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Europa
Befindet sich die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik in einer Krise?

Sterne der EU-Flagge vor Geld und Wirtschaft-Diagramm
© Giulio Benzi via shutterstock.com

Die Europäische Union ist aktuell in vielen Bereichen gefordert. An ihren Außengrenzen bestehen Konflikte, die drohen, zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden. Im Inneren tobt das Corona-Virus. Es zwingt mehrere Mitgliedsländer zu drastischen Freiheitsbeschränkungen für weite Teile der Bevölkerung. Gleichzeitig steigt die Inflation im Euroraum stetig weiter an – ein Zeichen für eine kommende Wirtschafts- und Finanzkrise?

Sind die aktuellen Teuerungsraten ein Hinweis darauf, dass die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Geldwertstabilität im Euroraum untergraben hat? Oder können wir von einer Normalisierung der Inflationsrate im kommenden Jahr ausgehen und damit den am höchsten verschuldeten Mitgliedern der Eurozone weiterhin günstige Kredite einräumen? Und mit welcher Europa-Politik sollte die neue deutsche Bundesregierung auf diese Zeichen reagieren? Diese Fragen diskutierten wirtschafts- und finanzpolitische Expertinnen und Experten mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern bei einer digitalen Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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Zu Gast waren der Vorsitzende des Wirtschaftspolitischen Beirats der SPD und Vorsitzende der Keynes Gesellschaft, Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft am Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., Dr. Hubertus Bardt, sowie der Makroökonom und Strategieberater Dr. Daniel Stelter. Es moderierte die Chefökonomin der Zeitung "Die Welt" und "Welt am Sonntag", Dr. Dorothea Siems.

Herausforderungen für die Europäische Union

Zu Beginn zeigten die Referenten ihre Erwartungen für die kommenden zwölf Monate auf. So verwies Dr. Hubertus Bardt beispielsweise auf das große Thema der Dekarbonisierung, welches seiner Meinung nach die europäische Politik enorm prägen werde. Programme, wie das „Fit for 55“-Paket, mit dessen Hilfe das im "Green New Deal" verankerte Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, sollen dazu beitragen, die Wirtschaft innerhalb der EU ökologisch umzubauen und nachhaltiger zu gestalten. Zudem werde laut Bardt auch der Systemwettbewerb zwischen China und Europa auf wirtschaftspolitischer Ebene eine große Rolle in der Europa-Politik spielen. Eine weitere große Herausforderung sei auch die neue Sicherheitsbedrohung durch Russland. Das verlange von Europa eine andere Eigenständigkeit. Für den Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft am Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. zeichne sich bei all diesen Herausforderungen eine zentrale Frage ab: „Wie wollen wir das eigentlich finanzieren?“

Dem schloss sich Professor Dr. Gustav A. Horn an, der kurzfristige und langfristige Herausforderungen auf die Europäische Union zukommen sieht. Zu den kurzfristigen zählen für ihn besonders die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Corona-Pandemie verursacht wurden. Doch auch die langfristigen Herausforderungen dürfe die EU nicht aus den Augen verlieren. Dazu zählen für Horn neben der Sicherheitspolitik auch die globalen Umweltprobleme. Es brauche eine deutliche Erhöhung der Investitionen in Klimaschutz und Dekarbonisierung, was nur basierend auf einem europäischen Maßstab angesetzt werden könne. Um diese Herausforderungen zu lösen und die Transformation zu finanzieren, bedürfe es einer neuen europäischen Struktur.

Übernimmt sich die Europäische Union?

Dr. Daniel Stelter stimmte den Experten zu, er verwies zusätzlich auf die Bedrohung, dass sich die EU grundsätzlich politisch übernehme. Denn in jeder Hinsicht habe es die Europäische Union nicht geschafft, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen, beispielsweise in der Bildung, aber auch in der Steigerung der Wirtschaftsleistung. Die neue Bundesregierung sollte entsprechend darauf hinwirken, dass die Union sich nicht mit ihren Zielen übernehme, sondern andere, grundlegende politische Maßnahmen zur Stärkung der EU umgesetzt würden. Einig waren sich alle darin, dass die Inflation nicht nur im nächsten Jahr, sondern für die nächsten zehn Jahre, ein großes Thema für die Europäische Union sein werde.

Welche Rolle spielt die neue deutsche Bundesregierung für Europa?

Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, mit welcher Europa-Politik die deutsche Bundesregierung auf die vielen Herausforderungen reagiert. Bardt sieht in der Ampel-Regierung eine Chance, mit einem frischen Start in Europa unterwegs zu sein: „Ich glaube es wird nicht wieder passieren, dass Frankreich einen Vorschlag macht, und noch einen Vorschlag und noch einen Vorschlag und Berlin nicht antwortet." Dennoch meinte der Experte, dass wir nicht plötzlich in einer Welt leben, in der es nur noch Harmonie gibt und keinen Streit mehr. Die Debatte gehöre zur Europäischen Union dazu.

Anschließend an die spannende Diskussion konnten auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Europainteressierte Fragen an die Expertinnen und Experten der Wirtschafts- und Finanzpolitik stellen, wie beispielsweise zu den Effekten des strukturellen Fachkräftemangels oder zur Reform der Schuldenregeln. 

Konferenz zur Zukunft Europas

Diese Veranstaltung war Teil einer Reihe von Veranstaltungen zur Konferenz zur Zukunft Europas. Die Ergebnisse werden über die EU-Plattform zur EU-Zukunftskonferenz eingereicht und leisten somit einen direkten Beitrag zur partizipativen Gestaltung der Zukunft Europas.