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Antisemitismus
„Der Druck auf Juden nimmt jeden Tag zu“

Ein Interview mit dem Berliner Rapper Ben Salomo
Ben Salomo

Ben Salomo heißt bürgerlich Jonathan Kalmanovich und wurde 1977 in Israel geboren.

© Christopher Civitillo

2019 ist der Antisemitismus nach wie vor traurige Realität. Der Kopf hinter der größten Battle-Rap-Veranstaltung Deutschlands, Ben Salomo, spricht an Schulen über seine Erfahrungen mit Diskriminierung und Antisemitismus. Im Interview mit freiheit.org erklärt Ben Salomo, wie er mit dem täglichen Antisemitismus umgeht. Und wo die Herausforderungen liegen.

Ben Salomo (*1977 in Rechovot, Israel), bürgerlich Jonathan Kalmanovich, ist ein Pionier des Deutsch-Raps. Er verabschiedete sich wegen des zunehmenden Antisemitismus aus der Szene. In seiner hochgelobten Biografie „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ berichtet er von seiner Suche nach Heimat und Identität.

Sie beschreiben in Ihrem Buch antisemitische Erlebnisse schon seit der frühesten Jugend. Warum erheben Sie gerade jetzt die Stimme?

Es stimmt, Antisemitismus habe ich immer schon erlebt. Aber ich merke, dass es in den vergangenen Jahren schlimmer, aggressiver, gewalttätiger geworden ist. Das habe ich eben auch im Deutsch-Rap erlebt. Die Radikalisierung im Deutsch-Rap ist einer der maßgeblichen Brandbeschleuniger für die Zunahme des Antisemitismus gerade unter jungen Menschen.

Das müssen Sie erklären.

Das Problem ist, dass Rap ein Phänomen ist, das junge Leute beeinflusst. Rapper sind für viele Jungs Vorbilder. Wenn diese dann in ihren Texten antisemitische Stereotype verbreiten, erreichen sie viele Kids, die davon zuvor nichts gehört haben, weil Antisemitismus in ihren Elternhäusern keine Rolle gespielt hat. Dann googeln sie, was es mit den Rothschilds auf sich hat, und wo landen sie? Auf antisemitischen Seiten, für die die Protokolle der Weisen von Zion keine nachweislich erfundene Lügengeschichte sind, sondern die Wahrheit. Und dann glaubt man auch, dass Israel den Arabern deren Land geklaut hat und die Palästinenser wie Sklaven hält. Historische Fakten oder der Hass, der von arabischen Politikern gegen Israel geschürt wird, spielen keine Rolle mehr.

Wenn man sich Videos Ihrer Rap-am-Mittwoch-Veranstaltungen anschaut, hört man Punchlines, die auf Ihr Jüdischsein anspielen. Meistens lachen Sie selbst darüber. Wo endet der Spaß und wann wird bei Ihnen die Grenze zum Antisemitismus überschritten?

Es ist wichtig, dass man die Regeln von Battle-Rap versteht, sonst kommt man bei dieser Frage nicht weiter. Wer zu einer Battle-­Rap-Veranstaltung geht, egal, ob als Teilnehmer, als Gastgeber oder als Zuschauer, muss damit rechnen, verbal angegriffen zu werden. Das ist einfach Teil des Spiels. Wichtig ist nur, dass es kreativ ist und Gruppen nicht pauschal abwertet.

Und was ist dann antisemitisch?

Alles, was von der Logik her auch bezogen auf andere Gruppen diskriminierend wäre. Konkret vor allem Worte und Wortschöpfungen, die auch ohne jeglichen Kontext die Juden als Menschengruppe pauschal entwerten. „Judenpack“ etwa. Oder „Moslemsau“. Das geht genauso wenig wie etwa das N-Wort. Täuscht das, oder gibt es zunehmend mehr Juden der jüngeren Generation, die sich selbstbewusst zu Wort melden in der deutschen Debatte? Das täuscht nicht. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Juden sich das Recht nehmen, den Mund aufzumachen und einzufordern, was selbstverständlich sein sollte: dass auch wir ein gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sind und wie andere Gruppen auch ein Recht darauf haben, hier frei und sicher zu leben.

Egal, wo man hinschaut, wird das Thema Antisemitismus ignoriert, kleingeredet oder sogar damit Politik gemacht.

Der jüdische Rapper Ben Salomo
Ben Salomo

Dieses Selbstbewusstsein ist also nicht selbstverständlich?

Wenn man in die Geschichte schaut, absolut nicht. Juden haben sich viel zu häufig ohne große Gegenwehr in ihr Schicksal gefügt. Wenn wir eines aus der historischen Betrachtung gelernt haben sollten, dann, dass wir uns nicht auf die Mehrheitsgesellschaft alleine verlassen können. Wir müssen uns selbst helfen. Das war für mich auch schon immer eine Leitlinie. Ich lasse mich nicht zum Opfer machen, sondern stelle mich auch denen, die mir ans Leder wollen, selbstbewusst in den Weg. Bisher bin ich damit gut gefahren.

Aus Ihrer letzten Bemerkung kann man Kritik an der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft herauslesen.

Ja, das ist richtig. Egal, wo man hinschaut, wird das Thema Antisemitismus ignoriert, kleingeredet oder sogar damit Politik gemacht. Auf unserem Rücken. Egal ob im konservativen Spektrum, im linken Spektrum oder im migrantischen Milieu, überall wird so getan, als sei doch alles gar nicht so schlimm. Dabei nimmt der Druck auf Juden in Deutschland und Europa jeden Tag zu. Egal, ob es um Gewalt im öffentlichen Raum geht, wenn man mit der Kippa auf die Straße geht, oder um Demonstrationen, auf denen „Juden ins Gas“ gerufen und Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Von dem Hass, der in den sozialen Netzwerken explodiert, ganz zu schweigen.

Aber Deutschland hat doch das Existenzrecht Israels zur Staatsräson erklärt. Und offiziell will keine politische Kraft in Deutschland etwas mit Antisemitismus zu tun haben.

Das sind doch alles bloß Lippenbekenntnisse. Deutschland stimmt in den UN-Gremien immer noch regelmäßig mit antisemitischen Regimen. Und eine Ausgrenzung von Antisemitismus, wenn er nicht gerade in Form der Holocaustleugnung daherkommt, geschieht in Deutschland kaum.

Sie engagieren sich ja stark zu diesem Thema. Was möchten Sie gerne erreichen?

Ich möchte Menschen aufrütteln und dazu bringen, tätig zu werden, wenn ihnen Antisemitismus begegnet. Schweigen wird bei diesem Thema immer als Zustimmung gedeutet, das muss jedem klar sein. Und ganz nebenbei geht es um die freie und offene Gesellschaft. Wenn Judenhass plötzlich wieder salonfähig ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die nächsten Gruppen erwischt. Und irgendwann dann auch diejenigen, die vorher noch dachten, Antisemitismus ginge sie nichts an.

 

Das Gespräch führte Christoph Giesa.