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Jubiläum
200 Jahre griechischer Unabhängigkeitskrieg – „Freiheit oder Tod!“

Griechisches Parlament
Das griechische Parlament ist das Zentrum der modernen griechischen Demokratie © Markus Kaiser

„Freiheit oder Tod!“ – kurz und einprägsam war die Formel, die der Metropolit Germanos von Patras der Überlieferung nach am 25. März 1821 gefunden haben soll, um den Aufstand seiner Landsleute gegen die Fremdherrscher zu segnen. Damit begann heute vor 200 Jahren der Freiheitskampf der Griechen gegen die osmanischen Besatzer, der den Weg zu einem griechischen Nationalstaat ebnen sollte.

1821: Unabhängigkeitskrieg oder Revolution?

Auch zwei Jahrhunderte später liefern die Ereignisse von 1821 immer noch Diskussionsstoff, was genau damals seinen Ausgang nahm. Historiker aus dem angelsächsischen Raum befinden mehrheitlich auf einen Unabhängigkeitskrieg, der keine Änderungen in den politischen Praktiken, im Wirtschaftssystem oder in der gesellschaftlichen Hierarchie herbeigeführt habe. Demnach sei lediglich die osmanisch-muslimische Herrscherklasse durch eine griechisch-christliche ersetzt worden.

Doch der Aufstand von 1821 unterscheidet sich fundamental von anderen Aufständen auf dem Balkan, wie z.B. dem Serbischen Aufstand von 1804, in dessen Verlauf sich einstige Gebiete des Osmanischen Reiches für teilautonom erklärten. Diese Aufstände hatten nicht das primäre Ziel, die vorherrschenden sozio-politischen Strukturen zu ändern, sondern die muslimischen Fremdherrscher durch christliche Machthaber zu ersetzen.

Der griechische Aufstand von 1821 änderte jedoch die vorherrschende politische Struktur, den Staatsaufbau, die kollektiven Identitäten, die gesellschaftlichen wie politischen Werte sowie die ökonomischen Beziehungen von Grund auf. Daher kann auch zweifellos von einer Revolution gesprochen werden.

Am Vorabend des Aufstands

Zu dem Zeitpunkt, als der Metropolit Germanos von Patras den Kampf gegen die Osmanen segnet, ist es noch keineswegs ausgemacht, dass der Aufstand zum Erfolg führt – bei weitem nicht alle Hellenen sind sich darin einig, die Osmanen loszuwerden. Viele von ihnen hatten es im osmanischen System in hohe Ämter geschafft und waren an einem Umsturz nicht interessiert.

Weite Teile der Bevölkerung leben jedoch in großer Armut und werden im osmanischen Kastensystem der Religionen nicht als Bürger erster Klasse angesehen. Im Verlauf der vierhundertjährigen Herrschaft der Osmanen über Griechenland entwickelte sich ein nationalrevolutionäres Potential, das maßgeblich von der Französischen Revolution beeinflusst wurde. In Paris und in anderen europäischen Hauptstädten zirkulieren zu der Zeit zahlreiche Revolutionspamphlete, in denen eine radikale Umwälzung der bestehenden Verhältnisse als eine realistische Option präsentiert werden.

Tragende Säule der Revolution ist eine Elite, bei denen es sich um Angehörige einer aufstrebenden Mittelschicht von Intellektuellen und Kaufleuten handelt, deren Unzufriedenheit ob der Umstände zunahm. Wichtige Mitglieder dieser Gruppe organisieren sich im Geheimbund Philiki Etaireira (Gesellschaft der Freunde), der erstmals eine allgemeine Erklärung zur „Befreiung des Vaterlandes“ von osmanischer Herrschaft zu seinem einzigen Ziel erklärt.

Die Griechen greifen zu den Waffen und rebellieren

Nachdem ein erster Aufstand in den Donaufürstentümern kläglich gescheitert war, konzentriert sich der Beginn des Aufstands Ende März 1821 auf die Peloponnes und Mittelgriechenland. Innerhalb kürzester Zeit werden mehrere Städte eingenommen, und der Aufstand weitet sich auch auf andere Gebiete aus. Unter den Aufständischen befinden sich auch Muslime, die – ähnlich ihrer christlichen Waffenbrüder – das traditionelle osmanische System der Untertanen durchbrechen und zu wahren Staatsbürgern mit Rechten und Pflichten werden wollen. Auch wenn in den ersten Revolutionsverfassungen nur Christen als griechische Bürger definiert werden, ist religiöse Toleranz Bestandteil dieser Konstitutionen.

Im Verlaufe des Aufstands formiert sich eine griechische Identität. Gebiete und Regionen, die bislang wenig Kontakt zueinander hatten, rücken gegen den gemeinsamen Feind zusammen. In den Nationalversammlungen sind Griechen aus allen Regionen – sogar außerhalb des Osmanischen Reiches – und allen sozialen Schichten vertreten.

Währenddessen wird die Nachricht des griechischen Aufstands mit Begeisterung aufgenommen. In Europa und in den USA bilden sich „philhellenische Komitees“, die auf unterschiedliche Art der Revolution Unterstützung leisten. Ihr Enthusiasmus speist sich aus der Verehrung für die klassische Antike. Wichtigster Philhellene ist der englische Dichter Lord George Byron, der sein Hab und Gut verkauft, um den Aufständischen Unterstützung zu leisten. Damit nicht genug, macht er sich persönlich auf den Weg nach Griechenland, um an der Front zu kämpfen. Heute wird Byron in Griechenland als Nationalheld gefeiert.

