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Mobilitätskongress
"Mobilität ist eine Grundbedingung für eine selbstbestimmte und mobile Gesellschaft"

Mobilität 4.0 – Innovative und vernetzte Konzepte für den Verkehr der Zukunft
Dr. Volker Wissing MdB, Bundesminister für Digitales und Verkehr

Dr. Volker Wissing MdB, Bundesminister für Digitales und Verkehr

© Frank Nürnberger

Wir dokumentieren die Rede des Bundesministers für Digitales und Wirtschaft, Dr. Volker Wissing, in Auszügen:

Herzlichen Dank, liebe Frau Budras, lieber Herr Paqué, liebe Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, aus Wissenschaft, Verbänden, liebe Gäste, meine Damen und Herren!

Es ist gesagt worden: Mobilität ist Freiheit, und Mobilität braucht Freiheit. Sich frei, sich eigenverantwortlich fortbewegen zu können, ist ein Grundbedürfnis der Menschen, und weil es für uns so selbstverständlich ist, dass wir das brauchen, ist es uns im Alltag manchmal nicht bewusst, wie wichtig das für uns ist und was wir leiden, wenn wir das nicht haben. Aber wir haben das erfahren müssen während der Pandemie zu diesen Lockdown Zeiten, als man sich nicht mehr frei bewegen konnte, nicht reisen konnte, auch nicht planen konnte, keine Vorfreude entwickeln konnte auf entdecken, Neues sehen, was das mit Menschen gemacht hat, soziale Kontakte eingeschränkt und vieles mehr. Deswegen ist es so wichtig, dass wir unsere Gesellschaft mobil halten, und ich bin als Bundesverkehrsminister angetreten, genau das zu tun.

Es ist die ureigenste Aufgabe eines Verkehrsministers, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft mobil bleibt. Ein Verkehrsministerin, Infrastrukturminister, muss dafür sorgen, dass die Bedürfnisse der Gesellschaft ernst genommen werden und dann vorausschauend die Infrastrukturen geschaffen werden, auf deren Grundlage eine Gesellschaft sich frei entfalten kann und Menschen sich frei bewegen können. Das ist aus meiner Sicht einer der Kern Konflikte, den wir auch innerhalb der Koalition austragen und der auch öffentlich diskutiert wird. Wer soll sich um die Infrastruktur der Zukunft kümmern, wenn nicht ein Verkehrsminister, und deswegen wäre es Arbeitsverweigerung, würde ich nicht so handeln, wie ich handle.

Mobilität als Grundbedingung für eine selbstbestimmte und mobile Gesellschaft

Mobilität ist kein Luxus, sie ist eine Grundbedingung für eine selbstbestimmte und mobile Gesellschaft, und das muss in Zukunft so bleiben. Wir stehen vor einer Transformation. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft klimaneutral wird, und das ist im Mobilitätssektor nicht einfach. Es ist nicht so einfach, im Verkehrssektor schnell Klimaschutzziele zu erreichen. Die Transformation ist aufwendig. Die Fahrzeugindustrie muss neue Technologien implementieren, neue Fahrzeuge müssen entwickelt werden. Dazu brauchen wir auch neue Infrastrukturen. Wir denken an die Ladeinfrastruktur oder auch an Wasserstoff Tankstellen. Diese Infrastrukturen müssen erst geschaffen werden, und deswegen braucht die Zeit. Jetzt haben wir schon viel Zeit verloren in den letzten Jahren, und viele fragen sich, kann man nicht noch mehr Gas geben. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns nicht überheben dürfen, indem wir Klimaschutzpolitik im Mobilitätssektor so betreiben, dass die Mobilität abreißt oder Güterströme abreisen, Logistikketten gestört werden. Warum? Weil ich der Meinung bin, dass Klimaschutz nur dann nachhaltig ist, wenn die Menschen ihnen als Fortschritt empfinden. Wenn sie ihnen als Belastung empfinden, wollen sie ihn wieder loswerden. Und das wäre keine vernünftige Politik.

„Mobilität muss vom Einzelnen gedacht werden“

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Mobilität erlebt gerade einen fundamentalen Wandel: Elektromobilität und alternative Kraftstoffe sind auf dem Vormarsch und auch die Infrastruktur benötigt dringend ein Update Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Darüber diskutierten zahlreiche Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Rahmen des Mobilititätskongresses auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 7. März 2023 im Berliner Congresscentrum.

