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China Bulletin
Taiwan-Wahlen 2024: Wer kann Krieg verhindern?

Democratic Progressive Party
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | ChiangYing-ying

Während Peking Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan schickt, bereitet sich die demokratisch regierte Insel auf die im Januar 2024 anstehenden Wahlen vor. William Lai tritt für die Democratic Progressive Party (DPP) als Präsidentschaftskandidat an. Gleichzeitig muss die Partei befürchten, bei den parallel stattfindenden Parlamentswahlen Stimmen und Sitze zu verlieren. FNF Referentin Yu-Fen Lai und NTU-Doktorand Da-wun analysieren für das FNF China Bulletin, wofür die Kandidaten stehen und was auf dem Spiel steht.

Am 13. Januar 2024 wählen die Taiwanerinnen und Taiwaner ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Der Wahlkampf findet in einer angespannten Lage statt. Peking hat in diesem Jahr mehrere groß angelegte Militärübungen durchgeführt und auch seinen Flugzeugträger eingesetzt, an einem Tag bis zu 103 Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan geschickt und eine Blockade der Insel simuliert. Deshalb steht in Taiwan im Wahlkampf eine Frage im Vordergrund: Wer kann einen Krieg verhindern?

Die amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen von der Democratic Progressive Party (DPP) darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Die DPP schickt den bisherigen Vize-Präsidenten William Ching-te Lai ins Rennen. Lai will "das Risiko eines bewaffneten Konflikts verringern, indem man den Einsatz und die Kosten einer möglichen Invasion für Peking erhöht". In seinem "Vier-Säulen-Plan für den Frieden" nennt er als ersten Punkt die Stärkung der Verteidigungskapazitäten. Zudem spricht Lai sich für die Förderung sicherer Lieferketten, die Bildung von Partnerschaften mit Demokratien und für ein Bekenntnis zum "Erhalt des Status Quo zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße" aus.

Die Spaltung des Oppositionslagers

Die Kuomintang (KMT) - die wichtigste Oppositionspartei Taiwans - hat Hou Yu-ih nominiert. Er ist derzeit Bürgermeister von Neu-Taipei City, der bevölkerungsreichsten Stadt Taiwans. Hou widmet sich weniger der Frage der militärischen Einsatzbereitschaft und will wieder Gespräche mit China aufnehmen. Er wirft der DPP vor, Peking provozieren zu haben. Die Volksrepublik hat während der Tsai-Regierung alle offiziellen Dialoge mit Taiwan ausgesetzt, was Hou auf angebliche Kompromisslosigkeit der DPP zurückführt.

Neben Lai und Hou gibt es mit Ko Wen-je von der neu gegründeten Taiwan People's Party (TPP) einen dritten Kandidaten. Ko, ein ehemaliger Chirurg, und seine Partei versprechen "eine neue Form der Politik". Ko sagte, dass Taiwan eine "Brücke zwischen den USA und China" werden sollte, anstatt "Spielball im Konflikt zwischen den USA und China" zu sein. Sowohl Hou als auch Ko liegen in den Meinungsumfragen hinter Lai zurück, oft mehr als 10 Prozent. Dies hat viele ihrer Unterstützer dazu veranlasst, eine gemeinsame Kandidatur zu fordern. Bis zum 24. November 2023 mussten die Kandidatenteams sich registrieren. In einem letzten Gespräch, das am Abend vor Ablauf der Frist live im Fernsehen übertragen wurde, gelang es beiden Seiten jedoch nicht, eine Einigung zu erzielen. Am nächsten Morgen gaben Ko und Hou jeweils ihre Vize-Präsidentschaftskandidaten bekannt und bestätigten damit die Spaltung des Oppositionslagers.

Als vierter Kandidat bewarb sich Terry Gou, der Gründer des Unternehmens Foxconn, dem weltgrößten Elektronikhersteller. Gou hatte sich erneut erfolglos um eine Nominierung zum KMT-Kandidaten bemüht, und trat als Unabhängiger an. Seine Positionen deckten sich weitgehend mit denen von Hou und Ko. Sein Unternehmen Foxconn hat viel in der Volksrepublik investiert. Es kam daher die Frage auf, ob Gou aufgrund seiner Geschäftsinteressen in China Peking verpflichtet sei. Zu Beginn seines Wahlkampfes verkündete er, dass Peking gerne sein Vermögen beschlagnahmen könne. Seitdem die Volksrepublik Steuer-Ermittlungen gegen Foxconn eingeleitet hat, ist Gou auffallend still geworden. Laut Umfragen wollen nur 10 Prozent der Wählerinnen und Wähler Gou unterstützen. Damit war er der schwächste der vier Kandidaten. Nachdem feststand, dass Ko und Hou nicht gemeinsam zur Wahl antreten würden, gab Terry Gou am 24. November bekannt, dass er seine Kandidatur zurück ziehe. Er begründete diesen Schritt damit,  dass er hoffe, so die Chancen für einen Machtwechsel zu erhöhen.

