Internationale Politik
Lukaschenka in der Klemme
Am 5. und 6. April treffen sich Wladimir Putin und Aljaksandr Lukaschenka erneut in Moskau. Diese gegenseitigen Besuche haben vor allem seit Beginn des Krieges in der Ukraine mittlerweile Tradition. Dem offiziellen Programm zufolge steht zudem die Sitzung des Obersten Rates des Unionstaates an, der seit 2000 existiert und die beiden Länder zu einem gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Raum verbinden soll. Die Roadmaps zur Integration in 28 verschiedenen Bereichen sollen bei der Sitzung weiter herausgearbeitet werden. Auch könnten mögliche Lösungsansätze für den „Konflikt in der Ukraine“, so der Sprachgebrauch der beiden Machthaber, auf Initiative Lukaschenkas besprochen werden. Es werden keine weitreichenden Entscheidungen oder Ankündigungen erwartet, dennoch steht dieses Treffen unter besonderer Beobachtung – wegen der Ankündigung Wladimir Putins über die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus.
Am 25. März hatte der russische Präsident live im Staatsfernsehen angekündigt, er werde „den Bitten des belarusischen Präsidenten“ nachkommen und taktische Atomwaffen in Belarus stationieren. Bis zum 1. Juli sollen entsprechende Lagerstätten in Belarus gefunden oder gebaut werden – ein ambitionierter Zeitplan. Als Anlass für diese Entscheidung nannte Putin die angekündigten Lieferungen von Munition mit abgereichertem Uran aus Großbritannien an die Ukraine. Da diese Art von Munition nichts mit Kernwaffen zu tun hat, suchte der Kreml wohl nach einer Begründung für den nächsten Schritt der Einschüchterung des Westens durch eine mögliche nukleare Eskalation. Am 4. April bestätigte der russische Verteidigungsminister Schoigu die Übergabe eines atomwaffenfähigen Raketenkomplexes Iskander-M an Minsk und den Beginn der Ausbildung belarusischer Soldaten an den russischen Atomraketen, allerdings in Russland. Weitere Details, wie zum Beispiel die genaue Art der Atomwaffen sowie mögliche Fristen für die geplante Stationierung sind bisher nicht bekannt.
Kontrolle über Atomwaffen soll weiterhin bei Russland bleiben
Sowohl Wladimir Putin selbst als auch sein Sprecher Peskow machten eine klare Ansage in der Sache: Die Kontrolle über diese Waffen soll weiterhin bei Russland bleiben. So verstoße Russland nicht gegen den internationalen Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und wiederhole nur die Praxis der USA, die ihre Atomwaffen ebenso in anderen NATO-Staaten stationieren würden. Diese Vorgehensweise bestätigten das belarusische Außenministerium und der belarusische UN-Vertreter.
Der belarusische Machthaber Lukaschenka behauptete jedoch in seiner jährlichen Ansprache an die Bevölkerung wenige Tage nach dieser Ankündigung, dass die Kontrolle über in Belarus stationierte Atomwaffen bei Belarus liegen würde. Diese Rhetorik deutet möglicherweise darauf hin, dass die Entscheidung von Russland nicht mit Lukaschenka abgestimmt wurde und dem belarusischen Präsidenten bewusst ist, dass er dadurch immer tiefer in die Abhängigkeit vom Kreml getrieben wird – auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Lukaschenka bemüht sich seit kurzem verstärkt um weitere internationale Partner, um zu demonstrieren, dass er nicht vollkommen isoliert ist – so ist er vor kurzem nach China und Simbabwe gereist. Die Stationierung russischer Atomwaffen hat Auswirkungen auf Lukaschenkas Machtanspruch und seine Legitimation in der Bevölkerung. Die belarusische Gesellschaft unterstützt den letzten unabhängigen Umfragen zufolge immer mehr die Neutralität von Belarus. 80 Prozent der Befragten lehnen die Stationierung ausländischer Atomwaffen in Belarus ab.
Aggressive Rhetorik von Lukaschenka richtet sich gegen Litauen und Polen
Dabei hat Lukaschenka der Stationierung russischer Atomwaffen selbst den Weg bereitet – nicht nur durch sein offenes Angebot an Russland dazu, sondern auch durch die entsprechende Verfassungsänderung. So wurde beim inszenierten Verfassungsreferendum im Februar 2022, wenige Tage nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine, der neutrale und nuklearwaffenfreie Status von Belarus aus der Verfassung gestrichen. Seitdem bestand die Möglichkeit der Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus, und es war nur eine Frage der Zeit, dass sie von Russland ergriffen wird.
Auch wenn taktische Atomwaffen eine deutliche geringere Reichweite als strategische Atomwaffen haben, besteht bei ihrem Einsatz Gefahr für unmittelbare Nachbarn von Belarus, darunter NATO-Verbündete Litauen und Polen. Die aggressive Rhetorik von Lukaschenka richtet sich seit langem gegen diese beiden Länder, die nach der Zerschlagung der Proteste gegen Lukaschenkas Wahlbetrug im August 2020 und anschließenden Verschärfung der Repressionen im Land Tausende Oppositionelle, Menschenrechtler und politisch Verfolgte aus Belarus aufnahmen. Beide Staaten gelten als klare Unterstützer der Ukraine; Polen drängt regelmäßig zur Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus, wie zuletzt auch nach Putins Stationierungsankündigung.
Beim bevorstehenden Gipfel in Moskau wird Russland Belarus wohl weiter in die „Integration“, also in die Abhängigkeit, drängen. Als Gegenleistung könnte sich Lukaschenka weitere Aufschübe bei offenen Krediten und sonstige wirtschaftlichen Vorteile aushandeln. Es wird aber eng für den belarusischen Machthaber – trotz all seiner Bemühungen ist er außenpolitisch isoliert, und seine innenpolitische Autorität gegenüber dem Volk droht weiter zu schwinden, sollte Putin bei Lukaschenka die Übernahme weiterer militärischer und sicherheitspolitischer Lasten durchsetzen. Gleichzeitig wäre ein Machtwechsel in Belarus bei Stationierung russischer Atomwaffen noch unwahrscheinlicher, da Russland unter Vorwand der Nuklearsicherheit seine Militärpräsenz im Land verstärken würde und jederzeit eingreifen könnte. Ein Autokrat ohne reelle Macht – ist das die Perspektive von Aljaksandr Lukaschenka?
Anna Kravtšenko ist Projektleiterin in der Ukraine und Belarus.