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„Viele Gefangene wissen nicht, was Menschenrechte sind“

Menschenrechtsclubs klären in Marokkos Gefängnissen auf
gefangen

Menschenrechtsclubs in Gefängnissen sind bislang einmalig in der arabischen Welt.

© iStock-JayKay57

Zum heutigen Tag der Opfer des Verschwindenlassens wirft die Stiftung für die Freiheit einen Blick nach Marokko und zeigt, wie Menschenrechtsclubs in Haftanstalten einen wichtigen Beitrag leisten können. Noch in den 70er und 80er Jahren verschwanden etliche Menschen und oder starben aufgrund von Folter und schlimmer Zustände in den Gefängnissen. Seitdem hat Marokko einige Schritte in die richtige Richtung gemacht: eine Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit wurde gegründet und Haftbedingungen verbessert.

Als Opfer des Verschwindenlassens gelten Menschen, die von staatlichen oder semi-staatlichen Gruppen gegen ihren Willen festgehalten oder ohne rechtliche Grundlage und ohne Rechtsbeistand inhaftiert werden. Diese Form der Freiheitsberaubung wird oft gegen politische Gegner und vermeintliche Verbrecher angewandt. Dabei leugnen die staatlichen oder semi-staatlichen Stellen etwas mit dem Verschwinden der Menschen zu tun zu haben oder etwas über deren Verbleib zu wissen.

Monatliche Treffen in Menschenrechtsclubs

Besuch bei Khalid El Kafi, Direktor des Gefängnisses Arjaate 1, außerhalb von Rabat. 20 Gefangene in einem Raum, von denen zehn einen Menschenrechtsclub des Centre de Droits de Gens (CDG) bilden sollen. Diese werden in monatlichen Treffen Themen behandeln und aufbereiten. Wertevermittlung steht für CDG-Präsident Jamal Chahdi im Vordergrund seiner Aktivitäten. Ein Freund eines Gefangenen sagt: „Es gibt viele Gefangene in Marokko, die gar nicht wissen, was Menschenrechte sind. Wenn Sie die fragen, wird die Antwort sehr kurz ausfallen.“ Direktor Kafi ist stolz, dass seine Justizvollzugsanstalt weltweit eine der ersten ist, in der ein solches Konzept angewandt wird und erhofft sich, dass dadurch auch Gewalt in Gefängnissen reduziert wird. Weitere Clubs in anderen Haftanstalten werden folgen.

Mit dieser Offenheit und diesen Bemühungen für Menschenrechte hat Marokko bereits einen weiten Weg zurückgelegt. Nach zwei Putschversuchen 1971 und 1972 reagierte König Hassan II harsch. Menschen verschwanden und wurden gefoltert. Die Zustände in Gefängnissen und Verwahranstalten waren oft verheerend. So waren die Haftbedingungen des geheimen Gefängnisses Tazmamart die größte Bedrohung für die Insassen. Auf Druck von Menschenrechtsorganisationen und ausländischen Regierungen wurde es 1991 geschlossen. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung war, dass neben dem Conseil Consultatif des Droits de l’Homme andere staatliche Stellen offiziell den Tod von „Verschwundenen“ in geheimen Gefängnissen zugaben.

Veränderung brachte König Muhammad VI., der im Juni 1999 den Thron bestieg und eine Wahrheitskommission gründete,  die erste in der arabisch-islamischen Welt. Mehr noch: die Instance d’équité et réconciliation (IER) ist die weltweit einzige Kommission, bei der ein fortbestehendes Regime sich selbst untersuchen lässt. 2006 wurden rund 4.000 Menschen entschädigt. Jedoch wird beklagt, dass das IER keine juristischen Schritte gegen Täter unternehmen kann.

Menschenrechtsfortbildungen vonnöten

Dennoch sind marokkanische Haftanstalten keine Hotels und die Haftanstalten, die noch aus den bleiernen Jahren Hassans II stammen, entsprechen nicht internationalen Standards. Aufgrund der großen Zahl an Häftlingen stellt auch die gesundheitliche Betreuung, neben der Resozialisierung von Frauen und Männern, eine Herausforderung dar. Zudem fehlt bei Gefängnispersonal und Gefängnisinsassen gleichermaßen das Wissen über Menschenrechte.  

Hier setzt die gemeinsame Arbeit des CDG und der Stiftung für die Freiheit an. Das CDG arbeitet derzeit mit dem marokkanischen Justizministerium zusammen, um das bestehende Strafvollzugsrecht abzuändern, damit alternative Formen der Strafe oder Verwahrung möglich werden, um so die Überbelegung in den Haftanstalten zu reduzieren.

Zudem organisiert das CDG seit 1999 mit Herzblut Menschenrechtsfortbildungen: Workshops für Gefängniswärter, Seminare für Gefängnisdirektoren,  Weiterbildungen am Arbeitsplatz, Schulungen für Gefangene etc. Aber so viel Positives und auf Chancen Ausgerichtetes wie heute hörten die Menschenrechtsaktivisten anfangs nicht: Immer wieder stießen sie bei den Ausbildungen für Gefängniswärter auf Widerstand. Im Laufe der Ausbildungen kristallisierte sich für die Direktoren und Wärter jedoch ein interessanter Vorteil der Menschenrechtsbildung heraus: Wärter und Direktoren, die die Menschenrechtsausbildung durchlaufen hatten, wurden eher befördert. Nun sind sie Fortbildungen gegenüber aufgeschlossener.

Extremismus und Radikalisierungen stellen in den Gefängnissen vielerorts eine besondere Problematik dar. Die Arbeit des CDG, insbesondere durch Schulungen für Gefangene in sogenannten „Menschenrechtsclubs“, kann bei der Bekämpfung der Radikalisierungsgefahr im Strafvollzug einen wichtigen Beitrag leisten. Derartige Menschenrechtsclubs in Gefängnissen sind bislang einmalig in der arabischen Welt.

Mehr zur Entstehung und Arbeit der Menschenrechtsclubs in Marokkos Gefängnissen erfahren Sie im Fokus Menschenrechte.

Olaf Kellerhoff ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko.