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DIGITALISIERUNG IN SCHULEN

Die Problemfelder im Überblick

Schule und Digitalisierung: Komplexe institutionelle Abstimmungsroutinen und Akteurs-Vielfalt erschweren dynamische Transformationsprozesse

Die Herausforderungen, die es bei der Gestaltung der digitalen Transformation an Schulen zu bewältigen gilt, sind komplex und vielfältig. Hier greifen verschiedenste Probleme, Interessen und Handlungslogiken ineinander und bilden einen schwer zu durchschauenden Gesamtkomplex.

Schwierigkeiten ergeben sich bei der technischen Geräteausstattung, der Organisation von Support, der Schulung des Lehrpersonals aber auch der Beschaffung von Software und Geräten allgemein – und nicht zuletzt bei der Gewährleistung (daten-)sicherer IT-Systeme. Selbst wenn geeignete Geräte bereitstehen, hilft das wenig, wenn diese nicht gewartet werden können und das Lehrpersonal sie nicht bedienen kann, darf oder will. Jede Herausforderung für sich genommen wäre vermutlich lösbar, doch die Vielfalt und die enge Verwobenheit dieser Probleme macht es sehr kompliziert.

Um ein stimmiges Gesamtkonzept an den Schulen umsetzen zu können, ist ein ganzheitliches, vernetztes Denken und Agieren in verschiedensten Bereichen erforderlich, man könnte auch sagen: ein übergreifendes Management. Und genau das macht es so schwierig. Michael Kerres konstatiert daher: „Es geht perspektivisch auch um das richtige Zusammenspiel der Akteure“ (Kerres 2021).

Erforderlich ist die Abstimmung und Orchestrierung verschiedenster Akteure in Schule und Schulverwaltung – und nicht selten auch darüber hinaus. All diese Handelnden agieren verständlicherweise innerhalb der Logiken und Vorgaben ihrer Behörden und Institutionen und folgen den Prozessen, die hier gelten: Lehrende denken an die Anschaffung von Geräten, die gut zu ihren didaktischen Vorstellungen passen, Schulträger haben die korrekte und förderrechtskonforme Verteilung ihrer Mittel im Blick, Datenschutzbehörden prüfen strikt nach den Vorgaben der DSGVO und Landesbehörden argumentieren und agieren – oftmals aus großer „Flughöhe“ – entsprechend ihrer bildungspolitischen Leitlinien und Vorgaben. Diese Perspektiven harmonisieren freilich nur sehr selten von allein.

Es kommt also zwingend zu Reibungsverlusten, sobald verschiedene und gewissermaßen „eigensinnige“ Institution dieser Art zusammenarbeiten müssen. Dies wird besonders deutlich sichtbar in Zeiten dynamischer Veränderung und (digitaler) Transformation: Viele institutionelle Kooperations- und Abstimmungsroutinen entsprechen dann nicht mehr den Erfordernissen einer sich rasch verändernden technologischen Umwelt und erinnern eher an ungenau geschnittene Puzzleteile.

Nicht alle Problemlagen haben ihren Ursprung im Schulkontext

Nicht alle Probleme, die sich aktuell im Schulkontext zeigen, haben dort ihren Ursprung und sind ergo auch nicht dort zu lösen. Gleichwohl bedürfen sie einer Lösung, um den digitalen Wandel an Schulen gut gestalten zu können. Gemeint sind hier Probleme etwa bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden, beispielsweise für den technischen Support. Der Fachkräftemangel im IT-Sektor wird zu einer entscheidenden Bremse der Digitalisierung in den Schulen (ebenso wie auch in vielen anderen Unternehmen und Einrichtungen): Zunächst sind nur wenige Stellen für den IT-Support von Schulen verfügbar und darüber hinaus sind diese Stellen nur selten konkurrenzfähig dotiert. Hier wirkt ein bekanntes Problem auf den Schulsektor, ohne dort ursächlich behoben werden zu können.

Ähnliches gilt für den Breitbandausbau – auch hier gibt es lange Wartezeiten, nicht zuletzt wegen des Mangels an Kräften im Handwerks- und Tiefbausektor. Und weiterhin brauchen Prozesse wie z. B. die Beschaffung von Geräten viel Zeit, wenn Bestellungen an Haushaltsjahre gekoppelt sind und zumeist eine erforderliche Anzahl von Vergleichsangeboten eingeholt werden muss, um einen Zuschlag erteilen zu dürfen.

