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Ukraine
„Oma, was weinst du denn?“ Bring Back Kids to Ukraine

Konferenz über die Entführung ukrainischer Kinder durch russische Truppen
Konferenz
© Valeriia Buchuk

Rechtswidrige Abschiebungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen ukrainischer Kinder: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 trifft in besonderem Maße schutzbedürftige Kinder und Jugendliche. Auf einer Konferenz der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der FDP-Fraktion und Konrad-Adenauer-Stiftung im Bundestag diskutierten Politikern aus der Ukraine und Deutschland, Journalisten, Vertreter von NGOs und Rechtsexperten mögliche Hilfsmaßnahmen zur Rettung der ukrainischen Kinder sowie politische und rechtliche Konsequenzen.

Die nüchternen und zugleich bewegenden Worte des Zehnjährigen Ilya aus Mariupol rührten den gefüllten Saal im Bundestag. Im Rahmen der Veranstaltung „Bring Back Kids to Ukraine“ schilderte Ilya mit fester Stimme von den traumatischen Kriegserlebnissen und den russischen Verbrechen in Mariupol. Ilya erlebte mit seinem Bruder und seiner Mutter in der mittlerweile komplett zerstörten Stadt Mariupol dauerhaft Luftangriffe und Stromausfälle. Seine Mutter wurde durch einen russischen Angriff getötet, er selbst erlitt eine schwere Verletzung am Bein und wurde von den russischen Besatzern in ein Krankenhaus nach Donezk verschleppt. Dort wurde er gezwungen am Russisch-Unterricht teilzunehmen und wurde mit russischer Propaganda indoktriniert. Durch Zufall sah seine Großmutter Ilya in einem russischen Propaganda-Video. Mit Hilfe von ukrainischen Organisationen konnte Ilya gerettet und zu seiner Großmutter gebracht werden. Nach seinen schrecklichen Ausführungen lief Ilja durch den großen Saal im Marie-Elisabeth-Lüders Haus zu seiner Großmutter, die ihn weinend in die Arme schloss. „Oma, was weinst du denn?“, fragte er sie mit vorwurfsvollem Ton, dass dies nicht nötig sei.

Ilyas Schicksal ist eines von vielen und bereits seit 2014 gängige Praxis. Davon berichtete auch der Investigativ-Journalist Arndt Ginzel, der 2015 von Russland verschleppte Kinder und Jugendliche in dem russischen besetzen Gebiet Luhansk ausfindig machen und interviewen konnte. Insbesondere die Jugendlichen wurden damals schon von Russland an die Front gegen die Ukraine geschickt. Obwohl es auch schon damals nicht an Berichterstattung über Fälle wie diesen mangelte, riefen die von Russland gezwungen Kindersoldaten damals keine nennenswerte Reaktion in der internationalen Staatengemeinschaft hervor.   

Dimensionen und (fehlende) Folgen der Deportationen

Seit Ausbruch des großangelegten russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben die russischen Besatzungstruppen massive Menschenrechtsverletzungen begangen und die Deportation ukrainischer Kindern zu einem unvorstellbaren Ausmaß vorangetrieben. Seit Februar 2022 haben die russischen Besatzer mindestens 19.546 Kinder verschleppt – die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher sein. Mehrere ukrainische Vertreter und Vertreterinnen berichteten über das Ausmaß und der fehlenden rechtlichen und internationalen Verfolgung der Deportationen.

So betonte der ukrainische Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev, die Notwendigkeit, dass diese Verbrechen an Kindern und Jugendlichen mehr Beachtung in der Öffentlichkeit finden müssten. Nötig seien neben der Präsenz in den Medien ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft und bei Entscheidungsträgern. „Die Bundesregierung hat mit diesem Ausmaß dieser Verbrechen eine weitere Grundlage, um die Sanktionen zu verschärfen“, so Makeiev. Es sollten alle Kräfte gebündelt werden, um die Situation für Kinder zu verbessern. Wenn das Ausmaß der Deportationen bekannt sei, dann würden sich Wirtschaftsunternehmen überlegen, ob eine weitere Zusammenarbeit mit Russland unter diesen Umständen noch tragbar sei. Botschafter Makeiev unterstrich, dass es keine europäischen Werte in Russland gebe und forderte: „Es ist Zeit für Isolation.“

