EN

Deutsch-Französische Beziehungen
Deutsch-französische Verteidigungszusammenarbeit

Zwischen politischen Divergenzen und industrieller Dynamik – ein Diskussionsbeitrag
Germany France Flags
© Gwengoat via Canva.com 

Für die neue Bundesregierung, die im September dieses Jahres gewählt wird, steht in der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit der EU eine Vielzahl von großen Zukunftsdossiers an. Schaut man einmal auf die verteidigungspolitischen Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich, geben diese immer wieder Aufschluss über die Grundsatzdiskussion zwischen Inklusivität und Handlungsfähigkeit der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik. Im Kern geht es hier um die Frage, ob die europäische Verteidigungspolitik vor allem inter-europäischer Verständigung, Vertrauensbildung und Kooperation dienen oder ob sie eine konkrete sicherheitspolitische Strategie verfolgen und militärische Missionen in Europas Nachbarschaft möglich machen sollte. Folgt man dem ersten Ansatz, geht es zuallererst um die Schaffung von allgemeinen Grundvoraussetzungen, dem Fähigkeitsaufbau und der Stärkung entsprechender Institutionen. Dieser Blick nach innen ist im Wesentlichen inklusiv und konsensorientiert und betrachtet etwa den europäischen Beitrag zur NATO vor allem aus Sicht einer verstärkten Territorialverteidigung und Abschreckung. Der zweite Ansatz richtet den Fähigkeitsaufbau direkt auf das Erreichen konkreter sicherheitspolitischer Ziele aus, setzt auf flexiblere Entscheidungsfindung (das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“) und schließt die sicherheitspolitische Positionierung und Machtprojektion über Europas Grenzen hinweg ein – wodurch zuweilen die Debatte um die Konkurrenz zur NATO genährt wird.

In der ersten Jahreshälfte 2021 hat sich die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Brüssel dieser Kernproblematik mit einem deutsch-französischen Gesprächskreis für Verteidigung und Sicherheit angenommen, der sich einerseits der EU-Initiative der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (auf Englisch „PESCO“) und andererseits dem deutsch-französisch-spanischen Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) widmete. Dabei wurden bestehende Herausforderungen zwischen Frankreich und Deutschland in der europäischen Verteidigungszusammenarbeit deutlich; das Spannungsverhältnis zwischen Inklusivität und Handlungsfähigkeit und zwischen dem Blick nach Innen und Außen trat klar zutage.

Die PESCO – zu viele Köche verderben den Brei?

Gemeinsame Entwicklung von Fähigkeiten und Verbesserung der operative Bereitschaft – der Wunschzettel der PESCO ist umfangreich. Doch im französischen Parlament wird hart mit der PESCO ins Gericht gegangen – während man sie aus deutscher liberaler Sicht als wichtigen weiteren Schritt zu mehr Integration sieht.

Der Erfolg dieser politischen Initiative hängt jedoch entscheidend von den einzelstaatlichen Priorisierungen, dem sogenannten level of ambition ab. Der vorhandene politische Wille steht den tatsächlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten der konstruktiven Einbringung gegenüber. Laut Lissabonner Vertrag ist eine enge europäische Zusammenarbeit der Fähigen möglich, die über substantielle militärische Fähigkeiten und Ressourcen verfügen. So begrüßenswert eine möglichst hohe Beteiligung an verteidigungspolitischer Kooperation ist (25 von 27 Mitgliedstaaten nehmen an der PESCO teil), der Preis dieser hohen Inklusivität besteht darin, dass die PESCO momentan eher einer Symbolpolitik gleicht. Denn beim Beginn neuer Projekte müssen alle teilnehmenden Staaten zustimmen – und so hat der Rat oft Projekte validiert, welche nach Einschätzung der Experten der Europäischen Verteidigungsagentur EDA „nicht-prioritär“, „schlecht kalibriert“ und sogar „nutzlos“ sind. Nicht nur befinden sich vier Jahre nach Initiierung viele Projekte noch immer in der Phase der „Ideenfindung“; von den insgesamt 47 PESCO-Projekten schießen mehr als ein Fünftel klar am Ziel vorbei, so die Sicht der En-Marche Abgeordneten Natalia Pouzyreff. Überdies fehlen im Regelwerk der PESCO jegliche Sanktionsmechanismen bei Unter-Performanz.

Nicht zuletzt fehlt es an einer gemeinsamen Definition dessen, worin europäische Autonomie in Verteidigungsfragen (aus französischer Sicht das langfristige Ziel von PESCO) überhaupt bestehen soll. Es fängt bei der Begriffsfindung schon an – Europäische Autonomie, Europäische Souveränität? – und stößt neben Fragen der Einsatzstrategie militärischer Mittel nicht zuletzt auch beim Thema transatlantische Einbindung auf verhärtete Fronten. Der „Strategische Kompass“, initiiert während der deutschen Ratspräsidentschaft 2020 mit dem Ziel einer gemeinsamen europäischen Bedrohungsanalyse, ist ein Schritt, diese Fronten durch Dialog flexibler zu machen, selbst wenn er aller Voraussicht nach keine weitrechenden Veränderungsprozesse anstoßen wird.

Gemeinsame Rüstungskooperation – gemeinsame strategische Kultur?

