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Korea
Stolz und Vorurteil in Südkorea

LGBTIQ+-Themen erreichen langsam die Mitte der Gesellschaft
Seoul

Die Seoul Queer Parade.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com

Tausende von Koreanern nahmen an der diesjährigen Seoul Queer Parade teil. Sie setzten ein Zeichen für Toleranz und gesellschaftliche Vielfalt in einer konservativ-konfuzianischen Gesellschaft. Von voller Gleichbehandlung sind LGBTIQ+ in Korea aber noch entfernt.

Als im Mai und Juni weltweit die Pride Weeks angekündigt und durchgeführt wurden, war man sich auch in Südkoreas Hauptstadt Seoul der internationalen Dimensionen bewusst. Auch ausländische Botschaften hissten, wie in vielen Ländern, die Regenbogenfahne. So unterstützten sie die Veranstaltungen, mit denen lesbische, schwule, bi-, trans-, queer- und intersexuelle Identitäten (LGBTIQ+) öffentlich gemacht werden und als gleichberechtigte gesellschaftliche Gruppen gewürdigt werden.

Die Botschafter Großbritanniens, Australiens, Kanadas, der USA, Neuseelands, Norwegens und der EU veröffentlichten in der englischsprachigen Korea Times ein Grußwort. Darin exponierten sie menschenrechtliche Aspekte und verwiesen auf die Bereicherung einer Gesellschaft durch vielfältige Lebensweisen: „Gemeinsam sind wir der Ansicht, dass Vielfalt gefeiert werden sollte. (...) Eine vielfältige Gesellschaft ist eine starke Gesellschaft. Wir glauben, dass die stärksten, sichersten und wohlhabendsten Gesellschaften jene sind, in denen alle Bürger frei und ohne Angst vor Gewalt oder Diskriminierung leben können.“  

Pride Parade: Es begann mit 50 Teilnehmern

Am diesjährigen Umzug in Seoul, bei dem der Stolz auf die Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit zum Ausdruck gebracht wurde, nahmen ungefähr 80.000 Menschen teil. Die Pride Parade gibt es nunmehr seit 20 Jahren. Während man heute die hohen Teilnehmerzahlen nur schätzen kann, konnte man bei der Premiere im Jahr 2000 noch jeden Teilnehmer einzeln zählen: Es waren 50. Den Rekord hält die Parade des Jahres 2018, die ungefähr 120.000 Menschen auf die Straße brachte. Nicht nur in der Hauptstadt Seoul finden Umzüge statt. Auch in der Hafenstadt Busan gibt es seit 2009 einen solchen Marsch, zudem in Daegu, Gwangju und auf der Insel Jeju seit 2017.

 

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Die Seouler Pride Parade ist der Auftakt eines mehrwöchigen Queer Culture Festivals. Es soll mit seinen zahlreichen Veranstaltungen Toleranz und Vielfalt fördern.

© Christian Taaks

Starke Widerstände und Wandel der Einstellungen

Die Pride Parade mobilisiert nicht nur die LGBTIQ+-Gemeinde und ihre Sympathisanten. Lautstarke Gegendemonstranten verleihen ihrem Unmut, ihrer Abneigung, ja sogar ihrem „Ekel“ Ausdruck. Besonders stark vertreten sind dabei christliche Gruppen. Dabei gilt mehr als die Hälfte der südkoreanischen Bevölkerung als religionslos. Bei denen, die sich zu einer Religion bekennen, sind die Christen mit rund 28 Prozent die stärkste Gruppe. Und unter ihnen sind christlich-fundamentalistische Eiferer keine Seltenheit. Als laute und hochgradig erregte Gegendemonstranten gehören sie seit jeher zum Bild der Pride-Paraden. Ihre offen gezeigte Abscheu ist so stark, dass sich die Polizei veranlasst sah, die LGBTIQ+-Aktivisten vor möglichen gewalttätigen Übergriffen zu schützen. In Incheon musste die Parade 2018 vorzeitig beendet werden, nachdem etwa 1.000 christliche Protestierer den Umzug angegriffen hatten.