Daria Herasymtschuk, Präsidialbeauftragte der Ukraine für Kinderrechte und Kinderrehabilitation, betonte, dass das russische Vorgehen in der Ukraine Zwangsdeportierung sei und „ein Zeichen für einen Genozid. Es gibt einen Plan, ukrainische Kinder zu töten, zu verletzen und zu indoktrinieren.“ Zwar gelten die Genfer Konvention und die UNO Konvention für Kinder auch für Russland, aber die rechtliche Durchsetzung funktioniere nicht, wenn ein Land wie Russland internationale Konventionen komplett missachtet. Humanitäre Fluchtkorridore würden nicht eingehalten, Kinder misshandelt oder aus Kindereinrichtungen von Russen entführt. „Wir brauchen ein neues globales System zum Schutz der Kinder. Wir brauchen Hilfe.“

„Täglich kommen Informationen, die Anzahl der Zivilisten, die Prothesen brauchen, ist immens hoch“ berichtet Yulia Usenko, Leiterin der Abteilung für Kinderrechtsschutz und Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine. Deportation, Folter, Angriffe auf Schulen, Verweigerung humanitärer Hilfe seien Verbrechen, die Russland gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer verübe. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft arbeitet mit dem Internationalen Strafgerichtshof, internationalen Medien und der UNO zusammen. Eine internationalen Ermittlungsgruppe mit über 20 Ländern tauscht untereinander Beweismittel aus, um die Ermittlungen zu beschleunigen.  „Auch Deutschland hat Ermittlungen aufgenommen. Die ganze Welt muss sehen, was geschieht.“
Sie legte außerdem dar, wie die Russische Föderation Mythen über die Deportationen verbreite. Demnach gebe es laut russischer Propaganda 43 sogenannte „Erholungscamps“ in Russland, in die ukrainische Kinder geschickt werden. Tatsächlich werden ukrainische Eltern in den von Russland besetzen Gebieten dazu gezwungen, ihre Kinder in die Camps zu schicken. Die Kinder müssen ihre Telefone abgeben und werden monatelang von ihren Eltern getrennt. Die internationalen Mechanismen zur Rückholung der Kinder funktioniere nicht ausreichend. „Wir müssen alle zusammen handeln, wir müssen Mechanismen erschaffen und hoffen auf die Unterstützung Ihres Landes.“ Sie plädierte für ein Tribunal und forderte ein Moratorium, damit die Kinder ihre ukrainische Staatsangehörigkeit behalten und dass rechtswidrige Adoptionen für nichtig erklärt werden müssen. Abschließend erklärte Usenko: „Wir stehen zusammen, um den Kampf fortzusetzen."

Verhinderung der Kindesdeportationen – vor allem eine Frage der militärischen Unterstützung für die Ukraine

Dass das Ausmaß dieser Gewalt letztlich nur gestoppt werden kann, wenn die Ukraine den russischen Aggressor aus dem Land militärisch vertreiben kann, hoben mehrere Vertreter aus der Politik hervor. Darunter auch Gastgeber Marcus Faber, AG-Leiter der FDP-Fraktion im Verteidigungsausschuss, der erklärte, dass die Ukraine militärisch weiter unterstützt werden müsse. Fünf Prozent des möglichen Bestandes sei geliefert worden, das sei zu wenig. „Wir werden das [russische] Regime nicht von weiterer Aggression abhalten, indem man es belohnt, dass es sein Nachbarland überfällt“, sagte Faber. Die Ukraine müsse befähigt werden, die Invasionstruppen zurückzuschlagen. Wichtig sei zudem die politische Isolierung, denn „dann wird dieses Regime kippen und dazu werden wir es bringen.“ Auch Roderich Kiesewetter, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, erklärte, dass es ein klares Bekenntnis von Deutschland brauche. „Dieses Land muss mehr tun und das könnten wir, indem wir einen Pakt schließen mit den Grenzen von 1991." Marieluise Beck, Direktorin Osteuropa - Zentrum Liberale Moderne, warnte vor dem russischen Narrativ, dass die Kinder „gerettet“ würden und im angeblichen Mutterland Russland Schutz erhielten. Durch die gezielte Verteilung russischer Pässe und Verschleppung ukrainischer Kinder in russische Waisenhäuser ist dies als „eine kulturelle Vernichtung des ukrainischen Volkes“ zu verstehen und die „Kriterien der Zerstörung eines Volkes“ seien erfüllt. „Solange nicht gesagt wird, dass die Ukraine den Krieg gewinnen soll, finde ich, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die ungebremste Gewalt weitergeht.“

Informieren Sie sich auch über die Petition #BringBackKidsUA
https://bringkidsbackua.info/

Konferenz
© Valeriia Buchuk