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Wahl Berlin
Die Rache der Alten

Wahl Berlin
© picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Eindeutiger Wahlgewinner in Berlin ist die CDU. Mit 28,2 Prozent und einem zweistelligen Zugewinn wurden die Christdemokraten zum ersten Mal seit 1999 wieder stärkste Kraft in Berlin. Die SPD kam auf den zweiten Platz – allerdings mit einem historisch schlechten Ergebnis und nur hauchdünn vor den Grünen, die ebenfalls an Prozenten verloren. Auch Die Linke musste Verluste hinnehmen und kam auf ihr drittschlechtestes Ergebnis bei Berliner Abgeordnetenhauswahlen. Die AfD gewann leicht hinzu, blieb aber unter den ihr in den Umfragen prognostizierten Werten. Auch die FDP erreichte ihre Umfragewerte nicht und verfehlte mit 4,6 Prozent den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus.

Soweit die nüchternen Fakten. Aber: Was sind die Hintergründe? Und wo führt das alles hin? Die Wahlanalyse von Infratest dimap bietet hier einigen Stoff zum Nachdenken.

1. Bemerkenswerte Wählerwanderungen

Die Politikwissenschaft wird sich einige Zeit damit beschäftigen können, ob hinter den Wanderungsbewegungen der Wählerinnen und Wählern zwischen den Parteien (gemessen von Infratest dimap) bei dieser Wahl irgendeine Form von Rationalität steht.

Zunächst die Nachweise für die Ohrfeigen, die an die drei Koalitionsparteien verteilt wurden: Die SPD hat, bei massiven Stimmenverlusten, von den Grünen (also dem bisherigen Koalitionspartner) 12.000 Stimmen und von der FDP 2.000 ehemalige Wählerstimmen hinzugewonnen, aber an die CDU 53.000 Wählerinnen und Wähler verloren. Und, noch bemerkenswerter: Die ehemaligen SPD-Wählerinnen und Wähler sind in Scharen (-57.000) nicht zur Wahl gegangen. Die Grünen haben 15.000 ehemalige Stimmen an die CDU verloren, 2.000 an die FDP und 1.000 an die AfD. Und auch hier: 23.000 ehemalige Grünen-Stimmen wanderten ins Nichtwählerlager. Die Linke, als Dritter im rot-grün-roten Bunde, hat 10.000 Stimmen an die CDU und 7.000 Stimmen an die AfD verloren, zudem an die Nichtwählergruppe gleich 40.000. Vor dem Hintergrund, dass es für die bisherige Koalition in Berlin bei dieser Wahl sprichwörtlich „um Alles“ ging, sind das schon bemerkenswerte Zahlen, über die man eigentlich nicht hinwegsehen kann.

Auch unter den bisherigen Oppositionsparteien hat der Nichtwahl-Trend gewildert: Die CDU gewann vor allem von der SPD (+53.000), von der FDP (+29.000) und von den Grünen (+15.000, für Berliner Verhältnisse höchst bemerkenswert) hinzu – gleichzeitig verlor die CDU 23.000 ehemalige Stimmen ans Nichtwählerlager. Die AfD verlor an die CDU (-5.000) und – nach bisherigen Wahlen durchaus untypisch – an die Nichtwähler (-26.000). Die FDP gewann nur von den Grünen (+2.000) hinzu, verlor aber massiv an die CDU (-29.000) und an die Nichtwähler (-25.000).

2. Generationen-Wahl?

Der Wahlsieg der CDU stützt sich vor allem auf die Älteren: Zugewinne für die Christdemokraten gab es vor allem bei den über 45-Jährigen – also der personenstärksten Bevölkerungsgruppe. Die SPD dagegen verlor vor allem bei den über 60-Jährigen. Die Grünen wurden bei den unter 45-Jährigen in allen drei Alterssegmenten stärkste Partei in Berlin, lagen dafür aber schwächer bei den Älteren, die allerdings an Wählerstimmen immer noch die Masse machen. Und: Die Grünen haben in Berlin eine feste Bank bei den Frauen unter 45 Jahren.

Die CDU hat bei dieser Wahl auch in der Gruppe der Rentnerinnen und Rentner deutlich die SPD überholt, die dort bislang vorn lag. So liest sich das Wahlergebnis auch in gewissem Maße als ein spezielles Votum der Älteren in Berlin, die ihren Willen für einen Politikwechsel erkennbar deutlich zum Ausdruck gebracht haben.

