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Multilateralismus
Ein Gipfel der Demokratien

Kann D10 Impulse für eine bessere Weltordnung setzen?
Boris Johnson
Boris Johnson während einer Kabinettssitzung. Großbritannien hat in diesem Jahr den Vorsitz der G7 inne. © picture alliance / Photoshot

Die Idee eines Gipfels großer demokratischer Staaten hat neue Aktualität gewonnen. Zunächst handelte es sich um ein Projekt, das vor allem auf der Ebene von Think Tanks diskutiert wurde. Der Atlantic Council versammelt seit einigen Jahren Vertreter von führenden Demokratien regelmäßig zu einem informellen Gedankenaustausch, um gemeinsame Strategien zu entwickeln. Der Kreis der vertretenen Länder war fast deckungsgleich mit den jetzt diskutierten D10, nur Indien ist neu hinzugekommen.

Zurzeit plant der britische Premier Boris Johnson, im Zusammenhang mit dem Gipfel der G7, dessen Vorsitz in diesem Jahr Großbritannien innehat, einen Gipfel der Demokratien. Der amerikanische Präsident Joe Biden hatte bereits im Wahlkampf Unterstützung für diese Idee signalisiert. Dort sollen Positionen zu Problemen diskutiert werden, vor denen alle Teilnehmerstaaten stehen. Kann dieses Format einen Beitrag dazu leisten, die multilaterale Ordnung zu stärken? Kann es hilfreich dabei sein, demokratische Werte auf der globalen Bühne zu stärken?

Worum geht es?

Die Staatengruppe D10 soll neben den G7-Mitgliedern Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA die drei großen Demokratien Australien, Indien und Südkorea umfassen. Alle G7-Staaten sind selbst Demokratien, doch die Erweiterung zu D10 soll Signale setzen: Die Basis soll durch die Ergänzung des Formats erweitert werden – sowohl regional als auch in Bezug auf die vertretene Bevölkerungszahl. Damit wird ein Schritt zur Anerkennung der großen Veränderungen gegangen, die sich in den letzten Jahrzehnten auf der Welt ereignet haben. Außerdem hat der Buchstabe D für Demokratien natürlich eine Signalwirkung: Es geht nicht allein um wirtschaftliche und militärische Macht, sondern um bestimmte grundlegende Werte, zu denen sich die Teilnehmerstaaten bekennen.

Ein erstes Treffen soll im Umfeld des kommenden G7-Gipfels stattfinden, der im Juni in Großbritannien geplant ist. Organisatorische Details sind noch nicht bekannt – klar ist jedoch, dass der britische Premier Boris Johnson sich das Projekt D10 zu eigen gemacht hat und intensiv verfolgt.

Nach derzeitigem Stand sollen in diesem Rahmen vor allem zwei Fragen diskutiert werden: Der Zugang zum Aufbau von 5G-Mobilfunknetzwerken und die Gestaltung globaler Lieferketten. Beide Themen haben einen deutlichen Bezug zu China. Demokratien überall auf der Welt – und nicht nur sie – stehen vor der Herausforderung, sich mit dem chinesischen Drang nach immer größerem globalen Einfluss auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass das demokratische, rechtsstaatliche Modell durch verschiedene Akteure weltweit immer stärker infrage gestellt wird. Autoritäre Modelle sind auf dem Vormarsch und gewinnen in der öffentlichen Debatte, teilweise auch im Westen, zunehmend an Anziehungskraft. Die Demokratien auf der Welt müssen in diesem Wettstreit der Ideen und Systeme wieder in die Offensive kommen – dazu soll D10 einen Beitrag leisten. Das gilt auch für die Positionierung gegenüber Russland und anderen autoritären Staaten.

Mehr als eine antichinesische Allianz

Der Aufstieg Chinas, verbunden mit einem immer offener zur Schau gestellten weltweiten Machtanspruch, ist die größte Herausforderung für den Westen und für demokratische Staaten überall auf der Welt. Als Einparteienstaat, der seinen Bürgern grundlegende Menschenrechte vorenthält, kann China dennoch auf gewaltige wirtschaftliche Erfolge verweisen, die gleichzeitig den Lebensstandard für große Teile der Bevölkerung stark verbessert haben. Sie bilden gleichzeitig die Grundlage für die globalen Ambitionen des von der kommunistischen Partei geführten Landes.

