EN

Atomabkommen
Zuspitzung im Nahen Osten: USA, Iran, Militär und Öl

Der Iran steht mit dem Rücken zur Wand - und ist dennoch nicht machtlos
Hassan Ruhani, Präsident des Iran

Hassan Ruhani, Präsident des Iran

© picture alliance/Ameer Al Mohmmedaw/dpa

Von außen betrachtet, ist Grund zur Besorgnis durchaus verständlich: Deutsche Zeitungen titeln "Trump schickt Flugzeugträger und Bomber nach Nahost: Droht ein Krieg mit dem Iran?". Die Bundeswehr setzt ihren Ausbildungseinsatz irakischer Soldaten vorläufig aus und amerikanisches Botschaftspersonal wird aus dem Irak abgezogen. Die Iran zugeordneten Angriffe auf Öltanker knapp außerhalb des Persischen Golfs, Drohnen-Anschläge auf saudische Ölanlagen, schwere Drohungen seitens der amerikanischen und saudischen Regierung an Teheran, ein Ultimatum an die EU und die Aussicht auf die Aufkündigung des Atomabkommens seitens Iran - alle Zeichen scheinen auf Krieg zu stehen.

Dass diese Besorgnis in der arabischen Welt nur bedingt geteilt wird, liegt an einer gewissen Gelassenheit. Denn im Grunde geht es wie so oft wieder um die Frage der schiitisch oder sunnitisch geprägten Vormachtstellung am Persischen Golf sowie die Gewährleistung der weltweiten Öl-Versorgung. An diesen beiden Faktoren hängen derzeit jedoch so viele Interessen, dass eine Eskalation des derzeitigen Konflikts – zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls – eher unwahrscheinlich scheint. Ob sich diese Eskalationsspirale weiter fortsetzt und ob sie tatsächlich in Zukunft zum Ausbruch eines Krieges führen wird, ist derzeit schwer abzusehen und hängt maßgeblich davon ab, inwiefern die involvierten Parteien von kriegerischen Handlungen profitieren würden.

Eine kurze Einschätzung über die Gefahrenlage und die aktuellen Spannungen gibt unser Projektleiter in Beirut.

Die Position der USA

Im vergangenen Jahr hatte US-Präsident Donald Trump das internationale Atomabkommen mit Iran aufgekündigt. Seit dem 1. Mai dieses Jahres müssen nun alle Länder zusätzlich mit Sanktionen rechnen, die Öl aus Iran importieren. Irans Öllieferungen sollen so zum Erliegen gebracht werden. Iran kündigte seinerseits am 8. Mai an, sich nach Ablauf einer 60-tägigen Frist nicht mehr an die Vereinbarungen des JCPOA zu halten, sollten die EU, Russland und China nicht einen Weg finden, den Erdöl-Handel weiter zu garantieren und Iran an den internationalen Zahlungsverkehr anzuschließen. Nur eine Woche später reagierte die amerikanische Regierung auf Meldungen ihrer Sicherheitsorgane über potentielle iranische Bedrohungen und verlegte Streitkräfte, B-52-Bomber und eine Patriot-Raketenabwehrbatterie in den Persischen Golf. Das seit dem Sturz des Schahs erheblich belastete Verhältnis zwischen den USA und Iran ist somit nun um eine weitere Episode reicher. 

Dass der amerikanischen Iran-Politik jedoch keine kohärente Strategie zu Grunde liegt, ist den Widersprüchen innerhalb der US-Administration der letzten Tage zu entnehmen. Vieles deutet darauf hin, dass es interne Friktionen innerhalb der US-Regierung gibt, insbesondere zwischen Sicherheitsberater Bolton und Außenminister Pompeio. Zwar betonte Präsident Trump in den letzten Tagen mehrfach, dass er an einem Krieg mit Iran kein Interesse habe; allerdings kennt niemand das Rational der derzeitigen amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Obgleich ein Krieg mit all seinen Folgen vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr kontraproduktiv wäre, kann man nicht ausschließen, dass Präsident Trumps Handlungen jeglichen Prognosen und eigenen Aussagen zuwiderlaufen. Obwohl die Trump Regierung zunächst den Kongress von allfälligen Kriegsvorhaben überzeugen müsste, könnte Trump auch ohne dessen Einbindung Fakten schaffen, insbesondere durch den Verweis auf terroristische Bedrohung durch Iran. Dies könnte Präsident Trump die Rechtfertigung geben, die er braucht, um Iran – im Rahmen einer seit 9/11 in Kraft befindlichen Resolution zur Anwendung von Gewalt ohne Zustimmung des Kongresses – zu bekämpfen.

