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China Bulletin
China vor dem Dritten Plenum der KPC: Ideologische Verhärtung und dominante Außenpolitik überschatten verhaltene Reformen

KPC
© picture alliance / Photoshot | -

Mit der dritten Plenarsitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) steht Ende 2023 eigentlich noch ein wichtiges Ereignis in der chinesischen Politik bevor. Im Rahmen des Dritten Plenums werden zentrale Zielsetzungen für Chinas Entwicklung in den kommenden Jahre festgesetzt. Ein Datum wurde noch nicht bekanntgegeben, möglicherweise ein Zeichen politischer Auseinandersetzungen um den weiteren Kurs. Trotz einer langsamen wirtschaftlichen Erholung nach Ende der harten Covid-Einschränkungen kann die Parteiführung etwas aufatmen. Nach einer Reihe von Steuererleichterungen und Förderprogrammen sowie der Einrichtung einer neuen Behörde für die Privatwirtschaft scheint sich die Lage zu stabilisieren.

Staats- und Parteichef Xi Jinping rief im Oktober die Privatwirtschaft auf, Unternehmertum zu fördern, um zur Entwicklung des Landes beizutragen. Doch trotz der Anreize und politischen Apelle kriselt es im Immobilienmarkt, die Investitionsbereitschaft sowohl aus dem Ausland als auch in China nimmt ab. Grund sind hierbei auch Zweifel am zukünftigen Verhältnis von Parteistaat und Privatwirtschaft. Neue Regulierungen und Stärkung des staatlichen Einflusses haben den Handlungsspielraum für Unternehmer eingeschränkt. Schnelle politische Kursänderungen, wie beispielsweise im Umgang mit Plattformunternehmen oder auch der Covid-Politik, sorgen für Verunsicherung.

Internationale Beobachter, die gehofft hatten, dass Xis dritte Amtszeit nach seiner Machtkonsolidierung endlich eine politische Entspannung mit sich bringen würde, sehen sich enttäuscht. Vielmehr spricht das Verschwinden des ehemaligen Außenministers Li Qiang Ende Juni sowie die Amtsenthebung weiterer Führungspersonen wie des Verteidigungsministers Li Shangfu für politische Volatilität. Beide galten als loyale Gefolgsleute Xis, die er selbst erst kürzlich in die Positionen gehoben hatte. Erklärungen blieben bislang aus.

All dies hat Auswirkungen auf die Bevölkerung, die mit größerer Skepsis auf die weitere Entwicklung schaut. Nach dem Wirtschaftsboom der vergangenen Dekaden blickt heute insbesondere die jüngere Generation mit Sorge auf den Arbeitsmarkt und Einkommen. Zukunftsängste sind ein zentraler Faktor in der weiter sinkenden Geburtenrate und wieder steigenden Nachfrage nach Wegen der Emigration. Gerade in diesen Zeiten wäre eine proaktive Sozialpolitik gefragt. Nicht nur der demografische Wandel stellt das Sozial- und Rentensystem auf den Prüfstand. Ähnlich wie in Deutschland und andernorts befeuern Digitalisierung und Plattformökonomie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Auch in China sind immer mehr Arbeitnehmende nicht fest angestellt – und fallen teils durch die Maschen des ohnehin schon dünneren Sicherungsnetzes.

Die anstehende Plenarsitzung wird zeigen, inwieweit Chinas Führung diese strukturellen Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft und Sozialpolitik angeht. Partei- und Staatschef Xi scheint zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts indes eher auf politische und ideologische Kontrolle als auf Reformen zu setzen. Seit Mitte des Jahres gab es immer wieder Appelle an Parteikader und Beamt:innen, sich auf extreme Szenarien vorzubereiten. Das Ministerium für Staatssicherheit zeigt ein stärkeres öffentliches Profil. Es läuft eine landesweite Kampagne, die vor ausländischer Unterwanderung und Spionen warnt – und kollektive Wachsamkeit beschwört.

Im Oktober verabschiedete China ein neues Gesetz zur patriotischen Erziehung, das Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt. Es verpflichtet nicht nur Bildungsstätten, sondern auch alle öffentlichen Behörden und Interessenverbände, die Liebe zum Land und zur Partei durch verschiedenste Maßnahmen zu fördern. Eltern sind explizit aufgefordert, ihren Kindern den korrekten Wertekompass zu vermitteln. Die Kampagnen zur patriotischen Erziehung laufen gleichermaßen in Hongkong, in der Hoffnung, dass die nächste Generation keinen Grund mehr sieht, für fehlgeleitete „westliche Werte“ auf die Straße zu gehen.

