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Wirtschaft
"CO2-Preise ein wichtiger Baustein für eine effektive Klimapolitik"

Achim Wambach analysiert die Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft
Achim Wambach

Achim Wambach.

© dpa

Unser Wirtschaftsmodell hat Deutschland zu einem starken und wohlhabenden Land gemacht, steht jedoch seit geraumer Zeit von Kritikern unter Beschuss. Ökonom Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, analysiert im Interview, welche großen Herausforderungen auf die Soziale Marktwirtschaft zukommen.

Deutschland ist dank der Sozialen Marktwirtschaft eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Doch spätestens seit der Finanzmarkt- und Eurokrise 2008 wird das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft teils scharf kritisiert.

Ist die Soziale Marktwirtschaft auch künftig noch ein tragfähiges Modell für das deutsche Wirtschaftssystem? In welchen Bereichen müssen Reformen vorgenommen werden?

Achim Wambach: Von Ludwig Erhard stammt das Zitat: „Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen.“ Neuere Entwicklungen scheinen dies zu widerlegen: Die Digitalisierung hat Internetriesen hervorgebracht, die ihre jeweiligen Märkte dominieren. Das wirtschaftlich extrem erfolgreiche China setzt auf Staatskapitalismus mit staatlichen Großkonzernen. Doch der Schein trügt. Wettbewerb ist nach wie vor die treibende Kraft für Innovation und dem dadurch generierten Wohlstand, auch in China, und insbesondere in den USA. Die Wirtschaftspolitik muss aber auf diese neuen Entwicklungen reagieren, und sich dabei an die Besonderheiten der Digitalwirtschaft mit ihren großen Internet- und Plattformkonzernen anpassen. Hier ist in letzter Zeit viel in Deutschland und auf EU-Ebene geschehen. So hat im September 2019 die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eingesetzte Expertenkommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ 22 konkrete Empfehlungen für Reformen im europäischen Kartellrecht und zur Regulierung hinsichtlich Plattformen, Datenzugang und digitalem Ökosystem vorgelegt. Ziel der Reformen ist es, den Wettbewerb als treibende Innovationskraft auch im digitalen Zeitalter aufrecht zu erhalten und schützen zu können. Europäischen Unternehmen soll der Austausch von Daten oder der Aufbau von offenen Plattformen, um besser zusammen arbeiten zu können, erleichtert werden.  

Die Welt befindet sich im Umbruch: Viele Menschen empfinden die Beschleunigung und Globalisierung des Lebens als Bedrohung und wenden sich regressiven politischen Strömungen zu.

Gefährdet der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien die Soziale Marktwirtschaft? Und wie können Menschen, die sich von deren Aufstiegsversprechen abwenden wieder von ihr überzeugt werden?

Permanenter Wandel ist ein Wesensmerkmal der Moderne. Arbeitswelt und Lebenswelt sind in ständiger Veränderung, überkommende Bindungen und Gewissheiten lösen sich auf. Einfache Antworten gibt es nicht darauf, wie der Wandel durch die Politik sinnvoll begleitet werden kann und wie die durch den Wandel verursachten Verunsicherungen in der Bevölkerung abgefedert werden können. Wichtig scheint mir zu sein, dass dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wird. In Baden-Württemberg haben wir in der Kommission „Sicherheit im Wandel“, die mit Wissenschaftlern der verschiedensten Fachrichtungen, Vertretern der Sozialpartner, und (Kommunal)-Politikern besetzt war, Vorschläge erarbeitet, wie (i) die Befähigung des Einzelnen, mit dem Wandel umzugehen, unterstützt werden kann, (ii) die soziale Sicherung und gesellschaftliche Teilhabe auch im digitalen Zeitalter gewahrt werden kann, (iii) die innere Sicherheit sowie die wahrgenommene Sicherheit, insbesondere im öffentlichen Raum, gestärkt werden kann, und (iv) die öffentlichen Institutionen, zu denen auch eine aktive Bürgergesellschaft zählt, ausgebaut werden können.        

Im Zuge der hitzigen Klimadebatte und insbesondere auf den Fridays-for-Future-Demonstrationen wird Wirtschaftswachstum als klimaschädlich diffamiert und von Teilen der Aktivisten daher gänzlich abgelehnt. Können Soziale Marktwirtschaft, für die stetiges Wirtschaftswachstum eine tragende Säule ist, und effektiver Klimaschutz koexistieren?

Es gibt keine physikalische oder ökonomische Regel, die besagt, dass Wirtschaftswachstum per se klimaschädlich sein muss. Bislang ist die empirische Beobachtung, dass ein höheres Sozialprodukt mit mehr Ausstoß von klimaschädlichen Gasen einhergeht, zwar häufig zutreffend, da Produktionstechniken und Lebensweisen aufgrund technologischer Restriktionen oftmals noch nicht klimaneutral sein können. Aber daran wird gerade intensiv geforscht und Lebensweisen sind im Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit. Um die Kräfte der Marktwirtschaft zu nutzen, ist es wesentlich, dass diejenigen, die mehr zur Klimaverschmutzung beitragen, auch mehr dafür zahlen. Deshalb sind CO2-Preise ein wichtiger Baustein für eine effektive Klimapolitik. Dann gilt nämlich auch, dass derjenige, der neue Technologien entwickelt, mit deren Hilfe mehr CO2 vermieden werden kann, Profite damit erwirtschaften kann. Nur mit einer solchen marktwirtschaftlichen Herangehensweise wird es uns gelingen, die Produktivitätskräfte freizusetzen, die nötig sind, um die Energiewende erfolgreich zu bewältigen. Der Strukturwandel dahin ist nämlich enorm. 

Der Klimaschutz ist die wahrscheinlich größte Herausforderung unserer Generation. Welche weiteren großen Herausforderungen sehen Sie auf die Soziale Marktwirtschaft zukommen? 

Wir haben in meinem Institut, dem ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, vier Querschnittsthemen definiert, die, wie ich meine, sehr gut die langfristigen Herausforderungen, vor denen unserer Volkswirtschaft steht, beschreiben: (i) der demographische Wandel, der unsere Sozialsysteme massiv beanspruchen wird, (ii) die voranschreitende Digitalisierung mit ihren Auswirkungen auf Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze, (iii) die zunehmende europäische Integration, die in einer multipolaren Weltordnung immer wichtiger wird, und (iv) die bereits erwähnte Energiewende.