Dies ist ein verständlicher Mechanismus, der die Gestaltung des digitalen Wandels an Schulen aber ebenfalls ausbremsen kann, wenn die erforderliche Anzahl der Angebote nur mit großem Aufwand überhaupt eingeholt werden kann – auch hier bedingt durch eine Überlastung des IT-Sektors oder durch mangelnde Konkurrenzangebote generell. Dies führt nicht selten zu einer Schulrealität, in der Geräte- und Softwareanschaffungen zwar schnell beantragt werden, die Wartezeit auf die Angebote jedoch auch schon einmal ein halbes oder ganzes Jahr betragen kann, was, wenn man z.B. an dringend benötigte Whiteboards für die Klassenzimmer denkt, fatale Auswirkungen haben kann.

Unter hemmenden Rahmenbedingungen dieser Art leiden freilich nicht nur die Schulen, sondern viele Einrichtungen hierzulande. Ein pragmatischer Umgang damit erfordert vor allen Dingen vorausschauende und flexible Planung und ein opportunitätsorientiertes, rasches Handeln. Beschaffungs- oder Personalentwicklungs-Routinen vergangener Jahrzehnte müssen heute dringend daraufhin überprüft werden, ob sie den gegenwärtigen Anforderungen noch gerecht werden. Hierbei handelt es sich um eine Schnittstellenproblematik, die nur ressortübergreifend angegangen und gelöst werden kann.

Geld ist da, aber die Ressourcen-Knappheit bleibt

Der Hinweis auf fehlende Mittel und die permanente Finanzknappheit in den Schulen diente lange Jahre um nicht zu sagen Jahrzehnte als zentrales Argument dafür, dass eine flächendeckende Digitalisierung der Schulen nicht wie gewünscht vorankommen konnte. Durch den „DigitalPakt“ stehen dem Schulbereich nun allerdings finanzielle Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung. Daher überrascht es, wenn trotzdem weiterhin in einigen der später genannten Fallbeispiele auf Ressourcen-Engpässe hingewiesen wird: Beispielsweise fehlende Stellen für Mitarbeitende in Medienzentren, die Beschaffungswünsche prüfen können, oder für den technischen Support oder einschlägig kompetente Pädagoginnen und Pädagogen, die an der Erstellung von Medienkonzepten mitwirken können. Offenbar gelingt es aufgrund der oben bereits angesprochenen institutionellen und rechtlichen Komplexität nicht immer in der gewünschten Weise, die inzwischen ja vorhandenen Ressourcen zielführend und effektiv in das Schul-“System“ einzubringen.

Datenschutz ist unerlässlich, führt aber zu Verlangsamung und Frustration und muss daher verfahrensseitig optimiert werden

Wenn bei der Beschaffung von Geräten und Lernmitteln für den Schulalltag jede Instanz für sich und immer wieder in komplizierten Verfahren prüfen muss, ob die geplante Anschaffung mit den bestehenden Datenschutzgesetzen konform ist („Wo steht der Server des Anbieters?“, „Werden von Schülerinnen und Schülern personenbezogene Daten erhoben? Sind diese Daten DSGVO-konform anonymisiert?“, „Ist ein schriftliches Einverständnis aller Eltern erforderlich?“), dann brauchen diese Prozesse enorm viel Zeit. Wenn andererseits solche Prüfungsvorgänge auf wenige Personen/Stellen verteilt sind, z. B. in Medienzentren oder in Behörden, dann entstehen dadurch wiederum „Flaschenhälse“, die geplante Vorhaben ebenfalls verlangsamen. Dadurch entsteht vielfach Frustration und das Gefühl des Ausgebremst-werdens – nicht nur auf Seiten der Lehrenden sondern oft auch bei Schülerinnen und Schülern und Eltern.

Andererseits ist es unstrittig, dass in Zeiten „intelligenter Lernsoftware“ und Schul-Clouds etc. gerade Schülerinnenund Schüler vor Datenmissbrauch geschützt werden müssen. Wenn freilich selbst nach intensiven und langwierigen Prüfungsprozessen bei den Beteiligten noch Rest-Unsicherheiten bleiben, ob nicht eventuell doch im ein oder anderen Aspekt gegen geltendes Recht verstoßen wird, und deswegen zuletzt das Handeln gänzlich unterbleibt, dann müssen die bestehenden datenschutzrechtlichen Verfahren in und für Schulen dringend optimiert werden. Dies kann z.B. auch im Rahmen von Versuchsphasen, n Test- und Laborschulen als mustergültiger Präzedenzfall oder auch durch klar definierte Ausnahmeregelungen geschehen.