Diese Entwicklungen schränken den Bereich des Sagbaren weiter ein. Sie sind jedoch nicht unumstritten, und immer wieder kommt es zu offener Kritik. Ein Beispiel ist die geplante Änderung des Ordnungsstrafengesetzes. Der erste Entwurf hätte es der Polizei erlaubt, Strafen für Worte und Kleidung zu verhängen, die die „Gefühle der chinesischen Nation verletzen“. Dies löste eine öffentliche Debatte aus, viele nutzen die Gelegenheit, den Gesetzesentwurf über das Online-Portal von Chinas Legislative zu kommentieren. Der Passus wird so wohl nicht umgesetzt werden. Ein grundlegender Kurswechsel ist jedoch nicht in Sicht.

Während sich China ideologisch stärker abschottet, tritt das Land nach außen mit immer stärkerem Geltungsbewusstsein auf. In einem Weißbuch beschrieb die chinesische Führung ihre Vision für eine globale Zukunft, im Oktober folgte ein Plan für Chinas regionale Außenpolitik und das Verhältnis zu Nachbarstaaten. Ende Oktober feierte China mit einer Reihe internationaler Gäste – darunter Putin – das zehnjährige Bestehen der Seidenstraßeninitiative. Außerdem kam zu Chinas wachsendem Bündel an globalen Initiativen für Entwicklung, Sicherheit und Zivilisation nun noch die Globale Initiative zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz.

China will in allen Bereichen der Normensetzung führend sein, so scheint es. Auch nach Innen vermittelt die staatliche Propaganda ein Bild von China als verantwortungsvollem globalen Akteur und respektierter Weltmacht. Gleichzeitig reißt der Graben zwischen China und westlichen Staaten immer weiter auf. Insbesondere die anhaltend enge Bindung zwischen China und Russland, aber auch die Weigerung Pekings, die Hamas als terroristische Organisation einzustufen, verhindern de facto eine Zusammenarbeit in sicherheitspolitischen Fragen.

Im Gegenteil: Auch im Südchinesischen Meer geraten Chinas Küstenwache und Flotten immer wieder mit Booten anderer Staaten aneinander, die Chinas weitreichende Gebietsansprüche nicht anerkennen. Auch in der Taiwanstraße, wo Peking zuletzt seine militärischen Drohgebärden verstärkt hat, besteht das Risiko einer Eskalation in der. In Taiwan stehen Anfang 2024 Wahlen an, die aus China genau beobachtet werden.

Chinas Bürger:innen werden in Presse und Medienplattformen täglich mit staatlichen Positionen und nationalistischen Apellen versorgt. Sie haben nur sehr eingeschränkt Zugang zu internationalen Plattformen. Der offizielle Narrativ dominiert, auch wenn ihm nicht uneingeschränkt Glauben geschenkt wird. Trauerbekundungen um den plötzlichen Tod des ehemaligen Premierministers Li Keqiang wurden genutzt, um Kritik an dem politischen Kurs zu äußern. Viele teilten einen Ausspruch Li Keqiangs von Anfang 2022: „Chinas Reformen und die Öffnung werden nicht enden.“

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Katja Drinhausen leitet den Programmbereich Innenpolitik und Gesellschaft am Mercator Institute for China Studies (MERICS). In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Chinas politischem System, parteistaatlicher Ideologie, Zensur und gesellschaftliche Debatten, sowie Menschenrechten in China. Sie ist außerdem eine der Leiterinnen des Kooperationsprojektes China Spektrum.

China Spektrum ist ein gemeinsames Projekt des China-Instituts der Universität Trier (CIUT) und des Mercator Institute for China Studies (MERICS), mit Förderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. China Spektrum bietet Einblicke in Debatten und Positionen unter chinesischen Intellektuellen, Expert:innen und Bürger:innen.

In der nächsten Ausgabe des China Spektrum Report geht es um folgende Themen: Wie geht es weiter mit dem Rentensystem in Zeiten einer zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes? Wie blicken Chinesinnen und Chinesen auf den internationalen Ruf ihres Heimatlandes? Welche Möglichkeiten bietet die Kommunikationsplattform Xiaohongshu für zwischenmenschliche Kontakte zwischen China und Taiwan?

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