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Männlich, weiblich, fehlende Angabe

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Entscheidung des BVerfG zum dritten Geschlecht
transgender

Mann und Transgender-Symbol.

© iStock/nito100

Das Bundesverfassungsgericht fordert die Einführung eines dritten Geschlechts ins Geburtenregister. Eine erfreuliche Nachricht, findet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D. und Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit:

"Auf Karlsruhe ist wie so häufig Verlass. Das Gericht ist dem Gesetzgeber einmal mehr voraus. Der Erste Senat stärkt mit dieser Entscheidung zum dritten Geschlecht das Selbstbestimmungsrecht intersexueller Menschen. Das ist ein Durchbruch für alle Betroffenen, deren Realität das binäre Geschlechterverständnis des Personenstandsrechts nicht abbildet. Wie bei Vanja, deren/dessen Fall das Gericht zu entscheiden hatte. In dem Genom, das das Geschlecht festlegt, fehlte das zweite Chromosom. Bei Frauen ist es XX, bei Männern XY. Vanja hatte nur ein X, mehr nicht.

Seit 1875 gab es keine gesetzliche Regelung zu Personen, deren Geschlecht nicht eindeutig weiblich oder männlich ist. Erst 2013 eröffnete der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Nulleintragung. Männlich, weiblich, fehlende Angabe; das sind seitdem die Optionen für die verpflichtende Eintragung von Neugeborenen im Geburtenregister. Aus medizinischer Sicht wird an einer allein binären Geschlechtskonzeption schon länger nicht mehr festgehalten. Zukünftig wird das auch im geschrieben Recht so sein. Neben männlich und weiblich gebiete das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die Möglichkeit einer weiteren positiven Eintragung, so das Gericht. "Inter" oder "divers" könnte sie lauten, alternativ könnte der Gesetzgeber gleich generell auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag verzichten. Das Gericht zwingt den Gesetzgeber bis Ende 2018 zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung.

Die heutige Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nimmt die Diversität und Komplexität gesellschaftlicher Realitäten ernst. Realität kann komplex sein. Und wenn sie numerische Minderheiten betrifft, hat sie in Parlamenten häufig keinen Fürsprecher. Gut also, dass unser Verfassungsorgan in Karlsruhe den Minderheitenschutz des Grundgesetzes als vornehmste Aufgabe begreift."