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Internationale Politik
Macrons Niederlage - eine Chance für Europa?

Sandra Weeser
© Picture by Teresa Marenzi 

Das Erdbeben

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Frankreich wurden von der französischen Presse als „Erdbeben“ eingestuft. Wie ein Erdbeben kamen sie für viele überraschend, obwohl die Gefahr durchaus bekannt war: Nur 46% der französischen Wähler haben ihre Stimme zur Wahl der Mitglieder der Assemblée Nationale abgegeben.

Und wie durch ein Erdbeben kommt es zu tektonischen Verschiebungen in der französischen politischen Landschaft: Der Präsident verliert zum ersten Mal seit 30 Jahren - seine Mehrheit im Parlament. Das kann als Absage an Macrons elitären Führungsstil gelesen werden. Denn vom inklusiven und breiten Geist der Volksbewegung „En Marche!“, war in den letzten Jahren immer weniger zu spüren. Macron hat die Bewegung sehr auf sich zentriert und zudem ist das Präsidialsystem - anders als in Deutschland - ein ohnehin schon sehr personalisiertes System.

Immerhin bleiben den Franzosen die sogenannte "Kohabitation" und damit ein Premierminister aus den Rängen der Opposition erspart. Der Führer des linken Wahlbündnisses NUPES aus Linken, Sozialisten, Kommunisten und Grünen, Jean Luc Melenchon, hat dieses Ziel klar verfehlt – es folgt also kein Kräftemessen der Alphatierchen und wird keine Vollblockade des Parlaments geben. In der Praxis bedeutet das aber nun für die Regierung Macrons, dass Gesetzesvorhaben im Parlament nicht mehr sicher verabschiedet werden, sondern tragfähige Mehrheiten gefunden werden müssen. Das ist gerade bei den anstehenden, ambitionierten, aber dringend notwendigen Reformen der Regierung, wie zum Beispiel der Hochsetzung des Rentenalters auf 65 Jahre, ein Hemmschuh: Die Umsetzung wird deutlich schwieriger und vermutlich auch nur langsamer gelingen.

Interessanterweise bringt dieses Erdbeben das französische System dem deutschen etwas näher: In Deutschland ist es eine altbekannte und gelebte Normalität, mit anderen Parteien, ob in der Koalition oder der demokratischen Opposition, während der Legislatur immer wieder zu verhandeln, um parlamentarische Mehrheiten zu bilden. Deshalb glaube ich: die neuen Kräfteverhältnisse im französischen Parlament können auch zu seiner Stärkung und zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen. Wenn man gezwungen ist, konstruktiv zusammenzuarbeiten, kann das für mehr Respekt und besseres gegenseitiges Verständnis der Parteien untereinander sorgen und so das französische System fitter für eine komplexere Zukunft machen. Dafür müssen alle bereit sein, zusammenzuarbeiten. In Deutschland hat die Ampel hier ein gutes Beispiel vorgelegt und ich hoffe, wir können unseren französischen Kollegen dabei als Vorbild dienen. Für den Austausch mit unseren französischen Kollegen sind wir deutschen Abgeordneten im Rahmen des noch jungen Gremiums der deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung immer bereit. Denn ein gestärktes französisches Parlament ist auch eine Chance für eine tatkräftige Zusammenarbeit in Europa.

 

Sandra Weeser (52) ist die einzige Deutsch-Französin im Deutschen Bundestag und im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, welche aus jeweils 50 Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Assemblée Nationale zusammengesetzt ist. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Rheinland-Pfalz und im Bundesvorstand der FDP.