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Klima-Volksentscheid
Berlin ist nicht Wolkenkuckucksheim

Volksentscheid
© picture alliance / Winfried Rothermel | Winfried Rothermel

Der Berliner Klima-Volksentscheid ist krachend gescheitert. Das heißt, die deutsche Hauptstadt wird nicht innerhalb der kommenden sieben Jahren klimaneutral werden müssen. Obgleich ein etwas größerer Anteil derjenigen, die zur Wahl gegangen sind (51 Prozent) sich für eine drastische Verschärfung der Berliner Emissionsziele ausgesprochen hatte, blieb der Zuspruch insgesamt unter dem absolut benötigten Schwellenwert. Denn mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner hätten der Initiative ihren Zuspruch geben müssen – tatsächlich blieb das Ergebnis aber mit nur rund 440.000 Fürstimmen weit hinter diesem Wert zurück. Insgesamt fiel die Wahlbeteiligung sehr verhalten aus. Was aber bedeutet das Ergebnis für die Hauptstadt?

Das Ziel

Das Ziel der Initiatoren des Volksentscheides war es, bis zum Jahr 2030 Klimaneutralität für die Hauptstadt zu erreichen. Entsprechend hätte bei einem Erfolg der Initiative das Klimaschutzgesetz des Landes Berlins angepasst werden müssen. Dieses sieht bislang eine Zielerreichung für 2045 vor. Darüber, wie die Stauchung des Zeitplans allerdings erreicht hätte werden sollen, lieferten die Initiatoren keine Antwort.

Der Grundsatz

Darüber, dass Klimaschutz jenseits der ökologischen Dringlichkeit auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive sinnvoll ist, herrscht in der Wissenschaft weitgehender Konsens. Eine plumpe Kosten-Nutzenrechnung genügt: Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines ungebremsten Klimawandels würden die Kosten von angemessenen Klimaschutzmaßnahmen um ein Vielfaches übersteigen. Das gilt insbesondere für die Großstädte, in denen Extremwetterbedingungen schon jetzt besonders heftige Auswirkungen haben und unser Leben zukünftig noch drastischer und häufiger zu beeinflussen drohen. Daher ist effektiver und effizienter Klimaschutz unter ökonomischen Gesichtspunkten unabdingbar. Wohlgemerkt: Die Klimaschutzmaßnahmen müssen effektiv, also zielführend hinsichtlich der Klimawirkung, aber auch effizient, also unter angemessenem Ressourcenaufwand umgesetzt werden. Letzteres wäre unter den seitens der Befürworter des Volksentscheides vorgeschlagenen Bedingungen kaum möglich gewesen. Denn die Verkürzung des Zielerreichungsintervalls um 15 Jahre hätte die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten für die Umsetzung über die Maße in die Höhe schießen lassen.

Der Preis

Dass Klimaschutz einen Preis haben wird, ist unstrittig – aber je schneller Emissionen eingespart werden müssen, desto höher sind auch die gesellschaftlichen Kosten. Denn zum einen werden die wirtschaftlichen Auswirkungen auf ein kürzeres Zeitintervall verteilt und dadurch spürbarer und zum anderen geht die Verkürzung des Zeitraums auch zu Lasten der möglichen technologischen und gesellschaftlichen Anpassungen – dadurch steigen die gesellschaftlichen Kosten für den Klimaschutz deutlich überproportional an. Selbst konservative Schätzungen der Fürsprecher gingen von mindestens 113 Mrd. Euro für die notwendige Umstellung der Energie-, Wärme- und Verkehrsinfrastruktur aus. Mittel, über die Berlin schlicht und ergreifend nicht verfügt – bzw. die die Hauptstadt an anderer Stelle schmerzlich missen würde. Das sind allerdings nur die direkten Effekte.

Die Folgen

Zuzüglich zu den direkten Effekten kämen die indirekten Folgeeffekte. Denn ein derartiges abruptes Umstrukturierungsprogramm geht nicht folgenlos an der Gesellschaft vorbei. Unter anderem folgende drei Sekundäreffekte fallen sofort ins Auge:

