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Griechenland
Wahlen in Griechenland – Was ist zu erwarten?

Besuch des griechischen Premierministers und Präsidenten der Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, in Piräus.

Besuch des griechischen Premierministers und Präsidenten der Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, in Piräus.

© picture alliance / ANE / Eurokinissi | Sotiris Dimitropoulos / Eurokinissi

Am Sonntag wählen die Griechen ihr neues Parlament – doch das neue Wahlsystem erschwert die Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung. So könnten die Griechen in wenigen Wochen erneut aufgerufen werden, abermals an die Urnen zu gehen.

Das griechische Wahlsystem und ihre Auswirkungen auf die Regierungsbildung

Bei den bevorstehenden Wahlen am Sonntag wird zum ersten Mal seit 1990 nach einem System gewählt, bei dem das sogenannte „griechische Bonus“ nicht zum Einsatz kommt – das verstärkte Verhältniswahlrecht, das in dieser Hinsicht europaweit einzigartig sein dürfte, belohnt die Partei mit den meisten Stimmen mit 50 Extrasitzen im Parlament, so dass auf eine Koalitionsbildung verzichtet werden kann. Eine Koalitionskultur, eigentlich typisch für Länder mit einem Verhältniswahlrecht, konnte hierdurch erst gar nicht gedeihen. Dieses besondere Wahlsystem führte auch zur Bildung eines starren Zweiparteiensystems, das eigentlich eher typisch ist für Länder mit Mehrheitswahlrecht. Die konservative Nea Dimokratia (ND) und die sozialdemokratische Pasok waren die beiden großen Volksparteien, die sich lange Zeit an der Macht abwechselten. Raum für eine dritte Stimme gab es kaum.

Doch die Staatsschuldenkrise vor einem Jahrzehnt hatte neben den ökonomischen Konsequenzen auch tiefgreifende Folgen für die Politik des Landes – die großen Parteien, denen vorgeworfen wurde, für die Krise verantwortlich zu sein, mussten herbe Rückschläge in der Wählergunst hinnehmen, neue Parteien auf dem rechten wie linken Flügel des Spektrums bildeten sich heraus. Es kam notgedrungen zu Koalitionsregierungen, die bis dahin untypisch für das Land waren.

2016, mitten in der Krise, beschloss die linksradikale Syriza unter dem damaligen Ministerpräsidenten Tsipras, das umstrittene Bonussystem abzuschaffen – so sollten Einparteienregierungen, die in der demokratischen Geschichte Griechenlands eher die Regel waren, erschwert und durch Koalitionsregierungen ersetzt werden. Während zuvor für eine Partei in der Regel etwa 38 % der abgegebenen Stimmen ausreichten, um alleine und ohne einen lästigen Koalitionspartner zu regieren, müssen hierfür nach dem neuen System, das am Sonntag erstmals zur Anwendung kommt, mindestens 45 % der Stimmen geholt werden.

Eine andere Besonderheit in Griechenland ist, dass Wahlrechtsänderungen in Griechenland laut Verfassung erst beim übernächsten Urnengang wirksam werden – so ist auch zu verstehen, warum Ministerpräsident Mitsotakis von der Nea Demokratia (ND) bei seinem Sieg 2019 weniger als 40 Prozent der Stimmen schon ausreichten, um eine absolute Mehrheit zu ergattern, obwohl das Wahlrecht von der Vorgängerregierung bereits geändert worden war. Bei der Wahl am Sonntag wird Mitsotakis jedoch seinen Stimmenanteil erheblich erhöhen müssen, wenn er weiterhin alleine an der Macht bleiben möchte.

Mitsotakis spekuliert auf Wiederholung der Wahl im Juli

Doch Mitsotakis ist ein Politiker, der ungern seine Macht mit anderen teilt, und Griechenland wäre nicht Griechenland, wenn nicht jeder Politiker zu seinen eigenen Gunsten am System schrauben würde. So führte Mitsotakis gleich nach seiner Wahl das alte System mit den 50 Bonussitzen wieder ein, das – falls nach der Wahl am Sonntag keine Regierung gebildet werden kann – bei einer Wiederholungswahl wenige Wochen später zum Einsatz kommen würde. Neu im Vergleich zum alten Bonussystem ist, dass die Anzahl der Extra-Sitze vom Stimmenanteil abhängt – je höher der Stimmenanteil, desto mehr zusätzliche Sitze im Parlament.