Dass Deutschland, Frankreich und Spanien Mitte Mai nun beim Rüstungsprojekt FCAS zu einer „grundsätzlichen Einigung“ in der Forschung und Technologieentwicklung  gekommen sind, ist angesichts der durchaus unterschiedlichen strategischen Kulturen dieser Länder alles andere als selbstverständlich.

Denn während beispielsweise in Frankreich das Parlament in Beschaffungsfragen eine sehr untergeordnete Rolle spielt, machen die sehr starken Mitbestimmungsrechte des deutschen Bundestags eine gemeinsame langfristige Planung des FCAS kompliziert, weil dieser sich das Recht vorbehält, Projekten gestückelt zuzustimmen oder sie abzulehnen.

Die Frage des Einsatzes bewaffneter Drohnen wiederum, ein wesentlicher Bestandteil vom Gesamtsystem FCAS, wird in Frankreich klar befürwortet und ist in Deutschland politisch höchst umstritten: es gibt starke Gegenstimmen von Grünen und Sozialdemokraten, wohingegen sich liberale und konservative Kreise klar dafür aussprechen. Diese Frage wird insbesondere bei der Bildung der nächsten Bundesregierung sicherlich noch zu erheblichen Diskussionen führen.

Strittig wird auch sein, dass Frankreich FCAS gerne als „first entry“-Instrument nutzen möchte. Das bedeutet, dass es durch das System überall auf der Welt die Fähigkeit beansprucht, sich als erste Macht, und notfalls auch unilateral, den Weg in ein potentiell strittiges Gebiet zu erkämpfen. Für Deutschland, sind solche notfalls auch im Alleingang zu unternehmende weltweiten Einsätze ohnehin höchst schwer vorstellbar. Denn seine strategische Dokumente verweisen sehr viel stärker auf territoriale Verteidigung und eine Einbindung in kollektive Sicherheitssysteme wie die NATO oder ggf. auch die EU.

Schließlich zeigt sich auch an der Frage des Exports von FCAS, wie weit die Vorstellungen auseinandergehen: Beispielsweise haben französische Beteiligte oft darauf hingewiesen, dass FCAS auch über europäische Grenzen hinweg, und vielleicht sogar in Länder wie Saudi-Arabien, exportiert werden könnte. In Deutschland sind Rüstungsexportfragen bekanntermaßen erheblich sensibler.

Trotz vieler technisch und industriepolitisch noch ungeklärter Fragen hat der Bundestag im letzten Atemzug vor der Sommerpause der Finanzierung der nächsten Forschungs- und Entwicklungsphasen 2021-2027 zugestimmt. FCAS sei „eines der bedeutendsten europäischen Rüstungsprojekte des 21. Jahrhunderts“, aber es seien damit auch gravierende Risiken und Unsicherheiten verbunden, so Dr. Marcus Faber, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Europäische Integration durch Rüstungskooperation?

Dies führt zu einem Paradox: Einerseits divergieren politische und strategische Zielvorstellungen zwischen europäischen Partnern weiterhin substantiell – andererseits beobachten wir seit Jahren einen Trend hin zu immer mehr europäischen Rüstungskooperationen.

 Nach dem französischen Politikwissenschaftler Samuel Faure steigt die Wahrscheinlichkeit europäischer Rüstungsprojekte mit Beteiligung des französischen Staates dann, wenn die Autonomie der daran beteiligten Firmen gegenüber dem französischen Staat stark ist und wenn gleichzeitig auf der europäischen Ebene ein hoher Grad von zwischenmenschlichen Interdependenzen französischer und europäischer Industrieller und Politiker besteht. So können Situationen wie bei der Beschaffung des europäischen Transportfliegers A400M entstehen, bei denen sich die europäische Beschaffungsoption gegen US-amerikanische oder national autarke Beschaffungsalternativen durchsetzte. Es gibt auch in Frankreich industrielle Akteure, die sich als Teil von Akteurskoalitionen zwischen Industrie und Staat für europäische Beschaffungsprojekte einsetzen. Solche pro-europäischen Akteure könnten viel stärker in den Blick genommen werden.

Zudem könnte die Zusammenarbeit der  nicht-staatlichen industriellen Akteure, z.B. durch die Gründung einer deutsch-französischen Ingenieursschule, weiter gefördert werden. Dies würde gegenseitige Abhängigkeiten stärken; gleichzeitig könnten industrielle Akteure auch dort Projekte anstoßen, wo sich strategische Kulturen scheinbar unvereinbar gegenüberstehen. Für FCAS bedeutet dies, dass ein Erfolg dieses Mega-Projektes auch in der Signalwirkung für Europa und gegen nationalen Protektionismus liegt. Dies gilt vor allem in Frankreich, wo es mit Marine Le Pen mächtige Befürworter für eine von Europa unabhängige autarke Verteidigungspolitik gibt.

 

Dr. Nicolas Fescharek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und hat den deutsch-französischen Gesprächskreis für Verteidigung und Sicherheit moderiert und konzipiert; der Inhalt dieses Textes spiegelt nur die Meinung des Autors wider; Jeanette Süß ist European Affairs Manager im Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit und leitet dort die Frankreich-Aktivitäten.