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„Wir können uns nicht in politisches Wunschdenken verlieren“

Man muss sich mit der Frage beschäftigen, was brauchen die Menschen? Wie wollen sie sich bewegen, wie verhalten sie sich, wie ist ihr Konsumverhalten? All diese Fragen sind vom Menschen aus zu beantworten und eben nicht von einer Obrigkeit Perspektive, weil wir dann nicht Fortschritt in die Gesellschaft bringen, sondern Zwang, Verbot, Einschränkung. Das wird als Rückschritt empfunden und hat keine Perspektive. Deswegen habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie können wir dafür sorgen, dass künftig Pendler, Handwerker zu ihrer Arbeit kommen, an ihre Arbeitsstellen kommen? Wie können Güter waren transportiert werden? Rohstoffe, Fertigteile? Wir brauchen dafür Antworten, und zwar realistische Antworten. Wir können uns nicht in politisches Wunschdenken verlieren, sondern müssen die Bedürfnisse der Gesellschaft ernst nehmen. Wie machen wir das? Vorausschauende Verkehrspolitik basiert auf Verkehrsprognosen. Wir müssen uns genau anschauen, wie wird sich die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? Was sind die Prämissen, die wir kennen? Das haben wir gemacht, indem wir über 250 Stellen beteiligt haben, übrigens auch Umweltverbände, Umweltorganisationen, und die Frage aufgeworfen haben, was sind die Prämissen, auf Grundlage derer sich der Verkehr in den nächsten Jahren entwickelt wird, entwickeln wird?

Wenn wir zurückblicken auf die letzten Jahre, dann sehen wir disruptive Veränderung unseres Alltags: die Pandemie, davor die Flüchtlingskrise, jetzt der Krieg in der Ukraine. Fast jedes Jahr kommen neue Dinge hinzu, die grundlegende Veränderungen herbeiführen, und deswegen müssen wir auch unsere Langfristprognose kontinuierlich anpassen, und das machen wir jetzt neu mit einer hochpräzisen, jährlich angepassten gleitenden Langfristprognose. Diese ist zum ersten Mal jetzt veröffentlicht worden.

Dramatischer Zuwachs des Güterverkehrs

Ein weiteres Ergebnis ist, dass wir mit einem dramatischen zuwachsen Güterverkehr zu rechnen haben. Wir haben derzeit eine Leistung an Tonnen Kilometern im Transportbereich von 680 Milliarden Tonnenkilometer, und das ganze steigt an im Jahr 2051 auf 990 Milliarden Tonnenkilometer. Das ist ein Anstieg von 46 Prozent, und wenn man das runterbricht auf die einzelnen Verkehrsträger, stellt man fest, dass 33 Prozent Zuwachs bei der Schiene ist. Man stellt fest, dass wir 54 Prozent Zuwachs beim LKW Verkehr auf der Straße haben, dass wir eine etwa lineare Entwicklung im Bereich des Autoverkehrs haben, einen leichten Anstieg, aber keinen dramatischen. Und das sind die Fakten, und mit denen, meine Damen und Herren, muss man sich auseinandersetzen. Und diejenigen, die von mir fordern, dass ich auf der Grundlage dieser Fakten jetzt eben keinen Straßenausbau mehr betreibe, die wollen ja in Wahrheit die Gesellschaft in Engpässe schicken, wollen Nadelöhre produzieren, wissend, dass Güter dann nicht rechtzeitig in den Fabriken ankommen, dass die Effizienz unserer Volkswirtschaft geschwächt wird.

Man könnte systematisch die Dinge so verteuern, dass viele sie sich nicht mehr leisten können und das Konsumverhalten eben eingeschränkt wird oder verändert wird. Aber solche Vorschläge sind absurd und können nicht ernsthaft in einer freien Gesellschaft erwogen werden, und deswegen müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie können wir unsere Infrastruktur so ausbauen, dass sie den Bedürfnissen der Gesellschaft im Jahr 2051 genügt, und wie können wir parallel dafür sorgen, dass wir so schnell wie möglich diese Infrastruktur klimaneutral nutzen, indem wir neue Antriebe verbindlich vorschreiben, die Klimaneutralität sichern?

Engpässe an vielen Bereichen müssen beseitigt werden

Wir brauchen mehr Straßenbau, wir brauchen Lückenschlüsse bei unseren Autobahnen. Wir müssen an vielen Bereichen die Engpässe beseitigen. Da gehört dann auch ein oder zwei Fahrstreifen noch dazu, weil das die Bedürfnisse der Gesellschaft sind. Und dann müssen wir natürlich auch kräftig in die Schiene investieren, damit die Kapazitäten, die dort gebraucht werden, auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Dafür haben wir ein Konzept erarbeitet, indem wir die Kernkorridore zu Hochleistungskorridoren machen. Im Augenblick ist es so, dass das vorhandene Schienennetz ja nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht, weil ein Großteil der Kapazitäten auf der Schiene heute für Baustellen genutzt wird, dass die sogenannte Sanierung unter dem rollenden Rad.

Was nicht hilft, ist, neue Schienenstrecken zu bauen, wenn man in diesem Jahrzehnt zusätzliche Kapazitäten haben möchte. Das heißt nicht, dass wir nicht zusätzliche Schienen strecken bauen. Das brauchen wir, aber man kann damit in diesem Jahrzehnt keine zusätzlichen Kapazitäten schaffen.

