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GTAZ
Verantwortlichkeit und Verantwortung im Kampf gegen den Terror

Das GTAZ - Eine reformbedürftige Organisation in rechtlicher Grauzone
Kasernengelände am Treptower Park
Kasernengelände am Treptower Park © CC BY-SA 3.0/ Wo st 01: Wikipedia

Wo liegt das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, das GTAZ? Es liegt in einer alten Kaserne in Berlin-Treptow. Auf einer Rechtsgrundlage liegt es nicht. Es hat keineDie nicht veröffentlichte Geburtsurkunde ist eine interne Ministervorlage aus dem Bundesinnenministerium vom 16. Juni 2004. Ihr folgten sorgsam vertraulich gehütete Gespräche bis hin zu den berühmten Kaminrunden der Innenministerkonferenzen, allesamt außerhalb der Tagesordnungen. Die Initiatoren fürchteten die Parlamente in Bund und Ländern, nicht nur wegen des Föderalismus, sondern auch wegen des verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Dabei ist die föderale Polizeistruktur ein wichtiger Teil unseres Gewaltenteilungssystems. Es hat sich bewährt, die internationalen, überlegenen kriminologischen Kenntnisse des Bundeskriminalamtes zu kombinieren mit der überlegenen Orts- und Personenkenntnis und der unmittelbaren Präsenz der regionalen Polizeien. Es hat sich bewährt, auch beim Verfassungsschutz ähnlich zu verfahren. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist Sache der Polizei, die Beobachtung der verfassungsfeindlichen Umtriebe ist Sache der Nachrichtendienste. Es ist falsch und kurzsichtig, den Föderalismus als eine Quelle eines ständigen Wirrwarrs, als einen sicherheitspolitischen Nichtsnutz anzuklagen.

Der Fehler war, dass anstelle parlamentarischer Debatten und klarer gesetzlicher Regelungen eher eine Art „Verwaltungskunst“ gefragt zu sein schien. Die Idee waren gesetzesfreie „Abwehrzentren“: GTAZ, GETZ (Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum) und GITZ (Gemeinsames Internetzentrum) neben gemeinsamen Dateien wie Antiterrorismusdatei, Rechtsextremismusdatei usw., bei denen man um eine gesetzliche Regelung nicht drumherum kam. Das GTAZ durfte in dieser Denkweise keine Behörde im rechtlichen Sinne sein. Also wurde ein Gremium mit informellen Arbeitsgruppen gebildet, in dem 40 Behörden mit 229 Mitarbeitern in neun „Arbeitsgruppen“ ständig zusammenarbeiteten. Mit dabei dasBundesamt für den Verfassungsschutz, die 16 Landesverfassungsschutzämter, das Bundeskriminalamt, die 16 Landeskriminalämter, der Bundesnachrichtendienst, der Generalbundesanwalt, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt, der Militärische Abschirmdienst, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Sie tagen entweder täglich oder in anderweitig festen Zeitabständen, tauschen Informationen und Bewertungen aus, verabreden gemeinsame Planungen, Bewertungen und Verhaltensweisen. Es soll ein „ganzheitlicher Bekämpfungsansatz“ entwickelt werden, um die operativen Maßnahmen der jeweils zuständigen Behörden gemeinsam vorzubereiten oder zu beschließen. Dazu werden die Innen- und Justizbehörden, die Ausländer-, Sozial- und Meldebehörden und die Nachrichtendienste beteiligt, um möglichst schnell und zentral abgestimmt handeln zu können. In der Sprache der Neuzeit: Wir haben eine Plattform, wo alles fleißig geteilt, geliked, wo gefolgt, sich abgestimmt und zusammengearbeitet wird. So etwas soll tatsächlich eigentlich eine Behörde sein, wird treuherzig gefragt?

Tatsächlich lagen auch im Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz als Ergebnis dieses Systems dem GTAZ alle Kenntnisse der einzelnen Behörden vor. Nichts war im angeblichen Wirrwarr des Föderalismus verloren gegangen.

