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Türkei
Wie Erdogan seine Macht im Ausland ausbauen will

Erdogan
© picture alliance / AA | Metin Aktas

Für Ankara war die Pandemie von Beginn an mehr als eine gesundheitspolitische Herausforderung. Die Krise bot eine Chance zur außenpolitischen Profilierung. Die Türkei inszeniert sich dabei als Retter für viele Länder. Auf der anderen Seite verschärft sich der Disput mit Ländern wie Griechenland. 

Für Fahrettin Altun, den Kommunikationsdirektor des türkischen Präsidenten, gehört Selbstlob zur täglichen Routine. Das Klopfen auf die eigene Schulter ist in diesen Tagen besonders laut. Eine wichtige Zielgruppe ist das Ausland, wo es um das Image der Türkei nicht überall zum Besten steht. "Als Friedensstifter im östlichen Mittelmeer, Nordafrika, dem Mittleren Osten, dem Kaukasus und auf dem Balkan schreibt die Türkei eine beispiellose Erfolgsgeschichte", sagt der Kommunikationschef. Bei der Eindämmung der Pandemie habe Ankara "der ganzen Welt eine Lektion erteilt".

In dieser Welt ist ein Wettbewerb im Gange über die Deutungshoheit im Krisenmanagement. Dabei geht es auch um die Legitimation von politischen Systemen. Bei der türkischen Regierung ist der Drang nach Anerkennung besonders ausgeprägt. Für Ankara war die Pandemie von Beginn an mehr als eine gesundheitspolitische Herausforderung. Die Krise bot eine Chance zur außenpolitischen Profilierung: "Wir sind nicht das reichste Land der Welt, wohl aber das großzügigste", sagte Außenminister Mevlut Cavusoglu.

Daraufhin hat die Türkei große Mengen an medizinischem Geräten in die Welt verfrachtet. In der offiziellen Öffentlichkeitsarbeit nimmt die "Maskendiplomatie" breiten Raum ein. "Zwei Drittel der Welt hat die Türkei um Hilfe gebeten und die Gesuche von 81 Ländern wurden erwidert", berichtet die regierungsnahe "Daily Sabah" unter der Überschrift "Botschafter loben den Kampf der Türkei im Kampf gegen das Virus".

Charme-Offensive ist nur die eine Seite von Erdogans Außenpolitik

Die Charme-Offensive ist nur eine Seite der Außenpolitik Ankaras. Gleichzeitig setzt die Türkei ihre Interessenpolitik jenseits der Landesgrenzen mit Nachdruck fort. Auffällig ist die Verlagerung des Schwerpunktes in das östliche Mittelmeer, nach Libyen und die angrenzenden Seegebiete.

Der Krieg in Syrien hat zuletzt an Brisanz verloren. Der Anfang März zwischen Moskau und Ankara ausgehandelte Waffenstillstand hat zu einer Entspannung geführt. Die Konfliktparteien gönnen sich eine Verschnaufpause. Laut türkischen Medienberichten hat sich die Lage in den von Ankara kontrollierten Zonen im Norden Syriens weitgehend beruhigt. Das Innenministerium vermeldet, über 400.000 syrische Flüchtlinge seien aus der Türkei nach Syrien zurückgekehrt. Eine unabhängige Bestätigung hierfür ist nicht bekannt.

Aufstrebende Regionalmacht

Präsident Erdogan hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Türkei als aufstrebende Regionalmacht politische und wirtschaftliche Interessen weit jenseits der eigenen Landesgrenzen verfolgt. Ein Paradebeispiel für Ankaras Ambitionen ist Libyen. Im Ringen um Macht und Einfluss in dem nordafrikanischen Wüstenstaat hat Präsident Erdogan hoch gepokert. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass er gut im Rennen liegt.

Im November letzten Jahres vereinbarte Ankara mit der militärisch stark bedrängten Einheitsregierung (Government of National Accord, GNA) zwei weitreichende Abkommen. Zum einen ging es um die Abgrenzung des Festlandssockels, in einem zweiten Vertrag um die militärische Zusammenarbeit. Es dauerte nicht lange und die Türkei wurde zur wichtigsten Stütze des in der belagerten Hauptstadt Tripolis ums Überleben kämpfenden Regierungschefs Fayez Al-Sarraj.

In jüngster Zeit hat es – um die "New York Times" zu zitieren - eine "atemberaubende Umkehr" auf dem libyschen Schlachtfeld gegeben. Mit Hilfe von türkischen Kampfdrohnen und Militärberatern sowie von Ankara rekrutieren syrischen Söldnern wurden die Verbände des Rebellengenerals Khalifa Haftar zurückgedrängt.

Laut Medienberichten kämpfen auf der Seite der GNA bis zu 10 000 syrischen Milizionäre, die mit dem türkischen Militär verbunden sind. Auch auf der Gegenseite riskieren Söldner aus dem Ausland ihr Leben. Ein vertraulicher Bericht der Vereinten Nationen erwähnt bis zu 1200 Kämpfer der russischen Sicherheitsfirma Wagner, der enge Beziehungen zum Kreml nachgesagt werden.