Noch während die Kämpfe an vielen Orten wüten, tritt die erste griechische Nationalversammlung in Epidauros zusammen und proklamiert am 1. Januar 1822 die Revolutionsverfassung, die das erste Dokument dieser Art mit explizit gesamtnationalem Geltungsanspruch darstellt und eine radikale Gewaltenteilung vorsieht ­– bahnbrechend für die damalige Zeit. Der größte Bruch mit der Vergangenheit ist die Loslösung vom absolutistischen System des Osmanischen Reiches und der Übergang zu einem Staat mit starken Institutionen.

Eine neue Eskalationsstufe im Krieg wird erreicht, als die osmanische Zentralregierung Marschbefehle an lokale Paschas erteilt, den Aufstand gewaltsam zu beenden. Wichtige osmanische Lokalherrscher gehen gegen die Aufständischen vor. Darüber hinaus entsendet die Hohe Pforte eine Kriegsflotte in die Ägäis, die Ende März 1822 die Insel Chios besetzt und dort ein Massaker an der Bevölkerung anrichtet. Doch die osmanischen Offensiven gegen die Aufständischen scheitern.

Interne Konflikte lassen die Revolution beinah scheitern

Nachdem die gemeinsame Verteidigungslinie gegen die osmanischen Angriffe erfolgreich standhält, brechen unter den Aufständischen interne Konflikte aus, die in zwei Bürgerkriege (1823-1824) münden. Es stehen sich rivalisierende politische Lager gegenüber: einerseits zivile Eliten, die das Parlament dominieren, andererseits die Militärs, die in der Exekutive vorherrschen.

Die Hohe Pforte gibt Griechenland so schnell nicht auf. Im Februar 1825 erreicht ein gut bewaffnetes und ausgebildetes Expeditionskorps aus Ägypten die Peloponnes. Die Truppen unter Führung von Ibrahim Pascha, Sohn des osmanischen Statthalters in Alexandria, erobern weite Teile der Peloponnes und richten in Messolonghi ein Massaker an. Die „Katastrophe von Messolonghi“ löst in Europa eine Empörung aus, die noch stärker ist als nach dem Massaker auf Chios. Die Großmächte, die den griechischen Freiheitskampf bis dahin als Störung des politischen Gleichgewichts gesehen hatten, erwägen erstmals eine politische Intervention zugunsten der Aufständischen. Nachdem Vermittlungsversuche von England, Russland und Frankreich scheitern, greifen diese im Oktober 1827 militärisch ein und attackieren bei Navarino die osmanisch-ägyptische Flotte. Damit fällt eine wichtige Vorentscheidung für die künftige Unabhängigkeit Griechenlands.

Übergang vom Reich zum Nationalstaat und vom Untertanen zum Bürger

Die endgültige Niederlage der Osmanen führt jedoch nicht zu einer Befriedung. Weiterhin stehen sich verfeindete Gruppen gegenüber, die um die neuen Machtressourcen kämpfen. Eine Nationalversammlung hatte 1827 eine Revolutionsverfassung verabschiedet, die an die US-amerikanische Verfassung von 1787 angelehnt war und eine Präsidialdemokratie verankerte. Die so genannte „Konstitution von Troizina“ wird allgemein als eine sehr freiheitlich-demokratische Verfassung angesehen, die ihrer Zeit – besonders in Europa – weit voraus war. Elementare liberale Werte wie die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die Gewaltenteilung oder die Trennung von Kirche und Staat waren hier bereits verankert. Hauptziel der Verfassung war der Übergang vom Untertanen zum Staatsbürger.

Mit dem erfahrenen Diplomaten Ioannis Kapodistrias ernennt die Nationalversammlung zudem einen Regenten für die kommenden Jahre. Kapodistrias setzt ein ambitioniertes Aufbauprogramm in Gang, das alle Bereiche des staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns umfasst. Doch nicht alle Griechen sind mit diesem freiheitlich-demokratischen Programm einverstanden. Konflikte sind vorprogrammiert. Eine einflussreiche Gruppe möchte das traditionelle osmanische Verteilungssystem beibehalten. Demnach soll die Exekutive weiterhin in der Hand weniger, einflussreicher Familien liegen, lokale Regierungen sollen unabhängig von der Zentralregierung agieren, paternalistisch-klientelistische Strukturen sollen beibehalten werden.

Die zunehmend autokratische Regierungspraxis und das rigide Zentralisierungs- und Modernisierungsprogramm trifft zunehmendend auf Widerstand. Am 9.Oktober 1831 wird Kapodistrias, der zuvor die Verfassung außer Kraft gesetzt und sich zum Alleinherrscher erkoren hatte, von Angehörigen einer rivalisierenden Familie ermordet. Auch der jüngere Bruder von Kapodistrias, der nun zum Regenten ernannt wird, kann die verfeindeten Lager nicht befrieden.

König Otto – ein Bayer in Griechenland

Die Europäer, die dem jungen Staat zu seiner Unabhängigkeit verholfen hatten, haben genug von den internen Konflikten und setzen im Juli 1832 einen glühenden Philhellenen aus Bayern als Monarchen ein: den 17-jährigen Otto von Wittelsbach, Sohn von König Ludwig I.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die griechische Revolution von 1821 nicht nur die Unabhängigkeit eines unterjochten Gebietes bedeutete. Sie bedeutete die Abkehr von einem absolutistisch-feudalen System hin zu einem zeitgenössischen Nationalstaat – wenn auch nur kurz ohne einen Monarchen – und einen Wandel von einer agrarisch geprägten hin zu einer freien, selbstbestimmten, ja sogar modernen Gesellschaft.

Aret Demirci ist Projektassistent im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Sofia und verantwortlich für die Aktivitäten der Stiftung in Griechenland.