Diese Proteste sind ebenso unübersehbar wie der Einstellungswandel und der Umgang der südkoreanischen Mehrheitsgesellschaft mit diesen Themen. Zwar ist der Weg bis zu einer vollständigen Akzeptanz noch weit. Aber die Haltung der Koreaner hat sich allein in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Früher glaubten nur 18 Prozent der Bevölkerung, dass Homosexualität durch die Gesellschaft akzeptiert werden sollte, mittlerweile sind es mehr als 39 Prozent. Das Umfrageinstitut Gallup fand in Südkorea den weltweit größten Einstellungswandel. Es ist sehr wahrscheinlich, dass zu den weiteren Entwicklungen die Zeit das ihrige beitragen wird. Während nur 16 Prozent der über 50-jährigen fand, dass Homosexualität durch die Gesellschaft akzeptiert werden sollte lag die Akzeptanz unter den 18- bis 29-jährigen Koreanern über 71 Prozent. Auch ist, zumindest unter den Jüngeren, die Zustimmung zu gleichgeschlechtlichen Ehen gestiegen. Diese sind heute zwar gesetzlich noch nicht möglich, doch haben einige Prominente durch öffentliche Heirat ihres gleichgeschlechtlichen Partners deutliche Zeichen gesetzt.

Die politische Unterstützung dieses gesellschaftlichen Wandels war und ist leider recht überschaubar. Das könnte unter anderem am Einfluss konservativer christlicher Lobbygruppen liegen. Den bekam auch der aktuelle Präsident Moon Jae-in im Wahlkampf zu spüren. Viele hatten nach den Präsidentschaftswahlen 2017 einen stärkeren Wandel erwartet, war doch mit Moon ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt ins Blaue Haus, den Präsidentenpalast eingezogen. Viele Jahre lang hatte er sich für Minderheitenrechte eingesetzt und diese in Gerichtsprozessen verteidigt. Aber im Wahlkampf äußerte er sich plötzlich kritisch zu Homosexualität und Ehe für Alle.

Rechtliche Gleichstellung und offene Baustellen

Homosexualität war, anders als beispielweise in Deutschland, in Südkorea zu keiner Zeit illegal. Dies mag auch daran gelegen haben, dass sie lange Zeit in der Öffentlichkeit praktisch unsichtbar war und im Verborgenen stattfand. Die Verfassung verbietet jede Diskriminierung aus religiösen, sozialen oder aus Gründen der sexuellen Orientierung. Diskriminierung sexueller Minderheiten war und ist in der gesellschaftlichen Realität aber weit verbreitet – so weit, dass die Nationale Menschenrechtskommission Koreas sich zur Ausarbeitung eines Gesetzes zum Schutz und zur Durchsetzung von Menschenrechten veranlasst sah. Es trat 2001 in Kraft. Aber erst 2013 wurde ein Gesetz verabschiedet, das auch sexuelle Orientierung, Religion und politische Einstellungen ausdrücklich mit einschloss. 

Im täglichen Leben werden immer wieder Benachteiligungen Homosexueller beklagt, beispielsweise wenn es um die Vergabe von Arbeitsplätzen geht. Gleichzeitig fand eine Gallup-Umfrage im Jahr 2017, dass mehr als 90 Prozent der Südkoreaner gegen jede Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe waren. Heikel ist die Lage bis zum heutigen Tage für homosexuelle Militärangehörige. Bei den Streitkräften wird Homosexualität als Persönlichkeitsstörung oder Behinderung eingestuft. Zurzeit beschäftigt sich das Verfassungsgericht mit dieser Frage. 

Das Glas ist halb voll

Auch wenn es gesetzlich und gesellschaftlich noch einiges zu tun gibt, ist der Wandel unverkennbar, den die Gesellschaft Südkoreas in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Gerade junge Menschen haben ein sehr viel entspannteres Verhältnis zu LGBTIQ+-Themen als ihre Eltern- und Großelterngenerationen. Bei der Beurteilung dieses Wandels darf nie vergessen werden, was dieser den Menschen abverlangt, waren doch konfuzianische Werte stets bestimmend für gesellschaftliche Hierarchien, Familienwerte, Rollenverteilungen, das Verhältnis des Individuums zur Gruppe und für vieles mehr. 

Dass die Verkrampfung in sehr vielen Gesellschaften weltweit noch lange nicht überwunden ist, erfuhr übrigens auch Harry Harris, Botschafter der USA in Südkorea: Im Juni hatte auch er zum Beginn der Pride Weeks die Regenbogenfahne seiner Botschaft aufziehen lassen. Doch er ließ sie nach drei Wochen wieder einholen. Es hieß zwar, dies sei seine eigene Entscheidung gewesen. Doch gleichzeitig war deutlich geworden, dass das Weiße Haus und das Außenministerium die Regenbogenbeflaggung für unangemessen hielten und entsprechenden Druck aufgebaut hatten. US-Außenminister Pompeo, ein evangelikaler Christ, twitterte: „Die einzige Flagge, die über unseren Botschaften wehen sollte, ist die amerikanische.“