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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Freie Volkskammerwahl
Entscheidung für die Einheit, Enttäuschung für Intellektuelle!

Vor 30 Jahren fanden die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer statt
Die aus der ersten freien und geheimen Wahl in der DDR hervorgegangene Volkskammer trat am 05.04.1990 zu ihrer konstituierenden Tagung zusammen
Die aus der ersten freien und geheimen Wahl in der DDR hervorgegangene Volkskammer trat am 05.04.1990 zu ihrer konstituierenden Tagung zusammen © ZB - Fotoreport

Am 18. März 1990 fanden die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer nach demokratischen Grundsätzen statt. Das Ergebnis war ein Triumph für Helmut Kohl und ein Desaster für die SPD. Unser Vorstandsvorsitzender Professor Paqué blickt zurück.

Ich war 33 Jahre alt, als die Wahl stattfand, ein politisch interessierter westdeutscher Volkswirt, der in Kiel lebte, gebannt durch die Ereignisse seit dem Mauerfall am 9. November 1989. Die Wahl war für mich ein demokratisches Großereignis von historischer Bedeutung. Ich starrte auf den Fernseher, als am Abend die Ergebnisse kamen: Wahlbeteiligung über 93 Prozent, das ist meines Wissens bis heute die höchste, die es jemals in Deutschland gab; und ein gewaltiger Sieg für die CDU. Damit auch - das lag auf der Hand - ein klares Votum für die Deutsche Einheit.

Viele Intellektuelle waren darüber entsetzt, in Ost und West. Deren Botschaft lautete: Kohl hat mit seinem Zehn-Punkte-Programm von Ende November 1989 die Menschen auf der Straße verführt und damit die Seele der Revolution im Osten verraten. Die breite Masse habe - Kohl folgend - für den schnellen Wohlstand gestimmt, und der sei eben nur zu bekommen mit einer zügigen Vereinigung der deutschen Staaten. Auf denkbar arroganteste Art demonstrierte diese Sicht der SPD-Politiker Otto Schily, indem er eine Banane in die Kamera hielt: Dafür, so seine geschmacklose Insinuation, hätten die Menschen Kohl gewählt.

Ich entsinne mich noch genau: Meine Frau und ich, wir waren empört. Die Menschen in Ostdeutschland waren doch in Scharen an die Wahlurnen gestürmt und hatten ganz einfach dagegen gestimmt, weiter zum Versuchskaninchen gesellschaftlicher Systemversuche gemacht zu werden. Sie wollten auch in der DDR jene Gruppe von Politikern an der Macht sehen, die zusammen mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, denen sie vertrauten, die deutsche Einheit in naher Zukunft erreichen würden. Sie taten dies nicht in erster Linie wegen der „Banane“, sondern weil sie größte Bedenken hatten gegen jene Neuankömmlinge in der Politik, die zwar große Pläne für einen „dritten Weg“ der schrittweisen Annäherung zwischen Ost und West hegten, aber nichts verstanden von den Realitäten der Menschen vor Ort an ihren Arbeitsplätzen - und im Übrigen auch wenig von den außenpolitischen Gefahren. „Keine Experimente mit uns, nicht noch ein Mal!“ Das war doch die eigentliche Botschaft. Und die verstanden der bodenständige Pfälzer Helmut Kohl und der gebürtige Ostdeutsche Hans-Dietrich Genscher. Für die meisten Intellektuellen blieb sie fremd - wohlgemerkt: in Ost und West.

Es war im Übrigen eine urdemokratische Entscheidung, auch wenn viele sich über die sogenannte Einmischung westdeutscher Politiker gleich welcher Couleur in den Wahlkampf bis heute bitter beklagen. Mehr als 93 Prozent Wahlbeteiligung, das spricht doch eigentlich für sich. In jedem Fall war es der endgültige Einstieg in den Zug der Einheit, der ein gutes halbes Jahr später dann zum Ende der DDR führte.