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Wohnungspolitik
Erfolg für „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ – Desaster für Berlin

Ein Transparent der Bürgerinitiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» hängt in der Nähe einer Baustelle, die sich auf dem Neubauprojekt "Am Tacheles" an der Oranienburger Straße befindet.
Die Berlinerinnen und Berliner stimmen mehrheitlich für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne. Die Politik muss diesen „Hilferuf“ ernstnehmen und die richtigen Schlüsse ziehen: Es braucht eine Bau- und Wohnungspolitik, die den Menschen wirklich hilft. © picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Die Berlinerinnen und Berliner stimmen mehrheitlich für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne. So weit wird es aller Voraussicht nicht kommen und das war auch vor dem Ergebnis ziemlich klar. Doch die Politik muss diesen „Hilferuf“ ernstnehmen und die richtigen Schlüsse ziehen: Es braucht eine Bau- und Wohnungspolitik, die den Menschen wirklich hilft.

Die Berlinerinnen und Berliner haben entschieden: Eine Mehrheit von über 56 Prozent hat sich für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne ausgesprochen. Damit ist der Berliner Senat dazu aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind“. Laut Beschlussentwurf der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ sollen nun alle privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in eine gemeinwirtschaftliche Anstalt des öffentlichen Rechts überführt werden. Die Entschädigungen sollen dabei „deutlich unter dem Verkehrswert“ liegen.

Für die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ist dieses Ergebnis ein großer Erfolg – für die Stadt Berlin hingegen ein echtes Desaster. Doch rechtlich bindend ist das Votum nicht. Auch im Jahr 2017 stimmten die Berlinerinnen und Berliner in einem Volksentscheid mehrheitlich für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel und dennoch wurde der Flughafen im November 2021 geschlossen. Aber klar ist auch: Die Berliner Politik wird sich in den nächsten Monaten und Jahren mit dem Wunsch nach Enteignungen befassen müssen, daran werden die Initiatoren des Volksentscheids sicher immer wieder erinnern.

Ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzernen hätte in mehrerlei Hinsicht fatale Folgen für Berlin. Die ohnehin hoch verschuldete Stadt müsste nach Schätzung des Senats eine Entschädigung von bis zu 36 Milliarden Euro zahlen – und das für eine Maßnahme, die keine einzige neue Wohnung schafft. Und selbst wenn es gelänge, die Übernahme günstiger zu gestalten. Eine lange Phase der rechtlichen Unklarheit wäre wie beim gekippten Mietendeckel garantiert, denn Klagen bis in die letzte Instanz sind in dieser für viele Baugesellschaften essentiellen Frage schon sicher abzusehen. Gleichzeitig hätte ein solches Gesetz keineswegs nur Folgen für die Berliner Wohnungswirtschaft. Wer würde in Zukunft noch Investitionen in einer Stadt tätigen, in der Enteignungen salonfähig sind?

Zum anderen wäre die angestrebte Vergesellschaftung aller Voraussicht nach verfassungswidrig. Ein aktuelles Gutachten des emeritierten Berliner Professors Ulrich Battis zeigt gleich mehrere Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Vorhabens auf. Demnach wären die geplanten Enteignungen „unzulässig“ und „unverhältnismäßig“. Wie eine Vergesellschaftung nach Art. 15 des Grundgesetzes rechtlich einzuordnen ist, ob als spezielle Form der Enteignung oder als ein Mittel eigener Art, ist hoch umstritten und konnte auch bisher noch nicht geklärt werden. Denn Art. 15 GG kam seit seinem Bestehen noch nie zur Anwendung. Zudem ist überhaupt nicht klar, ob eine Vergesellschaftung nach Art. 15 GG in Berlin überhaupt möglich wäre, da die Berliner Landesverfassung eine solche Möglichkeit überhaupt nicht vorsieht. Für Berlin wäre es eine echte Blamage, wenn nach dem Mietendeckel ein zweites Gesetz auf den Weg gebracht wird, das gegen das Grundgesetz verstößt.

Doch klar ist: Die Politik muss den „Hilferuf“ der Berlinerinnen und Berliner ernstnehmen. Das Problem des Berliner Wohnungsmarktes sind jedoch keineswegs die großen Immobilienkonzerne, sondern die fehlgeleitete Bau- und Wohnungspolitik sowie verkorkste Gesetzgebung der letzten Jahre, die Berlin kein Stück vorangebracht hat, sondern im Gegenteil mehrere Schritte zurückgeworfen hat. Anstatt direkt mit der ultima ratio der Enteignung zu drohen, braucht es dringend die Suche nach schnellen und politisch konsentierten sowie praktisch umsetzbaren Lösungen. Berlin braucht nicht weniger als einen echten Neustart bei der Wohnungs- und Baupolitik. Steigende Mietpreise lassen sich nur mit einer Ausweitung des Angebots langfristig in den Griff bekommen. Es braucht eine Politik, die Anreize für den Wohnungsbau setzt, die Baukosten niedrig hält, den Erwerb von Wohneigentum erleichtert, das digitale Planen und Bauen vorantreibt und Voraussetzungen für eine moderne Stadtentwicklung schafft. Wie das funktionieren kann? Das zeigen unsere Publikationen „Internationale Baupolitik“ und „Die Liberale Stadt“.