"Libyen gehört der Türkei"

In Libyen wütet ein blutiger Stellvertreterkrieg. Die von den Vereinten Nationen anerkannte GNA erhält Hilfe aus der Türkei, Katar und Italien. Auf der Seite Haftars stehen ÄgyptenSaudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Frankreich und nicht zuletzt Griechenland.

"Libyen gehört jetzt der Türkei", lautet die Überschrift einer aktuellen Studie des Europäischen Rates für Auswärtige Beziehungen (ECFR). Die neue Stärke Ankaras sei ein Ergebnis des Scheiterns der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar. Wir erinnern uns: Auf deutsche Initiative waren die Konfliktparteien Anfang des Jahres zusammengekommen und hatten einem 55-Punkte-Plan zugestimmt. Dieser verlangt unter anderem den Rückzug ausländischer Söldner, die Durchsetzung eines Waffenembargos und Wirtschaftshilfen für den Wiederaufbau des verwüsteten Landes. Es blieb bei Absichtserklärungen. Seit Berlin ist die Militarisierung des Konfliktes vorangeschritten, aus unterschiedlichen Kanälen fließt Kriegsgerät ins Land. Bei all dem mischt Ankara kräftig mit.

Was in Libyen passiert, hat weitreichende regionalpolitische Auswirkungen: "Haftars Verluste stärken die Position der Türkei im östlichen Mittelmeer", schreibt Burhanettin Duran in "Daily Sabah". Das bezieht sich vor allem auf den Streit über die maritimen Hoheitsrechte, der die Beziehungen der Anrainer zusehends vergiftet.

Mit ihrem Vertrag mit Tripolis ist es den Türken erstmals gelungen, mit einem Anrainerstaat die Seegrenzen festzulegen. Für die übrigen Anrainerstaaten – allen voran Griechenland und Zypern – ist das Abkommen ein rotes Tuch. Denn es fußt auf der völkerrechtlich problematischen Prämisse, dass Inseln keinen Festlandsockel haben. Damit stellen die Türkei und ihre libyschen Verbündeten die Hoheit in den Küstengewässern der Nachbarn in Zweifel.

Anakars Energieminister goss Öl ins Feuer

Ankaras Energieminister Fatih Donmez hat mit seiner Ankündigung, die Türkei werde in "drei bis vier Monaten" Probebohrungen im östlichen Mittelmeer durchführen, Öl ins Feuer gegossen. Griechenland und Zypern können sich in dem maritimen Disput auf den Beistand der Europäer verlassen. Bereits im vergangenen November hatten die EU-Außenminister wegen "illegaler Probebohrungen" der Türkei im Umkreis der Republik Zypern Sanktionen gegen Ankara verhängt. 

Mitte Mai wiederholte die EU ihren Appell an Ankara "die Souveränität und die souveränen Rechte Zyperns in Einklang mit dem internationalen Recht" zu respektieren. Bei den Adressaten blitzte die diplomatische Schelte aus Brüssel ab: Der türkische Außenamtssprecher kritisierte seinerseits die "ungerechten und illegalen Ansprüche Griechenlands und der griechisch-zypriotischen Verwaltung". Diese trügen nicht zu Frieden und Stabilität in der Region bei.

Flugmanöver der türkischen Luftwaffe über oder im Umfeld griechischer Ägäis-Inseln haben die Spannungen an der Südostflanke der NATO zuletzt angeheizt. Ankara anerkennt die von Athen beanspruchten Hoheitszonen im Umkreis seiner Inseln nicht, was immer wieder zu Zwischenfällen führt.

Vor neuer Eskalation an Europas Außengrenze?

Ein vergleichsweise neues Kapitel im türkisch-griechischen Dauerstreit ist die Flüchtlingsfrage. Ende Februar, kurz vor Ausbruch der Pandemie, hatte Präsident Erdogan seine Drohung wahrgemacht und die Landgrenze nach Griechenland geöffnet. Der Vorgang löste in Griechenland und in weiten Teilen Europas Panik aus. Die Bilder vom Ansturm auf Europas Außengrenze gingen um die Welt, ebenso die Botschaft, die EU unterstützt die Abschottungspolitik Athens.

Die Lage an der thrakischen Grenze hat sich im Zuge der Pandemie beruhigt; die türkischen Behörden haben die Menschen wegtransportiert. Vom Tisch ist das Thema für die türkische Regierung allerdings nicht. In einem TV-Interview sagte Außenminister Cavusoglu, der Strom der Migranten habe sich wegen der Pandemie verlangsamt. Wörtlich ergänzte der Minister: "Nachdem der Corona-Ausbruch vorbei ist, werden sie zurückgehen wollen. Und ich sage dies nicht als Drohung."

In Griechenland (und nicht nur dort) werden die Minister-Worte durchaus als "bedrohlich" interpretiert. Die europäische Polizeibehörde Europol rechnet damit, dass sich die Eskalation an der türkisch-griechischen Grenze bald wiederholen könnte. Die Athener Regierung hat neue Polizeikontingente an die Grenze beordert, die Befestigungen verstärkt.

"Wir haben den Notstand niemals ausgesetzt. Nach den Äußerungen aus der Türkei rechnen wir mit neuem Druck an unseren Grenzen", sagt Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos.

 

Dieser Artikel erschien am 05. Juni bei Focus online und ist auch hier zu finden.