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Liberale Demokratie
Die zweite Klaus Kinkel-Lecture in Karlsruhe

Der Umgang mit illiberalen Mehrheiten und Populisten
Klaus Kinkel-Lecture

Zweite Klaus Kinkel-Lecture in Karlsruhe am am 6. Oktober 2023 

In der heutigen Welt sehen sich liberale Demokratien großen Herausforderungen in Form von Populismus und dem Aufstieg illiberaler Regime gegenüber. Jüngste Ereignisse in ganz Europa und darüber hinaus zeigen systematische Bemühungen zur Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit, zur Aushöhlung von Gewaltenteilung und zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Meinungsfreiheit.

Um diesen wichtigen Angelegenheiten zu begegnen, organisierte die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 6. Oktober 2023 in Zusammenarbeit mit der Vereinigung liberaler Juristen die zweite Klaus Kinkel-Lecture in Karlsruhe. Die Lecture findet alle zwei Jahre statt.

In einem Grußwort zu Beginn betonte Michael Theurer MdB, parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr und Vorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP) in Baden-Württemberg, dass Russlands aggressive Invasion der Ukraine nicht nur eine Verletzung der Souveränität der Ukraine darstellt, sondern auch einen direkten Angriff auf die liberale Demokratie innerhalb der Europäischen Union.

Die diesjährige Veranstaltung hatte einen prominenten Gastredner, Richter Siniša Rodin vom Europäischen Gerichtshof, der einen aufschlussreichen Vortrag hielt. Dieser wurde von einer lebhaften Podiumsdiskussion mit Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und Bundesjustizministerin a.D., begleitet. Gemeinsam beleuchteten sie die Erhaltung des Wesens der liberalen Demokratie vor dem Hintergrund sich entwickelnder politischer Dynamiken und der notwendigen Maßnahmen zum Schutz demokratischer Grundsätze auf internationaler Ebene. In der Lecture und der anschließenden Diskussion waren die folgenden Gedanken zentral. 

Siniša Rodin und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Richter Siniša Rodin vom Europäischen Gerichtshof und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und Bundesjustizministerin a.D. auf der Podiumsdiskussion

Identitätspolitik und Angriffe auf liberale Demokratien

Im Zentrum der liberalen Philosophie steht das Streben nach einem guten Leben, ohne das Leben anderer negativ zu beeinträchtigen. Dieses Prinzip erstreckt sich auf politische und verfassungsrechtliche Strukturen, die sich durch eine Regierung auszeichnen, die durch die Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt ist, durch Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und den Schutz individueller Rechte. Tatsächlich sind diese Prinzipien liberaler Demokratien hauptsächlich von rechts unter Beschuss geraten. Rechtspopulisten nutzen Desinformation, um Menschen zu manipulieren und die Werte der Demokratie zu erodieren.

Im Kern steht häufig auch eine Ausnutzung von Identitätspolitik, um die verfassungsmäßigen Grundlagen liberaler Demokratien zu untergraben. Liberale Demokratien gründen sich im Wesentlichen auf individuellen Rechten. Wenn sich Individuen zu eng mit bestimmten Gruppen identifizieren und deren Rechte über die Rechte anderer stellen wollen, schwächt dies die essentielle Architektur des demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmens.

In Krisenzeiten, wie der Covid-19-Pandemie, steigt das Risiko des Populismus, insbesondere von rechts, da er versucht, Menschen mit simplen, oft impraktikablen Lösungen zu mobilisieren, die durch Antisemitismus, Vernachlässigung von Minderheitenrechten und andere spaltende Narrativen verschärft werden. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass populistische Fraktionen florieren, wenn Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen ihrer politischen Führer nicht verstehen. Um diesen Angriff abzuwehren, müssen liberale Demokratien den Verführungen zu starker Einschränkungen individueller Rechte widerstehen und auf politische Bildung setzen.

Is Europe a beacon of human rights and the rule of law?

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Die Instrumentalisierung liberaler Institutionen

Gerichte werden in populistischen Regimen nicht als unabhängige Instanzen verstanden, sondern häufig als Instrument staatlicher Macht eingesetzt. Zugleich spielen in der heutigen Zeit die höchsten Gerichte eine bedeutende Rolle bei der Auslegung kultureller Normen, wie dies auch bei Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts der Fall ist. Diese Entscheidungen schaffen eine Erzählung, die den Bürgerinnen und Bürgern hilft, den Sinn und die Relevanz des Rechts zu verstehen. Deshalb ist die Unabhängigkeit von Gerichtsbarkeiten entscheidend für den Schutz der Grundrechte und vulnerabler Bevölkerungsgruppen. Wenn jedoch Gerichte zu Werkzeugen populistischer Regime werden, wie dies in Polen und Ungarn der Fall ist, sind ihre Unabhängigkeit und Neutralität beeinträchtigt, sodass sie nicht mehr in der Lage sind, Minderheitenrechte zu verteidigen.

Gerichte sollten unabhängig bleiben, ohne neutral oder beliebig zu sein. Dies gewährleistet, dass sie die liberale Demokratie effektiv gegen populistische Regime verteidigen können. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ein prominentes Beispiel dafür. Es ist jedoch besorgniserregend, dass seine Entscheidungen auf nationaler Ebene teilweise nicht umgesetzt oder anerkannt werden, insbesondere im Hinblick auf Reformen der nationalen Justiz. Dabei erfolgt die Instrumentalisierung der Justiz oft durch Regierungen, die Einfluss auf nationale Justizbehörden ausüben.

Gemeinsame Verantwortung der liberalen Demokratien

Um die komplexen Herausforderungen des Populismus zu bewältigen, müssen die Möglichkeiten zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Werte gründlich erforscht werden. Juristen, Richter und Anwälte sind bei dieser Bewältigung von entscheidender Bedeutung, da sie sich der Bedrohungen für die verfassungsmäßige Ordnung bewusst sein und bereit sein müssen, sie zu verteidigen. Populismus ist kein Weg, den Europa, und insbesondere die Europäische Union, anstrebt. Alle Mitgliedsstaaten bekennen sich freiwillig zu den europäischen Werten und machen dies zu ihrer europarechtlichen Verpflichtung.

Um die Legitimität der liberalen Institutionen wiederherzustellen, müssen die liberalen Demokratien das Vertrauen in diese Institutionen sichern, das durch den Populismus untergraben worden ist. Dies ist eine kollektive Verantwortung, die darauf abzielt, autokratische Regime zu bekämpfen und die liberale Demokratie zu schützen. Außerdem muss die Zivilgesellschaft wachsam bleiben, um die Aushöhlung pluralistischer Werte zu verhindern. Der beste Ansatz für die Gerichte besteht darin, ihre Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen, die institutionelle Legitimität zu stärken und für Schutzbedürftige zugänglich zu bleiben. Dies wiederum stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen, die für die Wahrung der Grundsätze der liberalen Demokratie verantwortlich sind.

Um Populismus wirksam zu bekämpfen, muss zunächst eine klare rechtsstaatliche Vision für die Zukunft entwickelt werden. Es ist wichtig, Toleranz und Respekt für die Rechte anderer aufrechtzuerhalten, ein Grundsatz, der von populistischen Regimen oft missachtet wird.