Wir müssen auch Brücken, sanieren, wir haben 4000 marode Autobahnbrücke übernommen, und wir haben 144 Engpässe in unserem Straßennetz. Das bedeutet stellen im Straßennetz, die für den heutigen Verkehr nicht mehr ausreichen, die quasi volkswirtschaftliche Schäden verursachen, weil sie heute Nadelöhre darstellen. Das Thema Wasserstraße ist auch ganz wichtig. Die Wasserstraße muss auch ertüchtigt werden.

Die Veränderung unserer Industriegesellschaft, die Transformation führt dazu, dass bestimmte Güter, die wir heute in großer Menge transportieren, künftig nicht mehr transportiert werden: Kohle, Mineralöl, Ärzte, Schüttgüter. Es gibt eher eine Verlagerung von hochverdichteten Gütern zu weniger verdichteten, voluminösen Gütern. Wichtig ist, dass wir alle Möglichkeiten zur Planungsbeschleunigung nutzen, bei der Schiene, bei der Straße, Wasserstraße, natürlich auch bei Radwegen. Wir müssen auch die Digitalisierung konsequenter nutzen. Es hat keinen Sinn, dass wir im Digitalbereich immer sagen, dann machen wir mal ein Modellprojekt, oder wir haben es schon mal ausprobiert, sondern Digitalisierung muss Standard werden in Deutschland. Deutschland sollte die Gesellschaft motivieren, auf digitales umzusteigen. Wir brauchen digitales, weil wir viel präziser planen müssen, denn wenn man nicht präziser Plan, vergeudet man Ressourcen, Fahrerinnen und Fahrer

Nutzung synthetischer Kraftstoffe und technologische Lösungen müssen im Blick behalten werden

Elektromobilität, ist ein weiteres sehr wichtiges Thema um das wir uns in der Regierung kümmern. Wir brauchen beispielsweise beim Lkw die Frage, wie können wir längere Strecken zurücklegen im Lkw Fernverkehr, wie können wir mit der Wasserstoff Brennstoffzelle schnell vorankommen? Und natürlich müssen wir auch die Nutzung synthetischer Kraftstoffe weiter offenhalten und müssen eine technologische Lösung im Blick behalten. Wir brauchen so schnell wie möglich die Zulassung synthetischer Kraftstoffe für die Bestandsflotte. Wir haben viel zu wenig Antworten auf die klimaneutrale Mobilität der Zukunft, also dass wir es uns leisten könnten, heute schon technologische Potenziale aufzugeben, bevor wir deren volle Wirkung überhaupt erst einmal kennen, und deswegen brauchen wir Technologie, Offenheit, und das war immer die Haltung der Freien Demokraten, das war auch immer meine Haltung, und wir haben deswegen auch im Koalitionsvertrag diese technische Option eingefordert. Und als die EU-Kommission uns vergangenen Jahres gefragt hat, ob wir den Flottengrenzwerten zustimmen, haben wir gesagt, wir tun uns schwer. Wir wollen das nicht, weil wir eine technologische Lösung für synthetische Kraftstoffe nach 2035 im Verbrennungsmotor wollen.

Das ist auch nicht neu. Ich war etwas irritiert, dass diejenigen, die die klare Haltung kannten und die die Zusage gemacht haben, dass etwas auf den Tisch gelegt wird, plötzlich gesagt haben, sie waren aber sehr überrascht über die Haltung der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden an dieser Stelle in der Debatte auf Technologie, Offenheit bestehen, weil es notwendig ist. Es ist notwendig für unsere Gesellschaft, weil wir diese Technologien alle weiterentwickeln müssen. Wir werden sie brauchen, wir werden synthetische Kraftstoffe ohnehin brauchen im Flugverkehr, der übrigens um 70 Prozent zunehmen wird, nach den Prognosen im Jahr 2000 bis zum Jahr 2051. Ich auch, damit müssen wir uns befassen, und wenn wir diese Themen uns anschauen, dann wird es auch ganz wichtig sein, dass wir uns mit dem Thema Digitalisierung noch mal intensiv auseinandersetzen.

Wir brauchen, wenn wir die Mobilität der Zukunft schaffen wollen, Infrastrukturinvestitionen. Wir brauchen konsequente Digitalisierung. Wenn auch im Flugverkehr wir 70 Prozent Zunahme haben, brauchen wir konsequent digitale technologische Systeme, die es uns helfen, diese Verkehre abzuwickeln, sodass sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden, und deswegen müssen wir konsequent Daten erheben, digitale Geschäftsmodelle fördern. Wir müssen konsequent die Bereitschaft von uns, von anderen einfordern, digital statt analog zu wählen. Das ist nicht die Zukunft, wie ich sie mir vorstelle, und das ist auch nicht die Zukunft, in der die Menschen in Deutschland leben wollen. Wenn wir nicht unter Knappheiten leiden wollen, meine Damen und Herren, und das müssen wir nicht, müssen wir jetzt schneller werden, Daten erheben, digitalisieren und die technologischen Möglichkeiten ausschöpfen. Ich danke ihnen für die Aufmerksamkeit.