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Myanmar
Kann sich ein Land im Ausnahmezustand selbst ernähren?

Myanmar
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Myanmars weitgehend arme Bevölkerung musste innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahre gleich drei Schocks verkraften: Das Corona-Virus verbreitete sich innerhalb der lange ungeimpften Bevölkerung rasend schnell, angesichts des praktisch nicht existenten Gesundheitssystems forderte die Pandemie zahlreiche Todesopfer. Lockdowns unterbrachen wichtige nationale und internationale Lieferketten und trieben die Preise von Gütern in die Höhe, die für die Nahrungsmittelversorgung wichtig sind – darunter Düngemittel. Zudem verloren viele Menschen ihr Einkommen.

Anschließend ließ die eskalierende Gewalt nach dem brutalen Staatsstreich vom 1. Februar 2021 die Wirtschaft des Landes vollkommen zusammenbrechen. Nach der Niederschlagung friedlicher Proteste haben sich Tausende Junta-Gegner zum bewaffneten Kampf gegen das Militär entschieden. Viele junge Menschen schlossen sich bewaffneten ethnischen Rebellen an, die seit Jahrzehnten gegen das Militär kämpfen. 

Weite Landesteile befinden sich nun de facto im Krieg. Handel und Landwirtschaft sind stark eingeschränkt. Die Weltbank geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 um fast 20 Prozent geschrumpft ist. Hunderttausende Menschen, darunter auch viele Bauern, sind auf der Flucht oder von Transportwegen abgeschnitten. Sie können sich nicht mehr ausreichend um ihre Felder und Tiere kümmern. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) haben 2021 rund ein Viertel der Bauern ihre Anbaufläche reduziert.

Während diese Herausforderungen noch nicht ansatzweise bewältigt sind, schlägt nun die nächste Krise zu: „Eine in Teilen durch den Ukraine-Krieg ausgelöste globale Nahrungsmittelkrise ist eine ernste Gefahr für Myanmars Haushalte“, warnt das International Food Policy Research Institute (IFPR) in Washington.

Ein Viertel ernährungsunsicher

Der Preis für Speiseöl hat sich laut dem UN-Welternährungsprogramm im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als 80 Prozent erhöht. Auch Zwiebeln und Eier sind mehr als 50 Prozent teurer. Immerhin ist der Preisanstieg für den in Myanmar sehr wichtigen Reis mit 16 Prozent verhältnismäßig moderat. In manchen Regionen, insbesondere in den Konfliktgebieten, sind die Preisanstiege aber deutlich höher. Insgesamt gehen die UN-Helfer von derzeit rund 13,2 Millionen Menschen aus, deren Versorgung mit Lebensmitteln unsicher ist. Das ist mehr als ein Viertel der 54 Millionen Myanmaren. 

Die Zahl der Bedürftigen könnte sich noch weiter erhöhen. Denn weitere Preissteigerungen sind zu erwarten, insbesondere weil die Düngemittelpreise stark angezogen haben – laut der FAO liegen sie in Myanmar nun mehr als 3,5 mal so hoch wie noch 2019. Zudem haben viele Bauern keinen Zugang mehr zu qualitativ hochwertigem Saatgut.

Die Junta versucht vor allem, mit protektionistischen Mitteln die Versorgungslage zu verbessern. So verhängte sie beispielsweise ein Exportverbot von Pflanzen zur Speiseölerzeugung, wie Sesam und Erdnüsse. Gleichzeitig schränkte sie die Importe für Palmöl ein, um heimische Öl-Erzeuger zu unterstützen. Heimische Bauern werden mit vergünstigten Krediten für ausgewähltes Saatgut, unter anderem für die Öl-Pflanzen, unterstützt.

Ziel ist es, das Land autarker zu machen. Denn zwar exportiert Myanmar Nahrungsmittel wie Reis. Beim dem für Asiens Haushalte sehr wichtigen Speiseöl deckt Myanmar aber noch die Hälfte seines Verbrauchs über Importe ab, vor allem aus Malaysia und Indonesie,  die ihrerseits ihre Rohstoffexporte zeitweise einschränkten. Zusätzlich setzt Putschist und Machthaber Ming Aung Hlaing auf Durchhalteparolen: Die Bürger sollten einfach sparsamer sein.

Um den Verfall der Landeswährung Kyat zu stoppen, hat die Regierung außerdem massive Kapitalkontrollen verhängt und einen offiziellen Wechselkurs zum Dollar festgelegt. Auf dem Schwarzmarkt ist der Kyat jedoch weit weniger wert. Zudem müssen Einzelpersonen und Unternehmen US-Dollar sofort in die Landeswährung umtauschen. Das Ergebnis: Der internationale Handel ist weitgehend unrentabel geworden und bricht zusammen.

