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Türkei Bulletin
Kohlenwasserstoffabkommen mit Libyen

Wasserstoff

Libyen und die Türkei unterzeichnen Abkommen zur Erkundung von Kohlenwasserstoffen

© picture alliance / Zoonar | Andrey Nyrkov

Am 3. Oktober 2022 unterzeichnete der türkische Außenminister Mevlet Çavuşoğlu das Memorandum of Understanding in der libyschen Hauptstadt Tripoli. Es soll Grundlage für die gemeinsame Erschließung fossiler Brennstoffe in libyschen Territorialgewässern sowie auf libyschem Festland sein. Von libyscher Seite unterzeichnete Çavuşoğlus Amtskollegin Nadschla al-Mangousch, Außenministerin der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung der Nationalen Einheit.

Das Protokoll enthält zudem weitere Absichtserklärungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es fällt in eine Zeit, in der die Machtfrage in Libyen wieder offen ist. Der von der UN eingesetzte Interimsregierungschef Abdul Hamid Dbeiba in Tripoli müsste sich eigentlich längst Wahlen gestellt haben, die er allerdings auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben hat. Das im Osten des Landes tätige libysche Parlament unterstützt die dortige alternative Regierung und erkennt Dbeiba nicht als legitimen Regierungschef an – Parlamentssprecher Aguila Saleh sagte, dieser sei nicht befugt, internationale Vereinbarungen zu treffen. Die Türkei ist seit Jahren eine Unterstützerin der Regierung in Tripoli und hat durch ihre militärische Unterstützung wesentlich dazu beigetragen, dass Dbeiba und seine Unterstützer sich gegen die unter anderem von Ägypten, Saudi-Arabien und Russland unterstützten Rivalen unter General Haftar behaupten konnten.

Die aktuelle Vereinbarung zur Energieausbeutung hat allerdings nicht nur Kritik in Libyen selbst ausgelöst. International protestierten insbesondere Griechenland und Ägypten und teilten mit, sie würden sich jeder Aktivität in den umstrittenen Gewässern entgegenstellen. Bereits 2019 hatten die Türkei und Libyen ein Sicherheitsabkommen über eine gemeinsame Seegrenze geschlossen, das viel Protest in Griechenland und Zypern ausgelöst hatte, da beide Rechte auf eigene Territorialgewässer bedroht sehen. Die Türkei hatte damit Anspruch auf potentiell gasvorkommenreiche Bereiche im Mittelmeer angemeldet und eine exklusive Wirtschaftszone festgelegt. Im Anschluss hatte sie Drohnen an Tripoli geliefert, die offenbar entscheidend zu militärischen Siegen gegen die rivalisierende Regierung des Generals Haftar beigetragen haben.

Die EU hat anlässlich der aktuellen Vereinbarung erneut bekräftigt, dass sie das besagte Abkommen von 2019 nicht anerkennt, da es die Souveränität von Drittstaaten verletze und nicht konform mit dem Seerecht sei. Griechenland und Ägypten hatten 2020 ihrerseits eine gemeinsame Seegrenze und exklusive Wirtschaftszone festgelegt.

Der türkisch-libysche Vorstoß reiht sich  in zahlreiche taktische Bewegungen ein, mit denen Ankara seine Position im Mittelmeer zu behaupten und auszubauen versucht. Die Motivlage ist dabei komplex und der Anteil einzelner politischer Ziele schwer zu bestimmen. So kommt die Vereinbarung mit Libyen in einer Zeit, in der die bestehenden Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland um ihre Ansprüche und Rechte im Mittelmeer wieder einmal rhetorisch hochkochen. Beobachter sehen eine bewusste Eskalierung vor allem von türkischer Seite, die im Kontext der bevorstehenden Wahlen zu verstehen ist.

Libyen ist andererseits wichtiger Teil des türkischen Engagements auf dem afrikanischen Kontinent, das sich in den letzten Jahren sichtbar verstärkt hat, sei es diplomatisch oder wirtschaftlich, im Gesundheits- oder Bildungsbereich oder in der militärischen und Sicherheitszusammenarbeit.

Nicht zuletzt dürfte der weiterhin steigende Energiebedarf der Türkei dazu beitragen, dass die türkische Regierung sich Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasreserven sichern will. Obwohl das Land sich inzwischen den Klimazielen von Paris verpflichtet hat und im Bereich erneuerbare Energien beachtliche Fortschritte erzielt, setzt es zur Deckung seines Bedarfs auch weiter auf den Ausbau fossiler Energiegewinnung. Dies könnte sich mittelfristig ändern, wenn sich der Fokus im östlichen Mittelmeer im Zuge der europäischen Energiewende von der Gasförderung hin zur Wasserstofftechnologie verlagert. Im Idealfall könnten sich dadurch Kooperationsmöglichkeiten öffnen, die für alle Seiten einträglich sind und Rivalitäten um gasreiche Areale des Meeres den Boden entziehen. Kurzfristig ist ein solches Szenario jedoch nicht absehbar. Die Vereinbarung mit Libyen ist eine weitere Irritation in der konfliktträchtigen regionalen Gemengelage.