Deshalb ist die Frage, wie demokratische Staaten ihr Verhältnis zu China gestalten, essentiell. Das gilt in mehreren Hinsichten. Kann es verantwortet werden, kritische Infrastruktur von chinesischen Unternehmen, die nicht unabhängig von der Staatsführung agieren, errichten oder betreiben zu lassen? Wie viel Abhängigkeit von China kann bei globalen Lieferketten akzeptiert werden? Hierzu sollten gemeinsame Positionen gefunden werden – derzeit gibt es noch große Differenzen.

Doch die Klärung derartiger, auf die eigene Sicherheit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bezogener, Probleme sollte nicht die einzige Zielsetzung von D10 sein. Die Demokratien haben eine globale Verantwortung, die darüber hinausgeht:  Sie können und sollten zeigen, dass Demokratien die Aufgaben, vor denen Staaten heute weltweit stehen, besser lösen können als autoritäre Modelle. Sie können zeigen, dass Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte nachhaltigem Wohlstand und Sicherheit für alle Bürger nicht entgegenstehen, sondern ihn ganz im Gegenteil fördern. Damit können sie Menschen auf der ganzen Welt Hoffnung geben, ohne ihnen damit bestimmte Institutionen und Wertsysteme überzustülpen. Sie können z.B. aufzeigen, dass wirtschaftliche Interessen für sie nicht über dem Schutz von Menschenrechten stehen, dass sie also nicht aus Rücksicht auf autoritäre und totalitäre Staaten zu den massiven Menschenrechtsverletzungen und dem Fehlen demokratischer Institutionen dort schweigen. Das wird nicht einfach sein, da auch die Einschätzungen dazu unter den D10-Staaten nicht deckungsgleich sind und verschiedene Interessen eine Rolle spielen. Doch einen Versuch ist es wert. Es könnte beispielsweise angestrebt werden, gemeinsam bestimmte Grenzen festzulegen, deren Verletzung von den führenden Demokratien nicht toleriert wird, und bei deren Verletzung offen und klar und unmissverständlich reagiert wird.

Wird das Modell angenommen?

Derzeit ist noch unklar, wie sich viele der potentiellen Teilnehmer zur Idee D10 positionieren. Die Initiative geht klar von Großbritannien aus. Wie der britische „Guardian“ berichtet, sind aus französischen und italienischen Diplomatenkreisen Befürchtungen zu hören, dass eine zu starke antichinesische Ausrichtung zu Problemen mit diesem wichtigen Wirtschaftspartner führen könnte. Insgesamt herrscht auf der politischen Ebene in Europa eine große Zurückhaltung, sich zu dem Vorhaben zu äußern. Die Außenminister der drei Beneluxstaaten haben die Initiative jedoch öffentlich unterstützt.

In Indien herrscht einige Skepsis, dass das Land nur als Feigenblatt für ein weiter von westlichen geostrategischen Interessen dominiertes Forum herhalten soll. Dagegen ist aus Südkorea und Australien eher Zustimmendes zu hören.

Vor allem wird es jedoch auf den neuen amerikanischen Präsidenten ankommen. Unterstützt er die Idee nachhaltig, so werden die anderen Staaten folgen und sich beteiligen.

D10, G20, G7 und der Multilateralismus

Über die geplante Zusammensetzung der D10 kann man streiten. Man kann sich zum Beispiel fragen, warum Brasilien nicht dabei ist, dafür aber Australien. Vielleicht wird sich die Zusammensetzung in Zukunft noch ändern. Es ist ohnehin klar, dass der geplante Gipfel der Demokratien andere, bereits vorhandene Formate nicht ersetzen wird. D10 kann im besten Fall neue Impulse setzen. Es geht darum, die eigenen Werte und Strategien offensiv zu vertreten – aber auch darum, Impulse für die Zusammenarbeit zu Fragen zu setzen, die nur gemeinsam mit anderen, nicht-demokratischen Staaten gelöst werden können. Der Ort dafür ist sicher weiterhin G20, aber vor allem das System der multilateralen Organisationen. Nach Jahren der schwindenden Bedeutung des Multilateralismus sollten gerade die Demokratien zeigen, dass ihnen an friedlicher Zusammenarbeit gelegen ist und versuchen, diese Organisationen, von der UNO bis hin zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zu revitalisieren und für die Zukunft weiterzuentwickeln.