Föderalismus – wenn 16 verschiedene Verordnungen das Leben erschweren

Michael Kerres beklagt in diesem Zusammenhang auch, dass Datenschutzbehörden in den verschiedenen Bundesländern völlig unterschiedliche Entscheidungen treffen, wenn es um die Zulassung von Software geht (Kerres 2021). Die Fallbeispiele auf den Ebenen oberhalb der Schulbezirke (z. B. die Beantragung von Digitalpakt-Mitteln, die Prozesse in der Fortbildung von Lehrenden und die Zulassung von Befragungen an Schulen durch Ministerien) zeigen weitere Hemmschuhe durch unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Bundesländern.

Lehrende, die von einem Bundesland in ein anderes wechseln, betreten damit eine „neue Welt“. Wer als Produzent oder Dienstleister alle 16 Bundesländer adressiert (z. B. ein Softwarehersteller, ein Verlag oder ein Jurist), muss die Regelungen aller Länder gleichzeitig im Blick behalten – im schlimmsten Fall mit dem 15-fachen Aufwand.

Fortbildung im luftleeren Raum

Bei der Beschaffung von IT-Komponenten zeigt sich auch eine Überforderung für Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulträger, die beurteilen sollen, welche technische Ausstattung für eine Schule die beste Wahl ist. Dieses solide zu beurteilen ist aber weit mehr ein technisches als ein didaktisches Thema und kann ohne entsprechende Schulung und Leitlinien kaum vom Schulpersonal geleistet werden.

In der Schulpraxis werden dann nicht selten Listen aufgestellt, die beinhalten, welche Geräte bestellt werden dürfen und welche nicht. Eine Prüfung, ob die vorgeschriebenen Geräte auch in das Konzept der Schulen passen, ob die Lehrkräfte mit den Geräten umgehen können und ob das, was didaktisch damit erzielt werden soll auch erzielt werden kann, fehlt zumeist.

Und neben diesen eher kaufmännischen Aufgaben gehört auch die Entwicklung von Schulstrategien nicht unbedingt zum Kanon in der Lehrerbildung. Hier bräuchte es bessere Fortbildungsangebote nicht nur für Lehrkräfte, sondern auch für Schulleitungen und das Personal des Schulträgers. Inzwischen gibt es – auch Corona-bedingt – zwar etwas mehr Fortbildungsangebote, insbesondere für Lehrkräfte. Allerdings fehlt es noch immer an Möglichkeiten, die Angebote gut in den Schulalltag zu integrieren und das Gelernte dann auch umzusetzen. Wenn etwa die Fortbildung stattfindet, bevor entsprechende Geräte und Software an der Schule nutzbar sind oder lange bevor man ein Medienkonzept erstellen muss, verbleibt das Gelernte abstrakt und im luftleeren Raum und findet kaum Anwendung im Schulalltag.

Fehlende Planungsdaten durch aufwendige Genehmigungsprozesse

Nicht zuletzt fehlt es auch an empirischen Daten und Forschung rund um das Thema Schule und Lernen mit digitalen Medien. Man könnte auch sagen, es fehlt gerade am Bereich der Schul-Digitalisierung an bundesweit anerkannten und flächendeckend erhobenen KPIs (Key Performace Indicator), Mess- und Prüfstandards. Dabei ist das Interesse an entsprechenden Daten und Indikatoren, um Schule besser zu managen und die Gestaltung des digitalen Wandels erleichtern zu können, in Schul-Behörden und -verwaltungen einerseits durchaus recht groß. Andererseits sind dieselben Einrichtungen aber auch dazu angehalten, die Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Lehrenden besonders zu schützen und diese nicht für permanente Reports, Evaluationen und Forschungen zu „missbrauchen“. Hier jedoch offenbart sich ein Henne-Ei-Problem: Ohne empirische Daten und Kennziffern wird es keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse geben.

Und ohne diese Erkenntnisse nicht die nötige Evidenz, um Schulentwicklung wissenschaftlich basiert betreiben zu können. Geeignete Verfahren zu finden, die einen Einblick in jene Wirkmechanismen ermöglichen, die Wandlungsprozesse an Schulen begünstigen oder auch aufhalten können, wäre deshalb enorm hilfreich.

Den gordischen Knoten zerschlagen

Hieran zeigt sich also, dass wir es mit einer Vielzahl von Herausforderungen zu tun haben, die die Gestaltung des digitalen Wandels an Schulen aktuell ausbremsen. Es kann deshalb, dies wird niemand überraschen, nicht den einen großen Stellhebel geben, mit dem sich alle Probleme adressieren lassen. Vielmehr muss eine Vielzahl von kleinen Hebeln umgelegt werden, um mittelfristig Veränderungs-Effekte erzielen zu können. Und diese Hebel haben nicht zuletzt etwas mit dem „Mindset“ der Akteurinnen und Akteure im Schulsystem zu tun.

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