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Todestag
Aufrechter Demokrat und liberaler Charakterkopf – Anlässlich des 50. Todestages von Reinhold Maier

Der erste Ministerpräsident von Baden-Württemberg starb heute vor 50 Jahren
Reinhold Maier
Reinhold Maier © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Am 19. August 2021 jährt sich der Todestag einer der prägenden Figuren des deutschen Liberalismus der Nachkriegszeit: Vor 50 Jahren verstarb Reinhold Maier, der noch heute vielen als Inbegriff bürgernaher Politik gilt. Neben dem Konzept einer „Graswurzeldemokratie“ – dem stetigen Aufbau des Staates von unten durch die Zivilgesellschaft – ist es vor allem die Gründung Baden-Württembergs, die mit seinem Namen aufs Engste verknüpft ist. Seine Taschenuhr, auf die er nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten und zur Gründung des neuen Bundeslandes Baden-Württembergs blickte, ist heute ein besonderes Exponat im Haus der Geschichte in Stuttgart. Doch hinter diesem Erinnerungsstück steht eine Person, in deren Vita sich auch die wechselhafte politische Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.

Am 16. Oktober 1889 im schwäbischen Schorndorf geboren, verbrachte Reinhold Maier seine ersten Lebensjahre im protestantisch und mittelständisch geprägten Remstal. Sowohl die liberale Atmosphäre während der Regentschaft des letzten württembergischen Königs als auch die Erfahrungen als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg beeinflussten die politische Sozialisation des jungen Jurastudenten. Bereits zu Beginn der Weimarer Republik begann Maier, sich für die Deutsche Demokratische Partei zu engagieren. Aufgrund seiner verbindlichen Art, seines Fleißes und seiner ökonomischen Expertise stieg er innerhalb weniger Jahre in hohe Parteiämter auf, bis er 1930 sogar württembergischer Wirtschafsminister wurde.

1932 zog er schließlich als Abgeordneter in den Reichstag ein und stimmte am Ende der Weimarer Republik als Mitglied der fünfköpfigen Fraktion der „Deutschen Staatspartei“ dem „Ermächtigungsgesetz“ zu und trug somit auch Verantwortung in der dunkelsten Stunde des deutschen Parlamentarismus. Maier selbst wurde in der Folge unmittelbar Zeuge, wie die Nationalsozialisten Staat und Gesellschaft gleichschalteten und in ein Unrechtssystem verwandelten: Er wurde zur Niederlegung aller politischen Ämter gezwungen und ging fortan wieder seinem Beruf als Rechtsanwalt nach. Seine Ehefrau Gerta galt nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Volljüdin“ und war samt der beiden Kinder Magda und Georg der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Buchstäblich in letzter Minute war es Gerta Maier gelungen, mit den Kindern nach England ins Exil zu fliehen, während ihr Ehemann in Deutschland zurückblieb. Er erlebte den Zweiten Weltkrieg in Stuttgart, musste sich aber in den letzten Kriegstagen vor den Nazis in einer Mühle im ländlichen Jagsttal verstecken.

Auf unverdächtige, aber politisch und administrativ erfahrene Menschen, wie Maier, griff die Militärverwaltung in der US-Beatzungszone nach Kriegsende zurück, um das das Land wiederaufzubauen. So wurde Maier im September 1945 von Oberst Dawson, dem Chef der US-Militärverwaltung, zum Ministerpräsidenten ernannt und mit der Bildung eines Kabinetts beauftragt, für das er Fachleute mit umfassender Bildung benannte, die ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus bewiesen hatten. Hierzu gehörte auch sein langjähriger Weggefährte und späterer Bundespräsident Theodor Heuss, dem er das Amt des „Kultministers“ übertrug.

In der Nachkriegszeit hatten die Liberalen mit Maier einen bekannten Charakterkopf, der als gut vernetzter und versierter Taktiker galt. Die Tatsache, dass ihm nach zähem Ringen und trotz vieler Widerstände am 25. April 1952 mit der Gründung Baden-Württembergs die bislang einzig erfolgreiche Länderneugliederung in der Geschichte der Bundesrepublik gelang, zeugt von seinem politischen Geschick. Seine Wahl zum ersten Ministerpräsidenten des neuen Landes empfand die CDU als Demütigung. Auch auf bundespolitischer Bühne entwickelt sich Maier aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen in der Deutschlandpolitik zunehmend zum Gegenspieler von Bundeskanzler Konrad Adenauer, von dem das Verdikt überliefert ist: „Die Württemberger sind jefährliche Leute. Der jefährlichste ist aber der Doktor Maier.“ Doch die von Adenauer befürchtete Gefahr der Liberalen erledigte sich, als die CDU bei der Bundestagswahl 1953 die absolute Mehrheit errang und Maier vom Posten des Ministerpräsidenten Baden-Württembergs zurücktrat. Jedoch wechselte er nach Bonn, um im Bundestag sein Mandat als Abgeordneter der FDP wahrzunehmen.

1957 folgte Maier schließlich dem Ruf der Bundespartei, als diese eine ausgleichende und strategisch erfahrene Führungspersönlichkeit suchte. Von Stuttgart aus leitete Maier dann als Bundesvorsitzender drei Jahre lang die Geschäfte der FDP und legte damit den Grundstein für das Comeback bei der Bundestagswahl 1961, als sie mit 12,8 % ein hervorragendes Ergebnis erzielte. Zehn Jahre später, kurz vor dem Freiburger Parteitag, auf dem die FDP mit den „Freiburger Thesen“ ihren neuen programmatischen Kurs festschrieb, verstarb Reinhold Maier am 19. August 1971 in Stuttgart.

Neben der Tatsache, dass er zum Vater des Südweststaats wurde, war es vor allem seine Art, Politik zu gestalten, die für Baden-Württemberg prägend wurde. Die Mischung aus Volksnähe und Feingeistigkeit, Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, ehrlicher Direktheit und taktischem Geschick ist für viele Politiker im deutschen Südwesten noch heute Maßstab.