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Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Mischnick

Wolfgang Mischnick
Wolfgang Mischnick war Zeit seines Lebens ein liberaler Brückenbauer. © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Gegensätze auszugleichen, Trennendes zu überwinden und dabei die eigenen Überzeugungen und liberalen Werte nicht aus den Augen zu verlieren – dies gelang Wolfgang Mischnick in einzigartiger Art und Weise. Er hat sich damit nicht nur einen besonderen Platz in der liberalen Parteiengeschichte, sondern auch im politischen Gedächtnis verdient. Sein an der Sache orientierter Politikstil, der ebenso von Zurückhaltung wie von Pflichtbewusstsein geprägt war, brachte ihn schon unter seinen Zeitgenossen viel Wertschätzung ein. Anlässlich seines 100. Geburtstags lohnt es sich besonders, den Blick auf ihn zu richten. Schließlich sind Persönlichkeiten mit seinen Eigenschaften, die unvoreingenommen nach dem Gemeinsamen suchen anstatt das Trennende zu betonen, heute mindestens genauso notwendig wie ehedem.

Dresden als wichtiger Bezugs- und Orientierungspunkt

Um das politische Handeln von Mischnick zu verstehen, gilt es seine Herkunft und seine Jugend zu betrachten. Mischnick wurde 1921 in Dresden geboren und verbrachte hier auch seine Jugendjahre. Die Stadt sollte für ihn stets ein wichtiger Bezugs- und Orientierungspunkt bleiben. Wie seine Altersgenossen musste auch Mischnick bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Hitlerjugend eintreten, doch blieb ihm die Ideologie der neuen Machthaber fremd. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bedeutete schließlich die entscheidende Zäsur in seinem jungen Leben. Nach einem „Notabitur“ wurde er direkt von der Schulbank an die Front versetzt. Angesichts der prägenden Erfahrungen, die er im Krieg machte, und mit Blick auf seine zerstörte Heimatstadt, in die er nach dem Kriegsende zurückkehrte, war er entschlossen, Einfluss auf die künftige politische und gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Noch im August 1945 trat er deshalb der Liberal-Demokratischen Partei Sachsens bei. Mit Geschick wirkte er am Aufbau einer Parteiorganisation mit und stieg in wichtige Ämter und Funktionen auf.

Wolfgang Mischnick vor der zerstörten Frauenkirche in Dresden, Februar 1990.
Wolfgang Mischnick vor der zerstörten Frauenkirche in Dresden, Februar 1990. © Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL, Fotosammlung, FD-302a

Kritische Haltung

Für den Sozialismus, den die sowjetische Besatzungsmacht in Ostdeutschland zu etablieren begann, konnte sich Mischnick genauso wenig begeistern wie seinerzeit für den Nationalsozialismus. Die Unbedingtheit einer totalitären Ideologie, die keinen Raum für Widerspruch und Alternativen ließ, muss seinem Charakter wie auch seinen liberalen Grundüberzeugungen widersprochen haben. Seine kritische Haltung brachte ihn immer häufiger in Konflikt mit den Obrigkeiten in der Sowjetischen Besatzungszone. Bald musste er erkennen, dass es keine Chance für eine demokratische Ordnung in seiner Heimat gab. Angesichts von Drohungen und seiner politischen Kaltstellung entschloss sich Mischnick schließlich 1948 zur Flucht in den Westen.

Bundesminister und Fraktionsvorsitzender

Frankfurt am Main wurde zu Mischnicks neuer Heimat. Hier trat er auch in die Freie Demokratische Partei ein, an deren Gründungsparteitag er 1948 in Heppenheim teilnahm. In Westdeutschland fand Mischnick weit günstigere Bedingungen vor, um seinen politischen Überzeugungen zu folgen. Bereits drei Jahre nachdem er Mitglied des Hessischen Landtags, Bundesvorsitzender der liberalen Jungdemokraten und Mitglied im FDP-Bundesvorstand geworden war, zog er 1957 in den Deutschen Bundestag ein. Es dauert nur vier weitere Jahre bis er als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte jüngstes Mitglied im Kabinett von Konrad Adenauer wurde. Zwar gab er 1963 das Ministeramt zugunsten des FDP-Parteivorsitzenden Erich Mende wieder auf, doch fand er fünf Jahre später mit der Wahl zum Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion die politische Rolle seines Lebens. Mischnick bewährte sich in diesem Amt trotz schwieriger Bedingungen. Mit einer Mischung aus Empathie und Entschlossenheit gelang es ihm, politische Krisen zu meistern und die gelegentlich auseinanderdriftende Fraktion zusammenzuhalten. Die Abgeordneten dankte es ihm mit einer außergewöhnlich langen Amtszeit: Bis 1991 blieb Mischnick Fraktionsvorsitzender und damit so lange wie kein anderer FDP-Politiker bis heute.

Wolfgang Mischnick und Erich Honecker, Ost-Berlin 1987.
Wolfgang Mischnick und Erich Honecker, Ost-Berlin 1987. © Bundesarchiv, Bild 183-1987-0410-408, Klaus Franke, Nutzungsrecht: ADL

Vertrauenswürdiger Mittelsmann zwischen West- und Ostdeutschland

Seine Zuverlässigkeit und seine Fairness machten Mischnick zu einer Persönlichkeit, die auch jenseits der eigenen Partei und des eigenen Landes geschätzt wurde. So erwarb er sich etwa die Anerkennung der SPD-Fraktion in den Jahren der Sozialliberalen Koalition, deren wichtige Stütze er war. In der DDR wiederum akzeptierte man den Dresdner als vertrauenswürdigen Mittelsmann zwischen West- und Ostdeutschland. Stets war Mischnick in den Jahrzehnten der Teilung bemüht, den Gesprächsfaden zwischen den beiden deutschen Staaten aufrechtzuerhalten. Sein Einsatz für die Menschen dies- und jenseits der Mauer und für eine Politik der Deeskalation gehört wohl zu seinen wichtigsten politischen Verdiensten.

Wolfgang Mischnick und der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner, 1982.
Wolfgang Mischnick und der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner, 1982. © Foto Darchinger. Nutzungsrecht: ADL, Fotosammlung, FD-262

Liberaler Brückenbauer

Nach dem Fall der Mauer bewährte sich Mischnick erneut als liberaler Brückenbauer, indem er den Zusammenschluss der FDP mit den liberalen Parteien Ostdeutschlands maßgeblich vorbereitete. Als Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung wirkte er schließlich auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Unter seiner Amtszeit expandierte die Stiftung in Richtung Ost-, Mittel- und Südeuropa, um dort den zivilgesellschaftlichen Aufbau nach dem Zusammenbruch des Sozialismus zu fördern.

Beitrag zur politischen Kultur des Landes

Als Mischnick 2002 mit 81 Jahren starb, bedeutete dies nicht nur einen Verlust für den parteipolitischen Liberalismus. Rückblickend stehen wohl nicht alleine seine Leistungen als Minister oder Fraktionsvorsitzender im Vordergrund, sondern insbesondere sein Beitrag zur politischen Kultur des Landes.

01 Okt.
1.10.2021 18:30 Uhr
Dresden

Wolfgang Mischnick

Stadtrat – Bundestagsabgeordneter – Liberaler Wegbereiter

01 Okt.
1.10.2021 18:30 Uhr
virtuell

Liveübertragung - Wolfgang Mischnick

Stadtrat – Bundestagsabgeordneter – Liberaler Wegbereiter