Modernisierung der Landwirtschaft gestoppt

Zudem hat der Putsch die Modernisierung der myanmarischen Landwirtschaft zum Stillstand gebracht. Ein Großteil der westlichen Investoren hat sich aus dem Land zurückgezogen, darunter auch der größte deutsche Investor, der Großhändler Metro. Auch als Produktions- und Beschaffungsstandort ist das Land angesichts der politischen Willkür uninteressant geworden. Westliche Unternehmen wollen nicht mit der grausamen Militärjunta in Verbindung gebracht werden und scheuen die Reputationsrisiken. Das gilt insbesondere für die Textilindustrie, in der Hunderttausende Frauen beschäftigt sind.

Es ist anzunehmen, dass die steigenden Preise den Zorn gegen die Militärmachthaber in weiten Teilen der Bevölkerung noch verstärken werden. Schon vor der Lebensmittelkrise waren viele Myanmaren wütend auf die Junta. Den überraschenden Putsch empfinden sie als unrechtmäßig. Eine öffentliche Diskussion darüber, wie die Zukunft des Landes aussehen und wie die Nahrungsmittelkrise überwunden werden soll, findet nicht statt: Die Junta hat unabhängige Medien verboten, das Parlament ist aufgelöst. Wohl hat das Militär für 2023 Neuwahlen angekündigt. Doch sollten diese tatsächlich stattfinden, dann sicherlich zu den unfairen Spielregeln des Militärs.

Wer gegen die Machthaber protestiert, riskiert sein Leben. Seit dem Staatsstreich haben Sicherheitskräfte laut der myanmarischen Vereinigung für politische Gefangene mehr als 2000 Menschen getötet. Zu Protesten gegen das Militär kommt es in den von der Armee kontrollierten Gebieten deswegen nur selten.

EU vollzieht Drahtseilakt

Angesichts der Brutalität der Militärführung ist das Land auch diplomatisch weitgehend isoliert. Die EU hat führende Militärs und deren Konglomerate sanktioniert. Gleichzeitig ist sie darauf bedacht, dass die einfache Bevölkerung unter den Sanktionen nicht leidet – ein schwieriger Drahtseilakt, der nur durch gezielte Maßnahmen gelingen kann und mit weiteren Sanktionen gegen die Elite fortgesetzt werden sollte.

Die westlichen Staaten haben zwar als Reaktion auf den Putsch ihre Entwicklungshilfe eingefroren. Humanitäre Hilfe leisten sie aber weiterhin. Die EU unterstützt Hilfsorganisationen in Myanmar dieses Jahr mit mindestens 27 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr stellte sie insgesamt 25 Millionen Euro bereit. 

Das UN-Welternährungsprogramm geht davon aus, dass es dieses Jahr rund vier Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln versorgen wird. Im vergangenen Jahr waren es nur drei Millionen. Noch benötigt es allerdings mehr Ressourcen für die geplanten Hilfen: Im Mai meldete die UN-Behörde, bisher nur die Hälfte der benötigten Zuwendungen für das Jahr 2022 eingeworben zu haben.

Ausländische Hilfsorganisationen haben aufgrund des Bürgerkrieges allerdings häufig nur begrenzten Zugang zu den Hilfsbedürftigen. Mal ist es wegen der Kämpfe zu gefährlich, mal verwehrt ihnen die Junta den Zugang oder erteilt die Erlaubnis nur äußerst kurzfristig. Das gilt insbesondere für Gebiete, in denen die Junta bereits die Kontrolle verloren hat und die nun von der bewaffneten Opposition kontrolliert werden.

Viele Beobachter fordern deswegen, zumindest an der Peripherie des Landes verstärkt mit bewaffneten ethnischen Organisationen zusammenarbeiten, beispielsweise der Karen National Union. Diese Gruppen kontrollieren großflächige Gebiete an Myanmars Grenzen, insbesondere zu Thailand. Im Laufe der Jahrzehnte haben diese Organisationen quasi-staatliche Strukturen aufgebaut, inklusive einer rudimentären Verwaltung sowie Ansätzen eines Gesundheits- und Bildungssystems. 

Mehrere dieser Organisationen haben außerdem enge Verbindungen mit der Schattenregierung National Unity Government (NUG), welche den Kampf gegen die Junta anführt und sich um internationale Anerkennung bemüht. Würde mehr Hilfe über diese Kanäle fließen, würde das auch die Position der Opposition stärken. Noch verhindert Thailand aber bedeutende Hilfslieferungen in diese Gebiete, um die diplomatischen Beziehungen mit Myanmars Militärmachthaber nicht zu belasten.

Die südostasiatische Staatengemeinschaft ASEAN ist im Verhältnis zu Myanmar gespalten. Während Staaten wie Indonesien und Malaysia die Junta nicht legitimieren wollen und sogar Kontakte zur NUG pflegen, halten Kambodscha und Thailand weiterhin Kontakt zu Myanmars Militärmachthabern. Derzeit scheint es nicht so, als könnte der Staatenbund Substanzielles zu einer Lösung des politischen Konflikts beitragen. Die Krisenzeit in Myanmar könnte noch mehrere Jahre andauern.

Frederic Spohr ist Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Thailand und Myanmar.

Dieser Artikel erschien erstmals im August auf welthungerhilfe.de. Den Beitrag können Sie hier lesen.