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Wahlen
Marke Modi: Deutlicher Sieg für Indiens Hindu-Nationalisten

Urnengänge als logistische Mammutunternehmen: Wahlen fanden an sieben Wahltagen statt
Modi

Indiens Premierminister Narendra Modi

© picture alliance/AP Photo

Die Inder stimmten bei ihrer Wahl vom 11. April bis zum 19. Mai mehrheitlich für Kontinuität - und damit für Narendra Modi: Der alte Ministerpräsident wird damit auch der neue Ministerpräsident sein. 

Indien ist die größte Demokratie der Welt und Wahlen sind hier ein Akt der Superlative: Über 900 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die Stimme abzugeben. Allein die Zahl der Erstwähler belief sich auf 84 Millionen. Das sind – um eine Relation herzustellen – zwanzig Millionen mehr Menschen als alle Wahlberechtigten in Deutschland. Die Wahlbeteiligung lag bei 67 Prozent und erreichte somit erneut einen historischen Höchststand. 

In Indien sind Urnengänge logistische Mammutunternehmen: Die Wahlen fanden an sieben Wahltagen über einen Zeitraum von sechs Wochen statt. Zur Verwaltung der Abstimmung setzte die Wahlbehörde an den eine Million Wahllokalen nicht weniger als zehn Millionen Wahlhelfer ein. 

Allianzen und Absprachen wichtige Taktik

In Indien gilt das Mehrheitswahlrecht: Gewählt ist, wer die höchste Stimmenzahl gewinnt. In dieser Gemengelage spielen Allianzen und Absprachen, Strategie und Taktik eine wahlentscheidende Rolle. Indien ist ein Vielvölkerstaat mit vielen Religionen und einem gewaltigen sozialen Gefälle. In den Wahlkampagnen spielt die Kastenzugehörigkeit der Kandidaten eine größere Rolle als das Programm. „Indians don’t cast votes, they vote casts.“ (Inder geben nicht ihre Stimme ab, sie stimmen für Kasten) – so ein oft zitiertes Wortspiel, dass die Bedeutung der Kastenzugehörigkeit für die Wählerentscheidung auf den Punkt bringt. 

Besonders erfolgreich im Schmieden von Kasten-Koalitionen ist BJP-Präsident Amit Shah. Neben Regierungschef Modi ist Shah der Vater des Wahlerfolges und der mächtigste Mann der BJP. Schon spekulieren die Medien, dass der oberste Parteifunktionär als Belohnung für den Wahlsieg als Finanz- oder Innenminister in die Regierung aufrücken wird. 

Unter Shahs Anleitung führte die BJP eine fokussierte Wahlkampagne: Im Zentrum stand die „Marke Modi“, der Kandidat. Modis Charisma und die Vermarktung seiner Person tragen dazu bei, dass seine Popularitätswerte weit über jenen seiner Partei liegen. Geht es um die Leistungen seiner fünfjährigen Amtszeit, ist Modi – das gestehen selbst Anhänger der BJP ein – indes einiges schuldig geblieben. 

Populistische Rhetorik

Als die Opposition wenige Monate vor den nationalen Parlamentswahlen in wichtigen Landtagswahlen Siege verbuchte und die BJP in Bedrängnis brachte, legten die Hindu-Nationalisten die Samthandschuhe ab und mobilisierten mit populistischer Rhetorik die Kernwählerschaft. Ministerpräsident Modi beteiligte sich aktiv an der verbalen Eskalation. 

Politischen Nutzen zog die BJP aus einem Terroranschlag, der Indien Ende Februar erschütterte. In der Unruheprovinz Kaschmir töteten Selbstmordattentäter 40 indische Soldaten. Es dauerte nicht lange und Delhi bezichtigte Pakistan der Urheberschaft. Indiens Luftwaffe reagierte mit einem nächtlichen Vergeltungsschlag auf das Nachbarland. Auch wenn der militärische Nutzen der Operation umstritten bleibt, feierte die indische Öffentlichkeit in einer Aufwallung nationaler Euphorie den Ministerpräsidenten, der dem „Erzfeind Pakistan“ endlich die Leviten gelesen habe. 

Die militärische Episode gilt als Wendepunkt in einem langen Wahlkampf: Hatten zuvor wirtschaftliche Fragen die Agenda bestimmt, punktete Modi fortan mit dem Nationalismus-Thema.

Narendra Modi war vor fünf Jahren mit dem Anspruch des wirtschaftspolitischen Reformers angetreten. Viele Ankündigungen sind Rhetorik geblieben. Das Wirtschaftswachstum ist zuletzt unter sieben Prozent gefallen. Was in Westeuropa als eine Traumzahl gefeiert würde, löst in Indien Alarmsignale aus. Monatlich drängen eine Million junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Um ihnen eine Perspektive zu geben, ist ein deutlich höheres Wachstum nötig. Die Lage auf dem Job-Markt ist trist: Nach unabhängigen Angaben gingen 2018 elf Millionen Arbeitsplätze verloren. 

Der Opposition gelang es nicht, politisches Kapital aus den ökonomischen Hiobsbotschaften zu schlagen. Die Niederlage der Opposition ist entscheidend auf mangelnde Einheit zurückzuführen. Während die BJP mit „Marke Modi“ ein attraktives Personalkonzept präsentierte, gelang es den Oppositionsparteien nicht, sich auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten zu verständigen. In einigen Wahlkreisen traten die Oppositionsparteien gegeneinander an, was angesichts des Mehrheitswahlrechts die Siegeschancen der BJP deutlich verbesserte. 

Schwache Opposition

Der Sieg der BJP ist vor allem auch eine Niederlage der Kongress Partei. Die einst allmächtige Partei ist heute ein Schatten ihrer selbst. Die aktuellen Wahlergebnisse zeigen, dass der Kongress auf absehbare Zeit kaum in der Lage sein wird, der Dominanz der BJP entgegenzuwirken. 

Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse erreichten Glückwünsche aus aller Welt den neuen und alten Regierungschef. Modi pflegt gute Beziehungen zu den USA, Japan und europäischen Mächten, darunter auch Deutschland. Ausgebaut hat Modi das Verhältnis zu Afrika, der arabischen Welt und Israel, mit dem vor allem die sicherheitspolitische Zusammenarbeit neue Dimensionen erreicht hat. Ein wunder Punkt bleibt das Verhältnis zum Nachbarn Pakistan. Auch aus innenpolitischen Erwägungen hat die BJP den eher konzilianten Ansatz der Vorgängerregierungen verlassen. 

Die größten Baustellen erwarten Modis in der Wirtschafts- und Innenpolitik: Um die wachsenden sozioökonomischen Herausforderungen in den Griff zu bekommen, sind weitreichende Wirtschaftsreformen nötig. Von einer liberalen Marktwirtschaft ist Indien zu Beginn der zweiten Amtszeit Modis weit entfernt. 

Nicht nur die Kritiker werfen Modi vor, dass das politische Klima rauer, ja illiberaler geworden sei. Der Hindu-Nationalismus gefährde die Grundlagen des verfassungsmässig festgeschriebenen Säkularismus, lautet die Klage. Modi hat wenig unternommen, die nationalistischen Eiferer in der eigenen Partei, die bevorzugt gegen die kopfstarke muslimische Minderheit zu Felde ziehen, in die Schranken zu weisen. 

Wenn Narendra Modi der Ministerpräsident aller Inder sein will  – und nicht nur der Anführer der Hindu-Mehrheit –, muss er seinen wohlklingenden Floskeln von der nationalen Einheit bald Taten folgen lassen. 

 

Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Neu Delhi.