Und tatsächlich ist die gesetzlich formulierte Sicherheitsarchitektur über den „Urzustand“ zum Zeitpunkt des Attentates von 9/11 inzwischen weit hinausgegangen: Die Verfassungsschutzämter der Länder sind zu vollständiger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt verpflichtet, das im Bereich des Terrorismus auch ohne Einvernehmen der Länder nach §§ 3, 5 ff. BVerfSchG alle denkbaren Informationen erheben kann. Die Länder müssen ihr gesamtes Wissen und ihre Einschätzungen auch über örtliche Vorgänge dem Bundesamt mitteilen und mit ihm gemeinsame Dateien führen. Die Bundesregierung kann den Ländern nach § 7 BVerfSchG Weisungen erteilen. Die Länder können ihre eigenen Landesämter mit anderen Bundesländern zusammenführen. Das Bundeskriminalamt hat nach § 4a BKA-Gesetz im Bereich des internationalen Terrorismus alle denkbaren und technisch vorstellbaren Ermittlungsmöglichkeiten bei Strafverfolgung und vorbeugender Gefahrenabwehr, teilweise über die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten hinaus. Der Generalbundesanwalt kann auch in diesem Bereich die Ermittlungen an sich ziehen. Die Bundespolizei ist im gesamten Bundesbereich als Bahnpolizei zuständig. Das Ausländerrecht ist im sogenannten Aufenthaltsgesetz besonders fein ziseliert worden. Im Asylverfahren, bei Ablehnung, Ausweisung und Abschiebung, bei Straftaten, vorgetäuschten Mehrfachidentitäten und Nichtbefolgung von Auflagen können Aufenthaltsbeschränkungen, tägliche Meldepflichten und schließlich Abschiebungssicherungshaft nach § 62 Abs. 4 AufenthG bis zu 18 Monate beschlossen werden. Der Bundesinnenminister kann sogar nach § 58a Abs. 2 AufenthG die Übernahme der Abschiebeprozedur erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht. Wie oft hat er eigentlich bisher davon Gebrauch gemacht? Diese Prozedur lässt sich noch strikter regeln, das beschleunigte Verfahren wie in der Strafprozessordnung einführen. Bei Straftaten könnte auch der Strafrichter ermächtigt werden, im sogenannten Adhäsionsverfahren über Ausweisung, Abschiebung und Wiedereinreisesperre zu entscheiden.

Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum wurde jedenfalls über den Fall des Berliner Attentäters über Wochen mehrfach lange beraten und verhandelt. Das Bundeskriminalamt hatte ermittelt, auch der Generalbundesanwalt und die Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Es lagen eindringliche Warnungen des Düsseldorfer Landeskriminalamtes vor, es gab eine Warnung des marokkanischen Geheimdienstes. Man wusste, dass er sich nicht an Auflagen des Ausländeramtes hielt und kreuz und quer durch mehrere Bundesländer reiste, dass er als „Klein-Dealer“ und durch andere Straftaten aufgetaucht, dass er an Waffen interessiert war und dass er mehrere Identitäten benutzte. Waren es neun oder 14? Man entschied sich, abzuwarten. Wer ist dabei „man“? Warum war „man“ der Meinung, die Erkenntnisse von Polizei, Ausländeramt und Diensten seien „nicht gerichtsfest verwertbar“?

Hierin zeigt sich die elementare Schwäche dieser „Nicht-Behörde“: Wenn alle Entscheidungen der verschiedenen Beteiligten zentral behandelt und zentral ein gemeinsames Verhalten verabredet wird, an das sich dann alle halten sollen, dann kann eine Fehlentscheidung auch zu einem Fehlverhalten des gesamten Systems führen, bei der jeder einzelne Beteiligte glaubt, keine eigene Verantwortung zu haben. Das System überträgt die gesetzlich zu treffenden Entscheidungen auf die anonymen Gremien des GTAZ, für die sich niemand mehr politisch verantwortlich fühlt. Das kann und darf nicht so bleiben. Wer trotz der vorhandenen Erkenntnisse, trotz des nachweisbar rechtswidrigen Verhaltens des Berliner Attentäters entschieden hat, ihn weiterhin bloß zu beobachten, der sollte seine Entscheidung auch vertreten müssen.

Wenn also eine zentrale Einrichtung geschaffen wird, die die tatsächliche Sachherrschaft über das gemeinsame Verhalten aller Beteiligten hat, dann muss es dafür eine klare Verantwortlichkeit geben. Das kann ein Minister sein oder  jemand, der nicht im täglichen politischen Streit befangen ist und ein hohes öffentliches Vertrauen genießt. Es wäre eine Aufgabe für den Generalbundesanwalt. Er würde die Dienstaufsicht führen. Das GTAZ bekäme eine rechtliche Grundlage und würde der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages unterworfen.

Burkhard Hirsch (FDP) ist ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Bundestages und liberaler Bürgerrechtler. Max Schulze ist Referent für Bürgerrechte im Liberalen Institut der Stiftung für die Freiheit.