  1. Lebens- und Betriebskostensteigerung: Die notwendigen Sanierungs- und Um- und Aufrüstungsarbeiten würden zu enormen Kostensteigerungen für alle Berlinerinnen und Berliner führen. Ob Miete, Heizung oder Verkehr – die Mehraufwände würden durch die Bürgerinnen und Bürger sowie die hier ansässigen Unternehmen getragen werden müssen. Dadurch würde der Wirtschaftsstandort Berlin deutlich an Attraktivität verlieren. Zudem würde sich die ohnehin angespannte Wohnungssituation in der Hauptstadt auf absehbare Zeit nicht verbessern, da die konventionelle Baubranche mit hohen Emissionen verbunden ist.
  2. Fachkräftemangel: Der demografische Wandel beeinflusst schon jetzt die Geschwindigkeit, mit der in manchen Branchen die ohnehin schon überfüllten Auftragsbücher abgearbeitet werden können. Insbesondere Betriebe, die sich auf die energetische Sanierung und die sogenannten Zukunftstechnologien spezialisiert haben, kommen schon jetzt nicht der Auftragslage hinterher. Dieser Fachkräftemangel hätte vermutlich dazu geführt, dass der Zeitrahmen trotzdem gerissen worden wäre. Vor diesem Hintergrund ist es schwerlich vorzustellen, dass die Renovierung des Pergamonmuseums bis ins Jahr 2037 andauern soll, die energetische Sanierung der gesamten Stadt aber bis 2030 abgeschlossen werden könnte. Zum anderen führt der Fachkräftemangel aber dazu, dass die Preise für Sanierungsleistungen exponentiell angestiegen wären. Aufgrund der komplizierten Ausbildung und des ohnehin bestehenden demografischen Problems hätte dem spontanen Nachfrageanstieg nicht durch eine rasche lokale Angebotsausweitung begegnet werden können. Daher hätten die entsprechenden Betriebe vor Ort exorbitante Preise verlangen können. Das hätte wiederum Fachkräfte aus anderen Regionen der EU nach Berlin gelockt. Dadurch wäre die energetische Sanierung in Berlin zwar etwas rascher vorangekommen, in den entsprechenden Regionen allerdings noch weiter ins Stocken geraten. Dadurch wäre der tatsächlichen Klimabilanz nicht geholfen. Vor diesem Hintergrund ist es eine absurde Annahme, dass durch Berlins Treibhausgasneutralität dem Weltklima als Ganzem geholfen worden wäre.
  3. Strahlkraft: Berlin ist als international anerkannter Start-Up-Hub Wiege für viele neue und potenziell bahnbrechende Ideen. Dieses Innovationspotential liegt unter anderem an der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur sowie an dem bunten und diversen bestehenden Start-Up-Ökosystem. Dadurch entstehen sogenannte Agglomerationseffekte, also Vorteile, die aus dem engen Austausch und Kooperation, aber auch erbitterten Wettbewerb zwischen Konkurrenten in einer bestimmten Region entstehen. Sollte Berlin nun aber auf Grund der beschriebenen wirtschaftlichen Implikationen weniger interessant für wirtschaftliche Tätigkeiten werden, könnte das Berliner Start-Up-Ökosystem an Zulauf und somit auch an Attraktivität verlieren. Somit würden sich die Vorteile, die durch Austausch mit anderen Jungunternehmen und Forschungsinstituten entstanden sind, verringern. Das könnte nachhaltige negative Auswirkungen auf den Wirtschafts- und Forschungsstandort Berlin haben. Dabei sind es oft genau diese jungen Unternehmen, die besonders innovative Lösungen für bestehende Probleme finden und somit aus einer Technologieentwicklungsperspektive einen besonders wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten können – auch weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus.

Die möglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sekundäreffekte wären schwer zu beziffern gewesen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass ein anderer Wahlausgang ein politisches und wirtschaftliches Beben in der Hauptstadt ausgelöst hätte.

Das Fazit

Klimaschutz ist und bleibt eine der höchsten Prioritäten der Bundes- und Landesregierungen in Deutschland – das gilt auch nach dem Volksentscheid. Fest steht aber vor allem eines: Dem Klimawandel kann man am besten mit technologischem Fortschritt und Entwicklung begegnen – nicht mit kostspieliger Symbolpolitik. Doch genau das wäre eine Umsetzung der Forderungen der Initiatoren des Volksentscheides gewesen – in Fachkreisen spricht man von virtue signaling. Will heißen: Das Zurschaustellen von besonders moralischem Verhalten. Aber der Klimawandel ist ein zu ernstes Thema, um ihm mit Symbolpolitik zu begegnen. Daher ist es gut, dass das geplante Zeitintervall bestehen bleibt. Denn Berlin kann bei einer weniger angespannten Fachkräftesituation und geringeren gesellschaftlichen Kosten sein innovatives Potenzial besser einbringen und somit auch dem Klimawandel mehr entgegensetzen. Mit der Entscheidung gegen die angedachte Verschärfung der Gesetzeslage haben sich die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt für einen realpolitischen und vor allem gangbaren Weg entschieden, anstatt sich moralisch zu überhöhen. Berlin ist eben Bundeshauptstadt – und nicht Wolkenkuckucksheim. Das muss auch so bleiben!

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