Die Äußerungen von Mitsotakis in den Wochen vor der Wahl lassen auch erahnen, was er im Schilde führt – der Ministerpräsident lehnt eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit einer anderen Partei ab und meint, Koalitionen seien nicht im Sinne Griechenlands.

Mit wem soll er aber auch regieren? Eine große Koalition steht nicht zur Debatte, da ND und Syriza sich in wichtigen Fragen diametral gegenüberstehen, und die eher moderate Pasok hat er vergrault, indem er ihren Parteivorsitzenden Androulakis gesetzeswidrig abhören ließ. Daher spekuliert Mitsotakis auf eine Wiederholung der Wahl in wenigen Wochen, die ihm dann bei rund 38 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit verleihen würde. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg – Umfragen zufolge ist seine ND weit entfernt von diesen Werten.

Bis vor wenigen Monaten saß Mitsotakis eigentlich noch fest im Sessel und die einzige Frage hieß, wie groß seine absolute Mehrheit ausfallen würde. Doch das tödliche Zugunglück in Templi, der Abhörskandal und die Probleme um die Presse- und Meinungsfreiheit (Platz 107 auf der Liste der weltweiten Pressefreiheit) zerstörten die positive Wahrnehmung des Premiers, die er sich in den vergangenen Jahren durch eine gute Wirtschaftsbilanz hart erarbeitet hatte. Plötzlich war das Bild der alten ND wieder da, die in der Vergangenheit durch ihre erzkonservative und autoritäre Politik bekannt war – eine Partei, die Mitsotakis eigentlich umkrempeln wollte.

Die Parteienlandschaft in Griechenland

An den Wahlen am Sonntag nehmen 36 politische Parteien teil. 14 weiteren Parteien wurde die Teilnahme verweigert, da sie die Mindestforderungen nicht erfüllten. Den jüngsten Umfragen zufolge könnten sechs politische Formationen den Sprung ins Parlament schaffen. Die konservative ND von Mitsotakis büßt wichtige Stimmenanteile ein im Vergleich zu 2019 und kommt nur noch auf rund 33 Prozent, jedoch weiterhin mit einem komfortablen Vorsprung vor der sozialistischen Syriza von Tsipras (ca. 27 Prozent). Die sozialdemokratische Pasok erholt sich langsam, aber sicher von ihrem historisch schlechtesten Ergebnis von weniger als 5 Prozent bei den Wahlen 2015 – die ehemalige Volkspartei, die in ihren besten Zeiten Ergebnisse weit nördlich von 40 Prozent erzielte, kann sich Hoffnungen auf ein zweistelliges Ergebnis machen. Damit käme ihr die Rolle des Königsmachers zu, da sowohl ND als auch Syriza auf Pasok angewiesen wären für eine Mehrheit im Parlament.

Neben diesen drei Parteien rechnen sich noch die Kommunistische Partei (rund 7 Prozent), die rechtsextreme Griechische Lösung (knapp über 3 Prozent) und die links-grüne MeRA25 des ehemaligen – und exzentrischen – Finanzministers Varoufakis realistische Chancen aus, die in Griechenland gültige Hürde von 3 Prozent zu überspringen.

Die Demoskopen sehen bislang einen rekordverdächtigen Anteil von Unentschlossenen und rechnen mit einer niedrigen Wahlbeteiligung, die in Griechenland bei den vorangegangenen Wahlen stets knapp über oder unter 60 Prozent lag.

Geht die Rechnung von Mitsotakis auf?

Mitsotakis geht ganz klar von einer Wiederholung der Wahl Anfang Juli aus und hofft, dank Hilfe der Bonussitze die absolute Mehrheit im Parlament zu ergattern. Doch Tsipras könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen, indem er eine linke Koalition unter seiner Führung schmiedet. Mit von der Partie wären neben der Pasok und seinem Ex-Kollegen Varoufakis auch die Kommunisten. Dass Tsipras bei der Auswahl seiner Partner nicht unbedingt sehr kleinlich ist, hat er 2015 bereits unter Beweis gestellt: Damals waren die Unabhängigen Griechen sein Koalitionspartner, eine rechtspopulistische Partei.