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Bayernwahl 2018
Ein Erdbeben? – endlich mehr Normalität

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger analysiert die Parteienlage nach der Landtagswahl
Leutheusser-Schnarrenberger: „Die Figur des 'ausländischen Agenten' ist absurd“

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vorstand Friedrich-Naumann-Stiftung

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Landtagswahl am 14. Oktober 2018 hat in Bayern einige Selbstverständlichkeiten erschüttert. Die Selbstherrlichkeit der CSU und ihr Alleinvertretungsanspruch sind dahin. 37,2 % sind für manche Parteien ein überwältigendes Wahlergebnis, für die CSU ein Erdbeben und Desaster. 2008 mit 43,3 % erscheint im Rückblick noch wie ein Sieg, auch wenn es zur ersten Koalition, CSU und FDP, seit über 40 Jahren in Bayern führte.

Mandatsverluste, Verlust der absoluten Mehrheit und sechs Parteien im bayerischen Landtag bedeuten für die CSU Instabilität, für uns andere Demokraten der Beginn einer Normalisierung. Eine hohe Wahlbeteiligung und ein in der Schlussphase richtig lebendiger Wahlkampf begleitet von einem Umfragen-Dauerfeuer haben den Bürgern Wahlmöglichkeiten eröffnet und bisher nie dagewesene Koalitionsoptionen. Wenn das christsoziale Themenchaos aus Berlin nicht gewesen wäre, hätte es sogar noch wirklich intensiv um bayerische Themen gehen können wie Wohnungsmangel und astronomische Mieten, bessere Qualität in den Kitas und einen Anspruch auf Ganztagsschule und ein bayerisches Polizeiaufgabengesetz, das Bürger viel zu schnell unter einen Generalverdacht stellt und nicht mehr Sicherheit schafft. So haben Seehofer und Söder in falscher Einschätzung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger den Wahlkampf der AfD betrieben, die sich mit ihren Kandidaten gar nicht blicken lassen musste. 

Das Wahlergebnis schafft nicht die von der CSU beschworene Instabilität, sondern eröffnet zwei Koalitionsmöglichkeiten. Die wahrscheinliche Variante der CSU–Freie Wähler Koalition birgt keine Überraschungen. Wie auch, wenn zwei sehr ähnlich gestrickte Parteien mit denselben CSU-Wurzeln gemeinsam regieren. Sie wird deshalb auch nicht ein erfrischender Aufbruch sein, sondern tendenziell wird sich nicht viel ändern.

Schwarz-Grün wie in Hessen käme einem Kulturschock in Bayern gleich. Was daran gut wäre, wäre der Realitätscheck, den die Grünen durchmachen müssten. Denn Bayern ohne weiteren Flächenverbrauch und ohne Automobilindustrie wären zu viel Disruption. So viel Überspitzung sei erlaubt.

Bayerischer Landtag

Wie wird die neue Koalition im bayerischen Landtag aussehen?

© Streetflash / iStock / Getty Images Plus

Zwei Ergebnisse sind bemerkenswert

Die früher stolze SPD scheint ihrem Niedergang stoisch entgegen zu sehen, schade. Und die Grünen haben die Power zur Volkspartei. Sie haben aus ihrer Sicht alles richtig gemacht. Themen, Personen und Kampagnen passten zusammen. Und wie die Wahlanalysen bescheinigen, haben sie auch das bayerische Heimatgefühl ansprechen können. 170 000 Stimmen von der CSU an die Grünen und 200 000 von der SPD sind ein Indiz dafür. Ihr Wählerpotential ist zum Teil auch dem der FDP ähnlich: Junge Menschen, selbständig, gebildet, urban. Die FDP hat ihr Wahlergebnis wesentlich den Münchnern und dem oberbayerischen Umland zu verdanken. Ohne die alle unter 5 % liegenden Ergebnisse in den anderen sechs Bezirken hätte es auch keine 5,1 % gegeben, aber über 5 % sind wir durch einige herausragende Ergebnisse wie in München, München-Land, Starnberg und einigen anderen Städten gekommen.

Der Platz in der begehrten Mitte der Gesellschaft ist hart umkämpft. Auch die Grünen, deren Fundiwurzeln man in Bayern nur mit der Lupe findet, und die sich von dem Veggie Day Quatsch und der Verbotstyrannei entfernt haben, umwerben neben Freien Wählern, CSU und FDP die Bürger. Dass die FDP nicht zerrieben wurde, ist auch dem sehr authentischen Wahlkampf des bayerischen Spitzenkandidaten zu verdanken. Jung, dynamisch, eloquent, faktenfest und richtig liberal realistisch auch in der Flüchtlingspolitik hat er überdurchschnittlich viele junge Wähler gewonnen. An einem besseren Frauenanteil muss noch gearbeitet werden, wie in der gesamten Partei. Die Opposition bietet der FDP die besten Chancen, sich jetzt ein langfristig tragendes Profil zu erarbeiten.

Eine Lehre muss auch gezogen werden. Liberal affine Menschen wollen überzeugende Antworten im Umweltschutz und zum unumstrittenen Klimawandel haben. Da haben die Grünen einen Vorteil, denn das Thema leben sie mit ihren grünen Antworten. Es braucht also im Wettbewerb stärker auch die liberalen. 

Um die Bürgerrechte kümmern sich nur die FDP und verbal die Grünen. Nimmt man ihre Regierungsbeteiligung in anderen Bundesländern wie in Baden-Württemberg und in Hessen, dann hinterlässt sie dort keine Bürgerrechtsspuren. Sonst hätten die Polizeigesetze dort anders aussehen müssen. 

Die bayerischen Uhren gehen immer noch anders. Dass eine Partei mitregieren wird, die es in anderen Bundesländern gar nicht gibt, zeigt das.  Die AfD konnte zumindest auf 10,2 % begrenzt werden, aber immer noch viel zu viel. Ohne die Seehofer-Söder- Eskapaden wäre das Ergebnis vielleicht noch niedriger ausgefallen.

Die Ernüchterung wird für die Grünen im Landtag in der Oppositionsarbeit folgen. Anträge und Anfragen wie die letzten 20 Jahre, aber keine Gestaltung.

FDP und Grüne müssen aus der früheren gegenseitigen Abneigung raus und zu einem vernünftigen Wettbewerb kommen. Im Bund ist das begonnen worden.