Auch Saudi-Arabien, Irans bedeutendster Gegenspieler in der Region, erklärte mehrfach, einen Krieg vermeiden zu wollen. Man sei allerdings auch bereit, mit aller „Entschlossenheit“ zu reagieren, hieß es seitens Außenministeriums. König Salman lud die Vertreter des Golf-Kooperationsrates und der Arabischen Liga zu zwei Krisentreffen Ende Mai in Mekka ein. Dort soll diskutiert werden, inwieweit Iran versucht, mit Drohnen-Anschlägen auf saudische Öl-Anlagen die Gewährleistung der weltweiten Öl-Versorgung zu untergraben. Saudi-Arabien – ein ausdrücklicher Gegner des Atomabkommens - weiß die USA hinter sich und ist sehr daran interessiert, dass diese sich eindeutig in der Gemengelage gegen Iran positionieren. Inwieweit die Situation sich zu König Salmans Gunsten entwickeln könnte und bis zu welchem Maße das Königreich hier gezielt Öl ins Feuer gießt, bleibt abzuwarten. 

Iran stehen noch immer einige Türen offen

Der Druck auf Iran zielt darauf ab, die Regierung entweder zu zwingen, einem weitaus strengeren Atomabkommen als dem jetzigen zuzustimmen, oder die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Iraner ihre Regierung stürzen könnten. Die Regierung in Iran steht somit mit dem Rücken zur Wand. Sie hat dennoch einige Optionen. Schon die ökonomische Situation des Landes verlangt danach, den Ölhandel auszubauen. Dennoch wird sich Iran - jetzt erst recht - nicht mit den USA an einen Tisch setzen und ein neues Nuklearabkommen aushandeln. Dafür stehen Iran zu viele andere Wege offen. Die Angriffe auf die Schiffe in der Straße von Hurmuz sind eine direkte Botschaft an die Amerikaner und an Saudi-Arabien, dass Iran die wichtigsten Schifffahrtsrouten, die den Persischen Golf mit Ostasien und Europa verbinden, blockieren kann. 

Darüber hinaus kann Iran auf eine Vielzahl stabiler, internationaler Netzwerke zurückgreifen. Auch deshalb sind Länder wie Pakistan derzeit in höchster Alarmbereitschaft. Es ist davon auszugehen, dass schiitische Kämpfer, Schläfer und Aktivisten über Nacht Ölleitungen und -fabriken im Irak und anderswo attackieren würden. Es besteht die Gefahr, dass die Hisbollah im Libanon mit voller Kraft nach Israel austeilen könnte, was wiederum zu Vergeltungsschlägen der Israelis führen würde. All dies würde den Ölpreis in die Höhe treiben und damit der iranischen Regierung in die Hände spielen. Das Ziel der Iraner ist die Aufrechterhaltung des Nuklearabkommens bei gleichzeitig höherer Öllieferung. Hier ist der Ansatzpunkt jeder auf Vernunft basierten diplomatischen Lösung. Bei einem Krieg um Iran würde das Land sein gesamtes Arsenal ausspielen können. Niemand kann das wollen.

... und Europa?

Europa bekommt mal wieder die normative Kraft realpolitischer Verhältnisse zu spüren. Außer "Besorgnis" und dem Aufruf zu einer "diplomatischen Lösung", ist die EU in ihrer derzeitigen Verfassung schlicht zu nichts anderem in der Lage. Die Nuklear-Vereinbarung mit Iran gegen die geballte politische und wirtschaftliche Kraft der USA am Leben zu halten, ist für die EU ebenfalls nicht möglich.

INSTEX kommt nicht ans Laufen, und im "worst case Szenario" sähe sich die EU von einem US-Präsidenten genötigt, sich militärisch stärker zu engagieren, während das transatlantische Verhältnis derzeit gerade ohnehin nicht zum Besten bestellt ist und sich die EU im Wahlkampf befindet.

Die nächsten Wochen

Iran hat der EU, China und Russland 60 Tage gegeben, bevor das Land selbst aus dem Nuklearabkomen aussteigen will. Der zeitliche Verhandlungsrahmen ist somit gesetzt. Der Inhalt ist ebenfalls offenkundig. Zeichen für eine Deeskalation waren in den letzten Tagen auf allen Seiten deutlich zu erkennen. Dennoch ist bei einer so hochexplosiven Lage, in einer so fragilen Region mit hochgerüsteter militärischer Präsenz ein Restrisiko nicht auszuschließen. Es "genügt vielleicht schon ein kleiner Funke oder ein militärisches Missverständnis, um das Ganze zur Explosion zu bringen", so Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Fakten sind bekannt. Die entscheidende Frage ist somit:  Wie kann eine Eskalation auch auf längere Sicht verhindert werden?

Die Kommunikationskanäle zwischen Iran und den USA öffnen sich diesbezüglich aber nach und nach. Beginnend mit dem Besuch des Schweizer Präsidenten Ueli Maurer, dessen Land die Kommunikation zwischen den USA und Iran erleichtert, seit sie 1979 die diplomatischen Beziehungen abgebrochen haben.

Dies zeigte sich auch in einem Telefonat zwischen Außenminister Mike Pompeo und Sultan Qaboos bin Said aus Oman, einem weiteren langjährigen Vermittler zwischen den USA und Iran. In dieser Hinsicht sind die Eskalationen gegen Iran mit denen gegen Nordkorea vergleichbar. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump mit Ayatollah Khamenei oder Präsident Hassan Rohani wiederholen möchte, was er mit Kim Jong Un getan hat, nämlich auf einen in den Augen der Weltöffentlichkeit unerwarteten Deal hinarbeiten.