Interessant ist auch: Die Grünen erzielen ihre besten Ergebnisse – mit weitem Vorsprung vor den anderen Parteien - bei den Personen, die seit weniger als zehn Jahren in Berlin leben, während die CDU besonders stark bei denen ist, die seit mehr als 20 Jahren hier leben. Hier scheinen sich gewisse Vorurteile gegenüber der grünen Klientel zu bestätigen.

3. Protest und Überzeugung

Es wurde bei dieser Wahl seltener als zuvor aus Überzeugung für die jeweilige Partei, und öfter aus Enttäuschung über andere Parteien abgestimmt. Erstaunlich ist besonders, dass die Wählerinnen und Wähler der CDU mehrheitlich angeben, aus Enttäuschung votiert zu haben – die CDU als Protestpartei kennt man von anderen Wahlen so nicht. Und mit Ausnahme der AfD-Wählerschaft äußern sich die übrigen Wählergruppen mehrheitlich von den jeweilig gewählten Parteien überzeugt.

4. Themen und Protest?

Ausweislich einer Vorwahlbefragung von Infratest dimap waren „Sicherheit und Ordnung“ und „Wohnen“ die für die Wählerinnen und Wähler wichtigsten Themen im Vorfeld dieser Wahl. Eine besondere Kompetenzbeimessung zum ersten Bereich gab es für CDU und AfD, während die Parteien der rot-grün-roten Koalition eher schlechte Werte erzielten. Beim Thema Wohnen wurde Die Linke relativ stark bewertet, die SPD mittel und die Grünen schwach. Eine Auswirkung dieser inhaltlichen Positionierung der Wählerschaft, speziell beim Thema Sicherheit und Ordnung, auf das Wahlergebnis ist offensichtlich; speziell auch die grundsätzlich hohe Affinität älterer Wählerschichten hat hier die Ergebnisse bedingt.

Die FDP kam beim Thema Wohnen auf einen erstaunlich hohen Wert an Kompetenzbeimessung. Die übrigen Stärken der FDP – Bildung, wo sie sehr hoch bewertet wurde, und Verkehr, wo eine überproportionale Beimessung erfolgt - zogen allerdings bei den Wählerinnen und Wählern nicht ausreichend. Zudem blieb das Thema Preissteigerungen für den Wahlausgang ohne Bedeutung.

5. Bewertung von Regierung und Opposition

Hauptsächliche Wahlmotivation scheint die bemerkenswert große Unzufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat gewesen zu sein. Nur die SPD-Anhängerschaft äußerte sich vor der Wahl knapp mehrheitlich zufrieden mit der Arbeit des Senats, bei den Grünen-Anhängern waren es nur 43 Prozent, bei denen der Linkspartei nur 35 Prozent. Die Zahlen bei den übrigen Parteianhängern waren verheerend.

Allerdings: Auch der Glaube, dass die CDU es besser machen und die Probleme lösen würde, ist eher gering verbreitet. Nur die Anhängerschaften von CDU und FDP waren vor der Wahl mehrheitlich dieser Auffassung. Und einige derjenigen, die in den Vorwahlumfragen eine Wahlabsicht für die FDP geäußert hatten, sind dann offensichtlich auch noch zur CDU gewechselt.

6. Kernkompetenzen

Die Umfragenlage kurz vor der Wahl war nicht gerade von überragendem Vertrauen in die Parteien getragen. Dass die wichtigsten Probleme der Stadt durch die jeweiligen Parteien gelöst werden, erwarteten von der CDU 27, von der SPD 17, von den Grünen 13, von der Linkspartei 6, von der AfD 5 und von der FDP 3 Prozent – ganze 25 Prozent erwarteten das von keiner der Parteien. Bei der Frage, welche der Parteien die besten Antworten auf Fragen der Zukunft haben, nannten 20 Prozent die Grünen, 17 Prozent die CDU, 9 (!) Prozent die SPD, 5 Prozent die FDP und die AfD, 4 Prozent Die Linke. Aber: 35 Prozent trauen das keiner der Parteien zu.

7. Und jetzt?

Was nun geschehen wird im ewig unfertigen Berlin, und wie die Parteien mit dem Wahlergebnis umgehen, scheint offen. Die CDU erhebt natürlich einen Führungsanspruch, dem aber möglicherweise die Auffassung der bisherigen Koalition entgegensteht, dass man ja schließlich als Block wiedergewählt worden sei. Geht man – wie hier versucht – in der Wahlanalyse in die Tiefe, kann man tiefer liegende Gründe für den Wahlausgang erkennen, die eine Art von Wählerwillen durchaus nahelegen.