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Fußball-WM
Katar: Desaster für die Menschenrechte

Katar
© picture alliance / Kyodo | -

Erhalten die Menschenrechtsanliegen in Katar im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2022 jetzt nur einmalig Gehör? Schließlich erfuhren die vulnerablen Gruppen, allen voran die männlichen Wanderarbeiter auf Baustellen, erst nach der Wahl von Katar als Gastgeberland überhaupt eine breite Aufmerksamkeit. Doch Menschenrechtsarbeit erfordert einen langen Atem. Nur ein Ansatz ist dafür möglich.

Im „Global Gender Gap Report 2022“ wurde Katar auf Platz 137 von 146 Ländern weltweit eingestuft. Ein deutlicher Verweis auf die Diskriminierung von Frauen im Emirat, die noch immer so ausgeprägt ist, trotz des internationalen Drucks auf Katar. Journalistinnen und Journalisten und unabhängige Medien sowie Minderheiten sind Gewalt und Verfolgung ausgesetzt, sobald sie regierungskritische Meinungen äußern.

Die Verteidigung der Menschenrechte wird jedoch nur dann glaubwürdig sein, wenn die Universalität der Menschenrechte in den Vordergrund gestellt wird. Ein universeller Ansatz fehlt im Kampf der internationalen Akteure in Bezug auf Katar jedoch bisher.

Die besorgiserrende Situation von Frauen und LGBTQI

Frauen und LGBT-Personen sind die am meisten gefährdeten Gruppen in Katar. Es mutet fast paradox an, dass sich im medialen internationalen Medienhype der Fokus nahezu ausschließlich auf den ausländischen (männlichen) Arbeitnehmern in Katar konzentriert. Vergessen werden die weiblichen ausländischen Arbeiterinnen, die versteckt in Haushalten tätig sind und häufig Diskriminierung und physischer und psychischer Folter durch ihre Arbeitgeber ausgesetzt sind. Vergessen wird auch zu leicht die gesamte weibliche Bevölkerungsgruppe in Katar, die noch nie eine volle Achtung und Gewährleistung ihrer Menschenrechte erfahren hat.

Das gesellschaftliche Umfeld ist aus menschenrechtlicher Sicht brutal gegenüber Frauen. Die Familiengesetze beruhen auf einer systematischen Diskriminierung der Frauen. Nicht überraschend ist die Feststellung einer UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen nach ihrem Besuch in Katar 2018: die meisten Personen in den Gefängnissen von Katar sind Frauen – wegen des Verbrechens des Ehebruchs.

Die Gesetze und Praktiken diskriminieren besonders auch die LGBTQI-Gemeinschaft. Gesetze bestrafen eine einvernehmliche Beziehung zwischen zwei Männern. Das Problem wird verschärft, dass homosexuelle Menschen keine Stimme im öffentlichen Diskurs haben. Pride-Bewegungen und Organisationen von Aktivisten gibt es nicht. Dies hat zur Folge, dass es kaum Daten über die Situation einer so gefährdeten Gruppe im Emirat Katar gibt. Ob die Behörden die Sicherheit von LGBTQI-Personen während der Spiele garantieren werden, ist eine Frage, die internationale Journalistinnen und Journalisten vor Ort stellen sollten.

Auf nationaler Ebene können nur ein Bottom-up-Ansatz und klare Änderungen im Familienrecht sowie Präventivmaßnahmen in der Praxis die Situation für beide Gruppen – LGBTQI und Frauen – verbessern. Einen ersten Schritt der Verbesserung hat Katar 2018 mit der Ratifizierung des Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) unternommen. An der Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen muss sich das Emirat künftig messen lassen.

„Ich bin mehr als enttäuscht“

FIFA

Kurz vor dem Anpfiff nehmen die Boykott-Aufrufe der Fußball-WM zu. Eine Katastrophe mit Ansage, nennt es die ehemalige Abgeordnete und Mitglied des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Anne Brasseur. Sie präsentierte bereits vor vier Jahren einen kritischen Bericht über „Good football governance“ im Europarat. Kern der Forderung: ein unabhängiges Kontrollgremium für die Fifa-Führungsspitze. Wie beurteilt sie die Entwicklung der Fifa in Sachen „Good governance“ heute? Und wie sieht Brasseur, die sich ihr gesamtes politisches Leben lang für Menschenrechte eingesetzt hat, die derzeitige Situation in Katar?

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Presse– und Meinungsfreiheit

Es ist bereits jetzt besorgniserregend, ob die Sicherheit und Integrität unabhängiger Journalistinnen und Journalisten während der Fußball-WM 2022 gewährleistet sein wird. Eine Reihe unabhängiger Medien haben bereits ihre Tätigkeit im Land aufgrund der Zensurpraktiken eingestellt. Al-Arab und Doha New sind zwei der vielen Beispiele für die Unterdrückung unabhängiger Medien.

Katar hat eine internationale Verantwortung, nicht nur die Meinungs- und Medienfreiheit zu respektieren, sondern auch für Sicherheitsmaßnahmen für gefährdete Journalistinnen und Journalisten und Medienschaffende zu sorgen. Dies ist in Artikel 19 des UN-Zivilpaktes eindeutig als verbindliche Verpflichtung verankert.

Menschenrechtsschutz als Lösung

Zu wenig Beachtung findet in der Debatte über die Menschenrechtssituation in Katar bisher die Sorgfaltspflicht (Due Diligence) der beteiligten Unternehmen. Doch gerade präventives Risikomanagement könnte eine wirkliche Verbesserung mit sich bringen. Genug ist über die Menschenrechtsverstöße in den letzten Tagen berichtet worden. Jetzt ist die Zeit reif, um wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Als nächster Schritt ist es von entscheidender  Bedeutung, gleichzeitige Besuche einzuberufen: durch UN-Menschenrechtsexperten in Katar, um die Situation zu beobachten und dem Land die notwendigen Empfehlungen zu geben.

Ein internationales Entschädigungssystem wäre ein weiterer positiver Schritt zur Wiedergutmachung für Opfer, die während der Vorbereitungen auf die Fußball-WM massive Schäden erlitten haben.

Es ist unabdingbar, dass der Blick auf die Menschenrechte in Katar nach der WM nicht in Vergessenheit gerät und der Druck weiterhin erhalten bleibt. So würde diese WM, trotz allen mehr als berechtigten Kritiken, doch noch nachhaltig etwas bewirken. Ich hoffe, dass dies nicht nur ein Wunsch bleibt.

Anne Brasseur ist frühere Ministerin für Erziehung, Berufsausbildung und Sport des Großherzogtums Luxemburg und leitete von 2014 bis 2016 als Präsidentin die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Seit dem 16. September 2022 ist sie Mitglied des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.