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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Währungsreform 1948
Die Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft

Vor 75 Jahren schuf Ludwig Erhard in Westdeutschland eine neue Wirtschaftsordnung. Liberale und Konservative unterstützten ihn.
Ludwig Erhard

Ludwig Erhard (r) mit Staatssekretär Walter Hallstein. Erhard setzte nach der Währungsreform 1948 das Konzept der sozialen Marktwirtschaft durch

© picture-alliance / dpa | Alfred Hennig

Ganz so neu war sie gar nicht, die Soziale Marktwirtschaft. Das haben Wirtschaftshistoriker längst nachgewiesen. Denn die Wirtschafts- und Währungsreform im Juni 1948 schuf eine stabile Währung und freie Preisbildung in offenen Märkten, und das hatte es ja auch schon im Wesentlichen im Kaiserreich bis 1914 und in der Weimarar Republik ab 1924 bis zur Weltwirtschaftskrise 1930/32 gegeben. Schnell aber entstand nach dem 21. Juni 1948, dem Tag des Umtauschs des alten in neues Geld, die DM, der Mythos einer noch nie dagewesenen erfolgreichen deutschen Wirtschaftswelt – eben der Sozialen Marktwirtschaft. Man sprach später von einem “Wirtschaftswunder”. Dafür gab es im Wesentlichen drei Gründe:

1          Waren sind wieder im Schaufenster!

Es füllten sich die Läden sofort mit Waren – kaum war die neue “harte” Währung im Umlauf, wie von Geisterhand. Die Menschen konnten gleich mit ihren ersten 40 DM, die sie am Ausgabeschalter erhielten, einkaufen gehen – endlich! Ökonomisch war dies natürlich leicht erklärbar, denn die cleveren Kaufleute und Ladeninhaber hatten zuvor in Voraussicht der Währungsreform ihre Warenbestände gehortet und zurückgehalten, um für ihr Angebot die neue harte – und nicht die alte weiche – Währung zu erhalten. Ein Wunder war dies natürlich nicht, eher ein vom ebenfalls cleveren Vorsitzenden des Wirtschaftsrats Ludwig Erhard “billigend in Kauf genommenes” Verhalten des Einzelhandels, um die psychologische Wirkung der Reform zu maximieren.

2          Die Inflation ebbt ab!

Über Nacht verschwand der Geldüberhang, das Vertrauen in die Währung kam fast sofort zurück. Auch dies kein Wunder, da eine unabhängige Zentralbank etabliert worden war und die öffentlichen Haushalte strikt ausgeglichen sein mussten – beides übrigens auf Geheiß der Besatzungsmächte ohne Spielräume für die deutsche Seite, die allerdings dies in Gestalt von Ludwig Erhard und der ihn stützenden Parteien CDU, CSU und FDP durchaus begrüßten. Zwar kam es im weiteren Verlauf des Jahres 1948 noch zu einer durchaus gefahrengeneigten Anpassungsinflation, aber die lief dann Anfang 1949 schnell aus. Damit war man, was die binnenwirtschaftliche Geldstabilität angeht, recht schnell auf der sicheren Seite; und der Weg zur außenwirtschaftlichen Konvertibilität der neuen Währung begann offenzustehen.

3          Kräftiges Wachstum der Wirtschaft setzt ein!

Es begann die westdeutsche Wirtschaft stürmisch zu expandieren: überaus schnell im zweiten Halbjahr 1948, ein wenig moderater im Jahr 1949 und in den ersten Monaten 1950, aber danach mit hoher und nachhaltiger Geschwindigkeit bis Mitte der fünfziger Jahre. Das Produktionsniveau der Vorkriegszeit wurde schon 1951 überschritten. Die deutsche Industrie erlebte den steilsten Aufstieg seit dem Boom der wilhelminischen Jahre. Damit war das westdeutsche Wirtschaftswunder perfekt: mehr als 10 Millionen Vertriebene aus den vormals deutschen Ostgebieten wurden fast mühelos in die deutsche Wirtschaft integriert. Die Arbeitslosenquote sank rapide, ab etwa 1955 herrschte Vollbeschäftigung und sogar akute Knappheit an Fachkräften. Das Zeitalter der Zuwanderung aus Südeuropa begann.

Volle Läden, keine Inflation, kraftvolles Wachstum! Nicht überraschend also, dass deutsche und ausländische Beobachter ein “Wirtschaftswunder” im kriegszerstörten Deutschland diagnostizierten und Ludwig Erhards Marktwirtschaft zuschrieben. Dabei spielte das “Soziale” der Sozialen Marktwirtschaft eine zentrale Rolle als Fundament der Entwicklung, auch um sich in diesen frühen Jahren der jungen Bundesrepublik einem politischen und gesellschaftlichen Konsens zu nähern. Der Sozialstaat half in der Not; der sogenannte Lastenausgleich sorgte ein Stück weit für ein gerechtes “burden sharing”; die Tarifautonomie respektierte die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Kurzum: ein überaus erfolgreiches politisches Modell, das als “dritter Weg” zwischen reinem Kapitalismus und reinem Sozialismus empfunden wurde, so dass selbst die Sozialdemokraten mit ihrem Godesberger Programm 1957 damit ihren Frieden machten. Begünstigt war dieser Erfolg natürlich von der frühen Unterstützung durch die Besatzungsmächte, allen voran der Amerikaner. Ihr “European Recovery Program”, der sogenannte Marshall-Plan, war zwar quantitativ viel bescheidener, als viele damals dachten und manche noch heute annehmen; aber es setzte einen überaus starken Anreiz zur europäischen politischen Einigung und wirtschaftlichen Integration. Und es ebnete den Weg für amerikanisches Kapital nach Europa, so wie schon der von Stresemann initiierte Dawes-Plan von 1924, dessen positive Wirkung dann aber mit der Weltwirtschaftskrise 1930/32 zu einem jähen Ende kam.

Diesmal aber, in den fünfziger Jahren, war die deutsche Geschichte glücklicher – jedenfalls für den westlichen Teil des Landes. Und das Glück begann vor genau 75 Jahren, am 21. Juni 1948, mit der Wirtschafts- und Währungsreform. Eine wunderbare Erinnerung!