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UNESCO-Weltbildungsbericht
Ist ChatGPT zu schnell für die Bildungsforschung?

Junge beim E-Learning mit Laptop am Schreibtisch in der Schule
© picture alliance / Westend61 | Nina Janeckova

Am 27. November wurde der UNESCO-Weltbildungsbericht 2023 im Auswärtigen Amt präsentiert. Auf über 430 Seiten beschäftigen sich die Expertinnen und Experten der UNESCO unter der Leitung von Manos Antoninis, der die Arbeit auch vor Ort in Berlin vorstellte, mit dem Schwerpunkt „Technologie in der Bildung: ein Werkzeug – zu wessen Bedingungen?“ Das Ziel des Berichtes ist es, den Fortschritt der internationalen Gemeinschaft bei dem Erreichen des SDG4 zu unterstützen, mit dem die Vereinten Nationen „inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und die Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“ ins Visier nehmen möchte. Der Fokus auf Technologie und die sogenannte „digitale Bildung“ bot sich an, nachdem nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch die Einführung von ChatGPT vor nun genau einem Jahr Schockwellen durch die Bildungssysteme der ganzen Welt gesendet hat.

Sowohl der englischsprachige Bericht (S.22) als auch die deutsche Kurzfassung erhalten eine erstaunlich pessimistische Aussage: „Technologie entwickelt sich zu schnell, als dass Bewertungen möglich wären, die als Grundlage für fundierte Entscheidungen zu Gesetzgebung, politischen Vorgaben und Regulierung dienen könnten.“ Dass sich dennoch umfangreiche Einblicke in die Bildungssysteme der Welt, den Zustand der digitalen Bildung als auch wichtige Empfehlungen im Bericht finden, spricht dann doch dafür, dass diese Aussage „with a grain of salt“ genommen werden sollten. Allerdings findet sich Skepsis gegenüber der Einführung von digitalen Technologien auch an anderen Stellen: Vor allem bei der Evaluierung von neuen Tools sieht das Autoren-Team große Defizite. So verweisen sie auf eine britische Studie, nach der nur sieben Prozent der Bildungstechnologieunternehmen randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt hätten, um die Wirksamkeit ihrer Produkte zu bewerten (S.122) – dass die existierenden Studien dann möglicherweise auch noch von kommerziellen Interessen geleitet sein können, kommt noch hinzu.

Digitale Medien haben Zugang zu Lehr- und Lernressourcen verbessert

Trotzdem überwiegen mögliche Vorteile. Gerade in Krisensituationen – wie der Corona-Pandemie – können entsprechende digitale Lösungen eine „Rettungsleine“ sein. Außerdem stellt der Bericht fest: „Digitale Medien haben den Zugang zu Lehr- und Lernressourcen erheblich verbessert. Beispiele sind die National Academic Digital Library von Äthiopien und die National Digital Library von Indien. Das Teachers Portal in Bangladesch hat über 600.000 Nutzerinnen und Nutzer.“ Oftmals sind die Auswirkungen allerdings ambivalent: so können Barrieren abgebaut werden aber auch neue Hürden aufgebaut werden. Dies gilt insbesondere für die Kosten: theoretisch hat die Digitalisierung das Potenzial, Bildung viel günstiger und zugänglicher zu machen – vorerst dominieren aber erhebliche Kosten, beispielsweise bei der Anschaffung entsprechender Endgeräte. Besonders bitter: oft werden zwar teure Lizenzen von Schulen angeschafft, aber im Schulalltag kaum genutzt. So verweisen die Autorinnen und Autoren auf einen Bericht des EdTech Genome Projects, demzufolge 85 % von etwa 7.000 pädagogischen Tools im Wert von dreizehn Milliarden US-Dollar „entweder schlecht geeignet oder falsch implementiert“ gewesen seien.

Abschließend verteidigen der Bericht das Primat der Pädagogik vor Technik – allerdings hat der Bildungsexperte Axel Krommer schon 2018 gezeigt, dass diese Forderung hart an der Trivialität schrammt, schließlich fordert niemand die Abschaffung der Pädagogik. Trotzdem bleibt natürlich richtig, dass die Lehrkräfte der Schlüssel bei der Bewältigung der digitalen Transformation sind. Gerade weil die KI-Revolution viele alte Gewissheiten über den Haufen wirft und die Zukunft so unsicher wie schon lange nicht mehr erscheint bleibt Bindungsarbeit und Herzensbildung eine zentrale Aufgabe für Pädagoginnen und Pädagogen. Die Frage, welche Tools unter welchen Bedingungen dabei helfen können, mündige Bürgerinnen und Bürger heranzubilden, sollte aber mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies wurde auch in der anschließenden Diskussion deutlich, an der nicht nur Manos Antoninis teilnahm, sondern auch die stellvertretende Generalsekretärin von Education International, Haldis Holst, Professorin Ruth Enggruber, der Berliner Bildungspolitiker Trosten Kühne sowie Professorin Katharina Scheiter teilnahmen. Diese machten sich nicht nur für differenzierte Herangehensweisen stark, sondern betonten auch, dass Bildung unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität mehr ist, als nur das Digitalisieren von analogem Lehrmaterial.