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"Aus dem Protest wurden Mandate"

Markus Lippold zu unserer Diskussionsveranstaltung über Populismus, AfD und Demokratie
Frank Richter und Benjamin Giesa sprechen über Wählerfrust und Populismus.

Frank Richter und Benjamin Giesa sprechen über Wählerfrust und Populismus.

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Dieser Artikel wurde am Dienstag, den 27. Februar 2018 bei n-tv veröffentlicht und ist online auch hier zu finden.

Frank Richter wurde als "Pegida-Versteher" bezeichnet. Doch das wird ihm nicht gerecht. Er fordert von der Politik, den Bürgern zuzuhören. Denn wenn sich Probleme anstauen, profitieren Populisten. Auch wenn er der AfD etwas Gutes abgewinnen kann.

"Demokratie ist Aushandlung", sagt Frank Richter. Eine absolute Wahrheit gebe es nicht, deshalb müsse man Auseinandersetzungen aushalten. Seine Feststellung mag simpel klingen. Doch angesichts erstarkender populistischer Bewegungen und Parteien in Deutschland ist sie wichtiger denn je. Denn, so lautet Richters Diagnose: "Die Bereitschaft zuzuhören oder die Perspektive zu wechseln, ist zur Mangelware geworden."

Mit der Bereitschaft zuzuhören, ist der 57-Jährige bekannt geworden. Als langjähriger Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung forderte er einst einen Dialog mit den Pegida-Demonstranten. Er wurde dafür gelobt, aber auch scharf angegriffen, als "Pegida-Versteher" bezeichnet. Doch das greift zu kurz, wie auch eine Podiumsdiskussion in Cottbus zeigt, an der Richter am Montagabend auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung teilnimmt.

Das Interesse an Richter ist offenbar groß, auch wenn der Theologe mittlerweile an anderer Stelle aktiv ist - er gehört zur Geschäftsführung der Dresdner Stiftung Frauenkirche. Der Kongressraum eines Cottbusser Hotels ist voll. Mehr als 100 vor allem ältere Menschen sind gekommen, um Richter und seinem Diskussionspartner, dem Publizisten Christoph Giesa, zuzuhören. "Demokratie heißt Auseinandersetzung", ist die Veranstaltung überschrieben. Es soll um den Umgang mit Wählerfrust und Populismus gehen. Das stößt auf großes Interesse in einer Stadt, die wegen mehrerer Vorfälle zwischen Deutschen und Flüchtlingen kürzlich bundesweit Aufsehen erregte.

Großes Misstrauen gegenüber politischer Ordnung

Wer hier klare Antworten für konkrete Probleme erwartet, wird freilich enttäuscht. Richter geht es zunächst um Grundsätzliches, um die politische Ordnung der Bundesrepublik. Seine Diagnose ist scharf: Große Teile der ostdeutschen Bevölkerung hätten auch 28 Jahre nach der friedlichen Revolution ein tiefes Misstrauen gegenüber dieser Ordnung. Obwohl sie für Richter die beste ist, die Deutschland je hatte, denn sie erlaube es, Konflikte zu lösen. Er wirbt um Verständnis für staatliches Handeln, dafür, dass Entscheidungen auch fehlerhaft seien könnten.

Umso schlimmer findet Richter, dass sich der Staat in der Fläche zurückzieht. Das Vertrauen, dass der Staat Probleme lösen kann, schwinde. Dabei gibt es genügend Probleme, Richter konstatiert "mehrere Formen der Auseinanderdrift der Gesellschaft": zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, einkommensstabilen und einkommensfragilen Verhältnissen. Er erwähnt auch ostdeutsche Spezifika, Erschöpfungserscheinungen in der Bevölkerung nach den vielen Veränderungen seit 1990. Auch die Tatsache, dass viele Funktionsträger in den neuen Ländern aus dem Westen stammen, könne die Akzeptanz der politischen Ordnung verringern.

Das Denken in Ost und West sei gar nicht so verschieden, sagt dagegen Gesprächspartner Giesa. Der 37-Jährige, aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, lehnt Spezifika wie Ossi und Wessi ab. Dass Demokratie ein Akzeptanzproblem habe, hört man auch bei ihm heraus. Er verweist aber darauf, dass scheinbare Schwächen des politischen Systems, etwa Kompromisse und langsame Entscheidungswege, auch Stärken der Demokratie seien. "Demokratie hat keinen Anspruch auf die perfekte Lösung", sagt er. Doch berechtigte Kritik werde mitunter zur Systemkritik, womit die Möglichkeit der Differenzierung verloren gehe.

Systemkritik wird auch aus dem befragten Publikum laut. Von der Krise der repräsentativen Demokratie ist die Rede, davon, dass sich die Parteiendemokratie längst überlebt habe. Forderungen nach mehr direkter Demokratie bekommen lauten Applaus. Auch Richter und Giesa sprechen sich dafür aus, diese zu stärken. "Das hält unsere Demokratie aus", sagt Richter, warnt aber davor, darin ein Allheilmittel zu sehen. Zwar könne direkte Demokratie zu einer höheren Akzeptanz in der Bevölkerung führen, sie öffne aber auch Populisten Tür und Tor.

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Wie umgehen mit der AfD?

Wie aber umgehen mit Populisten? Wie umgehen mit der AfD? Giesa, der mehrere Bücher über AfD und Populismus herausgebracht hat, stellt fest: "Ein Ignorieren der AfD ist keine Option." Doch er schränkt ein, dass dies nur möglich sei, wenn die Partei inhaltlich arbeite. Daran mangele es aber, oft gehe es eher um spektakuläre Auftritte. Scharfe Kritik übt er etwa an der Bundestags-Debatte zu Deniz Yücel. Der dort gestellte Antrag der AfD, den Journalisten für einzelne Texte zu rügen, sei schlicht verfassungswidrig. "Das ist doch Faschismus", so Giesa.

Für Richter ist die Partei "in Teilen antidemokratisch", tendenziell sei sie autoritär und totalitär. Doch gleichzeitig sieht er im Erfolg der Partei einen Beleg, dass Demokratie funktioniere. Denn viele Probleme, die von anderen Parteien nicht aufgegriffen worden seien, hätten sich angestaut, die Menschen auf die Straßen getrieben. Aus dem dortigen Protest "wurden sukzessive Mandate", stellt er fest. Nun sei eine Auseinandersetzung nötig, im Parlament, aber auch außerhalb. "Das halten wir alles aus", sagt er.

Zuhören also. Das ist auch für einige Besucher der Knackpunkt. Die etablierten Parteien hätten nicht richtig zugehört, sagt ein Mann aus dem Publikum, und verweist auf verschiedene kommunale Probleme. Ein anderer, der sich als Bürgermeister des benachbarten Vetschau vorstellt, fordert von beiden Seiten, endlich zuzuhören und Empathie zu entwickeln, um Lösungen zu finden.

Richter, der fürs Zuhören bekannt wurde, klingt am Ende sogar optimistisch. "Krisen können grundsätzlich hilfreich sein", sagt er. Wenn man dabei fair und offen miteinander umgehe, könne am Ende ein vertieftes Verständnis für Demokratie entstehen. Das Thema wird ihn auf jeden Fall weiter begleiten. Anfang März erscheint ein Buch von ihm. Der Titel: "Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet".