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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Steuererhöhungspläne
Das Steuerdilemma des Olaf Scholz

Schon heute ist die Steuerbelastung der Reichen und der Mittelschicht hoch. Mehr davon wird schwierig.
Karl-Heinz Paqué

Karl-Heinz Paqué

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“ Diesen überzeugenden Satz des großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher sollte sich der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zur Leitlinie machen. Dies gilt vor allem für die Steuerpolitik, die er vorhat. Er will Wohlhabende mit einer höheren Einkommensteuer belasten, als dies bisher der Fall ist.

Werfen wir also zunächst einen Blick auf die Wirklichkeit. In Deutschland wird derzeit ab etwa 270.000 Euro Jahreseinkommen jeder zusätzlich verdiente Euro zu 45 Prozent versteuert, ab 57.000 (und bis 270.000 Euro) sind es 42 Prozent. Im Ergebnis führt dies dazu, dass ein einziges Prozent der Steuerpflichtigen, die absoluten Topverdiener, allein etwa 21,5 Prozent des gesamten Aufkommens der Einkommensteuer finanzieren. Die reichsten zehn Prozent der Steuerpflichtigen liefern fast 55 Prozent des Aufkommens, die wohlhabendsten 25 Prozent steuern fast 77 Prozent bei.

Diese Zahlen belegen: Unser Einkommensteuertarif sorgt bereits heute dafür, dass die Steuerbelastung außerordentlich progressiv ausfällt. Bedenkt man, dass die Einkommen- und Lohnsteuer mit einem Aufkommen von rund 300 Milliarden Euro die mit Abstand quantitativ wichtigste Steuerquelle ist, so müsste es eigentlich auch Sozialdemokraten schwerfallen, von einer unzureichenden Umverteilung zu sprechen und „mehr davon“ zu fordern.

Was genau heißt nun dieses „mehr davon“? Da bleibt Olaf Scholz bisher überaus vage, und zwar aus gutem Grund. Wenn er nämlich allein die Allerreichsten als Zielgruppe ins Visier nähme, ginge es um eine derart kleine Kohorte, dass die Wirkung auf das Aufkommen recht bescheiden ausfallen würde. So geht es bei den „Superreichen“ mit Jahreseinkünften über 250.000 Euro gerade mal um gut 300.000 Personen, das sind 0,8 Prozent aller Steuerpflichtigen. Die Mehreinnahmen durch eine Erhöhung des Grenzsteuersatzes von 45 auf, sagen wir, 50 Prozent für diese Gruppe würde sich im einstelligen Milliardenbereich einpendeln – fast vernachlässigbar bei rund 300 Milliarden Euro Aufkommen der Einkommensteuer.

Soll der Staat deutlich mehr herausholen, so käme nur eine viel drastischere Erhöhung der Reichensteuer in Frage oder deren Anwendung auf Bezieher deutlich niedrigerer Einkommen im Bereich der stark besetzten mittleren Einkommensklassen von 50.000 bis 250.000 Euro Jahreseinkommen. Das wäre dann aber eine massive Belastung der Mittelschicht unserer Gesellschaft. Der „Mittelstandsbauch“ der Steuerbelastung – oft beklagt, aber nie beseitigt – würde dann noch kräftig anwachsen, zu Lasten breiter Bevölkerungsgruppen.

Olaf Scholz und seine SPD stehen mit ihrem Plädoyer für mehr Umverteilung also vor einem Dilemma: Entweder ihr steuerpolitischer Tiger endet als Bettvorleger ohne große Wirkung; oder es kommt ein Plan zustande, der tatsächlich auf eine Art Revolution hinausläuft – mit massiver Mehrbelastung für die breite Mitte unserer Gesellschaft.


Das Dilemma der Sozialdemokraten ist übrigens ein ganz normales Ergebnis der sogenannten „kalten Progression“, also der schleichenden Zunahme der Steuerbelastung der Mittelschicht durch die Zunahme der Einkommen infolge von Wachstum und Inflation. Wer so lange mit einer grundlegenden Steuerentlastung wartet wie die Bundesregierungen seit 2005, der kann sich zwar über ein kräftiges und kontinuierliches Wachstum der Steuereinnahmen freuen, wird aber zunehmend von der Verbreiterung des Mittelstandsbauches als Droge abhängig. Es fällt dann immer schwerer, überhaupt einen Ansatzpunkt für eine aufkommenswirksame Progressionserhöhung zu finden – es sei denn, sie wird zur massiven Zusatzbelastung für Gesellschaft und Wirtschaft.

Aus all dem wird klar: Wir brauchen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf einen sachlich fundierten Streit der Meinungen über die künftige Steuerpolitik. Da muss man schon ins statistische Detail gehen. Scholz hat den Streit eröffnet – mit einer Provokation, aber ohne Lösung.

 

Der Artikel erschien am 2. September 2020 in der WirtschaftsWoche und ist online auch hier zu finden.