Staatsgeheimnisse und außereheliche Affären

Am 13. Januar wird außer dem neuen Präsidenten auch Taiwans neues Parlament gewählt. Das „Legislativ Yuan“ besteht aus 113 Abgeordneten. 73 Sitze gehen direkt an die Gewinner der 73 Wahlkreise. 34 Sitze werden per Verhältniswahlrecht vergeben. Die restlichen 6 Sitze sind für Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Völker Taiwans reserviert. Auch diese werden direkt gewählt. Alle 113 Abgeordneten haben eine Amtszeit von vier Jahren.

Der Wahlkampf der Abgeordneten wurde von Skandalen begleitet. Ma Wen-chun, eine Abgeordnete der oppositionellen KMT und Mitglied des Sonderausschusses für Außen- und Verteidigungspolitik, wurde  beschuldigt, Staatsgeheimnisse über das erste in Taiwan gebaute U-Boot verraten zu haben. Das könnte sie ihre Wiederwahl kosten. Chao Tien-lin, ein Abgeordneter der Regierungspartei DPP, hatte eine außereheliche Affäre mit einer Chinesin. Als das bekannt wurde, drehte sich die öffentliche Debatte vor allem um Fragen der nationalen Sicherheit. Chao zog seine Parlamentskandidatur zurück.

Unterschiede zu früheren Wahlen

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, bei Taiwans Wahlen sei entscheidend, wie sehr die Kandidaten für die taiwanische Unabhängigkeit oder für eine Vereinigung mit China sind. Sicherlich waren die Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik bei jeder Wahl in Taiwan das wichtigste Thema. Die Art und Weise, wie die Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße eine Rolle spielen, unterscheidet sich jedoch jedes Mal drastisch.

Bei Taiwans ersten freien Präsidentschaftswahlen 1996 hatte die Volksrepublik mehrere Raketentests durchgeführt. Doch die Einschüchterungstaktik ging nach hinten los: Damals konnte sich Lee Teng-hui von den Kuomintang als Kandidat positionieren, der am besten in der Lage sei, den Aggressionen Pekings entgegenzutreten. Die Wählenden sorgten sich darum, wer dem Druck der Volksrepublik am ehesten standhalten könne. Zwischenzeitlich, bei der Wahl 2012, wurden die taiwanisch-chinesischen Beziehungen vor allem durch die Linse der wirtschaftlichen Möglichkeiten betrachtet. Vor den jüngsten Wahlen 2020 hatte Peking kurz zuvor die Kontrolle über Hongkong weiter verstärkt. Deshalb war es den Wählenden wichtig, jemanden zu unterstützen, der den Mut und die Überzeugung hat, Taiwan davor zu bewahren, "das nächste Hongkong" zu werden. Präsidentin Tsai und ihre DPP gewannen.

Angesichts der häufigen Militärübungen Pekings und der zunehmend kriegerischen Rhetorik ähnelt die aktuelle Situation am ehesten der Situation von 1996. Doch während die Wählenden 1996 fragten, wer dem Druck der VR China am besten standhalten könne, geht es bei der Wahl 2024 vor allem um die Frage, wer einen Krieg mit China am besten verhindern könne.

Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass die DPP bei der Parlamentswahl nicht glänzen wird. Sollte die DPP die Präsidentschaft gewinnen aber gleichzeitig ihre Mehrheit im Parlament verlieren, stehen ihr vier schwierige Regierungsjahre bevor. Peking könnte versuchen, Hintertürchen zu den Oppositionsparteien zu etablieren, um die neue Regierung vom ersten Tag an zu umgehen und zu unterminieren.

Da-Wun Sie ist ein Doktorand in Soziologie an der National Taiwan Universität. Er arbeitet auch als freiberuflicher Journalist.

Yu-Fen Lai ist Programmreferentin für Digitale Transformation im FNF Global Innovation Hub in Taipei.

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