie (FvD) gestimmt, eine Partei, die sogar noch weiter rechts steht als Wilders PVV. Die FvD wurde damals mit 16 % der Stimmen die größte Partei im Senat. Bei den Regionalwahlen vor einigen Monaten kehrten diese Wähler massenhaft der FvD den Rücken und wählten stattdessen die neue Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), die vor allem eine Protestbewegung gegen die weitreichende „grüne“ Politik der Rutte-Regierung ist. Dadurch löste die BBB mit 20 % der Stimmen die FvD als größte Partei im niederländischen Senat ab.

Bei den Parlamentswahlen am Mittwoch waren die Wutbürger jedoch bereits weitergezogen. Die BBB erhielt weniger als 5 % der Stimmen und die FvD sogar nur 2 %. Zunächst sah es so aus, als würden sie sich für eine andere Partei entscheiden, Neuer Sozialer Vertrag (NSC), die von dem abtrünnigen christdemokratischen Politiker Pieter Omtzigt angeführt wird. Die Partei lag in den Umfragen während des größten Teils des Wahlkampfs in Führung.

Unter Druck zeigte Omtzigt jedoch wenig Führungsqualitäten, und etwas mehr als eine Woche vor den Wahlen wechselten die Wutbürger abermals zu der rechtsextremen, antiislamistischen Partei von Geert Wilders. Der Sieg der PVV wurde von ihnen als die ultimative Strafe für das Establishment angesehen. Niemand hat damit gerechnet, nicht einmal Wilders selbst, der seit 25 Jahren zum politischen Betrieb der Niederlande gehört und in der Regel rund 13% der Stimmen erhält. Er nutzte das Umfragehoch kurz vor den Wahlen und präsentierte sich als freundliche Neuerfindung seines früheren Ichs; so ähnlich hatte es Marine Le Pen in Frankreich vorgemacht. Er wurde daraufhin ironisch als Geert „Milders“ bezeichnet. An seinen politischen Positionen ändert Wilders allerdings nichts.

Wilders wurde auch durch einen großen Fehler im Wahlkampf der VVD begünstigt. So signalisierte die neue VVD-Vorsitzende Dilan Yesilgöz, dass möglicherweise eine Zusammenarbeit mit Wilders machbar sei. Damit brach sie mit der jahrzehntelangen Isolierung der PVV. Dies war ein Signal an die Wähler, dass Wilders offenbar salonfähig geworden war. Damit begann, nur eine Woche vor den Wahlen, sein kometenhafter Aufstieg in den Umfragen. Yesilgöz schien ihren Fehler erkannt zu haben und änderte ihren Ton in den letzten Debatten vor der Wahl, aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Es kam Wilders auch zupass, dass sich der diesjährige Wahlkampf vor allem um das Thema Migration drehte. Dies war auch das Thema, das die Regierung von Mark Rutte zu Fall gebracht hatte. Alle Parteien hatten zu diesem Thema eine Position - einige ideologisch, andere anti-islamisch. Mehrere Parteien verfolgten eine eher populistische Linie und gaben Flüchtlingen und ausländischen Studenten die Schuld an der derzeitigen erheblichen Wohnungsknappheit. Da Kritik an der Einwanderungspolitik von Anfang an das Alleinstellungsmerkmal von Wilders war, haben sich die Wähler, als es darauf ankam, für den authentischsten Demagogen entschieden. Mit Sicherheit wird das Thema daher auch bei den Regierungsverhandlungen eine entscheidende Rolle spielen.

Interessanterweise war kein deutlicher Anstieg der politischen Rechten als Ganzes zu sehen. Der rechte Block blieb konstant bei etwa 40 %. Es war also hauptsächlich eine Verschiebung innerhalb des rechten Spektrums zu beobachten. Das Gleiche geschah auf der linken Seite, wo die Gesamtzahl der Stimmen für progressive Abgeordnete mehr oder weniger gleichblieb, es jedoch innerhalb des linken Blocks eine große Verschiebung zwischen den Parteien gab.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Niederlande sind dafür bekannt, dass sie lange brauchen, um neue Regierungen zu bilden, und das wird auch dieses Mal nicht anders sein. Der Ball liegt zunächst bei Geert Wilders, aber es wird ihm schwerfallen, genügend Koalitionspartner zu finden. Immerhin: Sowohl die BBB als auch die NSC haben ihre Bereitschaft signalisiert, mit ihm zu sprechen. Eine solche Koalition wird es jedoch schwer haben, sich auf ein gemeinsames Maßnahmenprogramm zu einigen, da die Vertreter dieser Parteien (einige von ihnen sind völlig neu im Politikbetrieb) eine sehr unterschiedliche Themenagenda verfolgen.

Wilders möchte die VVD als Koalitionspartner gewinnen, aber Parteiführerin Yesilgöz hält sich vorerst zurück. Viele in ihrer Partei würden eine Koalition mit Wilders nur schwer akzeptieren. Dies ist nur verständlich, denkt man an das Jahr 2010 zurück, als die VVD schon einmal versucht hat, mit parlamentarischer Unterstützung der PVV zu regieren. Dieses Experiment scheiterte aber nach nur zwei Jahren. Die anderen größeren Parteien, allen voran die gemeinsame Liste von Sozialdemokraten und Grünen sowie D66, haben angedeutet, dass sie nicht mit Wilders zusammenarbeiten werden.

Allerdings darf man nicht vergessen, dass die PVV zwar mit 23 % die Wahlen gewonnen hat, aber letztlich fast drei Viertel der Wähler nicht für Wilders gestimmt hat. Natürlich bringt ihn das Wahlergebnis in eine starke Verhandlungsposition, aber nicht in eine, in der er alles bestimmen kann. Eine weitere Mehrheitsregierung ohne Wilders ist daher weiterhin möglich. Dazu müssten GL/PvdA, VVD, NSC und D66 zusammenarbeiten. Ob dies möglich ist, wird sich erst später im Prozess ergeben und auch nur dann, wenn es Wilders nicht gelingt, eine Koalition zu bilden. Jedoch müssten auch diese Parteien erst einmal erhebliche politische Differenzen überwinden.

Keine dieser Koalitionen wird wahrscheinlich sehr stabil sein, und die Möglichkeit von Neuwahlen innerhalb von ein oder zwei Jahren ist sehr real. Die Frage ist nur, wer von vorgezogenen Neuwahlen profitieren würde. Es liegt auf der Hand, dass die Parteien der politischen Mitte, insbesondere die liberalen Parteien, die Wähler in den kommenden Wochen und Monaten mit einem besseren politischen Angebot überzeugen müssen.