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Belarus
Wahlen in Belarus: Ein Schlag ins Gesicht der Bevölkerung

Massenproteste und Gewalt
Massenproteste und Gewalt in Belarus © picture alliance/dpa/Sputnik | Viktor Tolochko

Präsidentschaftswahlen in Belarus sind bekanntermaßen kein Fest der Demokratie. Häufig steht der Sieger nämlich schon vor Öffnung der Wahllokale fest: Seit der Amtsübernahme von Alexander Lukaschenkos 1994 wurde keine einzige seiner vier Wiederwahlen von den Wahlbeobachtern der OSZE für legitim befunden.

Auch dieses Mal kam es nicht anders. Am Wahlabend des 9. August 2020 verkündeten die staatlichen Medien einen überwältigten Wahlsieg Lukaschenkos: Knapp 80% der Belarusen sollen dem autoritären Staatschef ihre Stimme zugesichert haben. Die Opposition um die sogenannten "Drei Grazien" (Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikova, Veronika Zepkalo) kamen offiziell auf 9,9% der Stimmen. Ein Wahlergebnis als Schlag ins Gesicht der belarussischen Bevölkerung. Zwar hatte kaum einer im Land ernsthaft erwartet, dass sich Lukaschenko seinen politischen Gegnern in einer demokratischen Wahl beugen würde. Doch die Dreistigkeit der Wahlfälschung bei dieser Wahl übersteigt alles bisher Dagewesene.

Bereits im Vorfeld der Wahlen war klar, dass Lukaschenko zum ersten Mal keine breite Mehrheit im Lande hinter sich bringen wird. Wirtschaftliche Stagnation, staatliche Repression und nicht zuletzt seine irrwitzige Handhabung der COVID-19-Pandemie, die Lukashenko bekanntermaßen mit Wodka, Sauna und ausreichend Erntearbeit auf dem Traktor bekämpfen wollte, sorgte dieses Mal nicht nur für Unmut bei den urbanen Bildungsbürgern, sondern kosteten ihn auch seine Stammwähler auf dem Land. Die Mehrheit der Belarusen hatte genug vom Vintage-Sowjet-Führungsstil des Alexander Lukaschenko.

Nach Bekanntgabe des "Wahlergebnisses" kam es daher wie es kommen musste: Hundertausende Belarusen gingen auf die Straßen - und zwar nicht nur in Minsk. In kleineren Städten wie Pinsk, Lida oder Zhodino bildeten sich Bürgergruppen vor den Wahllokalen. Man appellierte an die Wahlleiter, sich nicht der Anordnungen des Regimes unterzuordnen und sich damit der Wahlfälschung schuldig zu machen. In einigen Fällen funktionierte diese Strategie und so wurden im Laufe der Wahlnacht mehr und mehr solcher unverfälschten Wahlprotokolle in den Sozialen Medien geteilt. Auf nahezu allen diesen Wahlbögen fielen die meisten Stimmen auf Swetlana Tichanowskaja. Dies befeuerte die Protestbewegung, der sich immer mehr und mehr Menschen anschlossen.

Das Lukaschenko-Regime reagierte darauf in gewohnter Weise mit harter Repression: In Antizipation der Geschehnisse wurde schon im Laufe des Nachmittags landesweit das Internet abgeschaltet, Polizei- und Sicherheitskräfte wurden in Alarmbereitschaft versetzt und ganze Straßenblöcke in Minsk blockiert. Auf den Straßen von Minsk, Brest und Grodno wurden friedliche Demonstranten von Einsatzkräften willkürlich aus den Protestgruppen gezogen, mit Schlagstöcken angegriffen und inhaftiert. Nach Aussagen der Regierungsseite wurden so in der Nacht von Sonntag auf Montag mehr als 3.000 Menschen festgenommen. Doch dieses Mal blieb es nicht bei den Festnahmen, die man bereits aus vergangenen Wahlnächten in Belarus kennt. Bis spät in die Nacht ging die Polizei mit Blendgranaten, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. Ein noch nie dagewesenes Ausmaß staatlicher Gewalt in einem Land, das in den mittlerweile 26 Jahren unter autoritärer Führung schon einiges miterlebt hat.

Die Geschehnisse in Belarus dieser Tage zeigen, dass Lukaschenko keinerlei Zweifel aufkommen lassen möchte, wer in Zukunft das Land mit harter Hand regieren wird. Trotz der eindrucksvollen Bilder aus Belarus, die das kleine Land zum ersten Mal in die Weltöffentlichkeit katapultiert haben, wird es allem Anschein nach keinen "belarusischen Maidan" geben. Viele namhafte Oppositionspolitiker sind bereits schon jetzt untergetaucht. Von den "Drei Grazien" ist wenig übriggeblieben: Veronika Zepkalo ist nach Russland zu ihrem Mann geflohen und auch Swetlana Tichanowskaja hat sich in Sicherheit gebracht. Sie befindet sich mittlerweile in Litauen. Lukaschenko hat der belarussischen Demokratiebewegung mal wieder jegliche Führungsfigur genommen. Die nächsten Tage werden zeigen, ob eine dezentrale Graswurzelbewegung die Mammutaufgabe des demokratischen Wandels in Belarus stemmen kann. Es wäre ihnen zu wünschen.

Sven Gerst ist Doktorand für Politische Ökonomie am King’s College London und Generalsekretär des internationalen liberalen Jugendverbandes IFLRY (International Federation of Liberal Youth). Er lebt bis vor kurzem in Minsk und twittert als @sgerst zur politischen Lage in Weißrussland. 

Unsere Belarus-Expertin, Beate Apelt, bei SWR Aktuell zur Flucht Tichanowskajas nach Litauen

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