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Omikron-Welle in Hongkong:
“Zero Covid” um jeden Preis

Hongkong Corona Regeln

Mitarbeiter des Arbeitsministeriums patrouillieren mit einem Schild, das darauf hinweist, dass Versammlungen von mehr als zwei Personen im Bezirk Central in Hongkong verboten sind.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Emmanuel Serna

Familien, die nicht zusammen an einem Tisch essen dürfen, geschlossene Parks und drakonische Strafen: Die Hongkonger Regierung hat sich der Pekinger Linie angeschlossen, nicht von der “Zero Covid”-Politik abzurücken. Dabei sind die strengen Regeln in Zeiten von Omikron fast wirkungslos. Und es gab noch weitere Fehler.

Durch strenge Quarantäne- und Lockdown-Regeln konnte Hongkong in den vergangenen zwei Jahren Covid größtenteils im Zaum halten. Hongkong folgte als chinesische Sonderverwaltungszone dem Festland und konnte durch die „Zero Covid“-Strategie lange die Pandemie erfolgreich eindämmen. „Zero Covid“ hatte aber einen hohen gesellschaftlichen- und wirtschaftlichen Preis. Die 21-tägige obligatorische Hotelquarantäne für alle Ankommenden in Hongkong führte etwa dazu, dass der Status der Millionenstadt als internationales Wirtschafts- und Finanzzentrum schweren Schaden genommen hat. Internationale Firmen und deren Führung warnten lange davor, dass ein Beibehalten der strengen Quarantänevorschriften bedeuten würde, dass Firmen in andere asiatische Städte umziehen würden, die bereits wieder öffneten. Eine aktuelle Studie zeigt, dass mindestens ein Viertel der internationalen Firmen dabei ist, Hongkong zu verlassen.

Dann kam Omikron und die Situation in Hongkong lief völlig aus dem Ruder. Durch Omikrons hohe Ansteckungsrate waren auch noch so strenge Lockdown-Maßnahmen wirkungslos. Innerhalb des vergangenen Monats steckten sich in Hongkong über eine Million Menschen an, mehr als 7000 starben. Im Vergleich mit anderen Industrienationen hatte Hongkong plötzlich die höchste Sterberate pro Kopf.

Hongkong musste sich nach Pekings Vorgaben richten

Beim Kampf gegen Covid ging es in Hongkong um politische Ideologien statt um wissenschaftliche Fakten. Als Hongkongs Regierung und die Eliten der Stadt vorschlugen, nach westlichem Vorbild das Prinzip „Leben mit Covid“ zu adaptieren, wurden sie von Meinungsmachern des Festlandes als zu „westlich“ beschimpft. Da Hongkong sich an die „Zero Covid“-Strategie von China zu halten hatte, musste es mitansehen, wie viele andere internationale Metropolen als Beispiel Singapur oder Tokyo langsam wieder öffneten, während es selbst weder die Landesgrenze zu China noch die internationalen Grenzen öffnen konnte.

Diese zwei unterschiedlichen Herangehensweisen wurden für Hongkong zur Gretchenfrage: Ist man loyal zu Peking oder folgt man dem westlichen Modell? Die Antwort war klar: Hongkong musste sich auch bei der Bekämpfung von Covid nach den Vorgaben Pekings richten.

Parks und Strände blieben geschlossen, Jogger mussten Masken tragen oder Tausende Dollar Strafe zahlen und Schulen mussten wegen den vielen neuen Omikron-Fällen den Unterricht erneut einstellen. Vierköpfige Familien mussten an zwei getrennten Tischen zu Abend essen, obwohl alle unter demselben Dach leben. Trotz all dieser irrationalen Vorgaben trauten sich die Regierung sowie der „Legislative Council“, sozusagen das Parlament von Hongkong, nicht die „Zero Covid“-Strategie zu hinterfragen oder gar davon abzuweichen. Das zu tun, würde bedeuten, sich offen gegen die chinesische Führung zu stellen. Diese fand: Wenn Shanghai und Shenzhen harte Corona-Maßnahmen aushalten können, müsse das Hongkong auch.

Dazu kamen weitere Fehler in Hongkongs Corona-Strategie: die geringe Impfquote der älteren Bevölkerung und die geringe Wirkung der chinesischen Sinovac-Impfung. Die Bevölkerung von Hongkong traut der eigenen Regierung so wenig, dass sich viele nicht mit von offizieller Seite angebotenem Impfstoff immunisieren lassen wollten. Die Hongkonger Regierung weigerte sich, die geringere Wirkungsrate von Sinovac einzugestehen, etwa im Vergleich zu BioNtech, das auch für die Bevölkerung verfügbar war. Viele der Toten waren entweder nicht oder mit Sinovac geimpft.

Wie wäre es im „alten“ Hongkong abgelaufen?

Im “alten” Hongkong gäbe es keinen Zweifel, dass die Regierung freie Hand von Peking bekommen hätte, um die Pandemie zu bekämpfen. So war es mit SARS von 2003. Damals mischte sich Peking nicht in Hongkongs Vorgehensweise ein. Bei dem ursprünglichen Modell „Ein Land, zwei Systeme“, stünde das öffentliche Gesundheitswesen komplett unter der Autonomie der Regierung von Hongkong. Hätte die Regierung Strategien verfolgt, die unpopulär oder schlecht für die Wirtschaft wären, hätten sich Mitglieder des Legislative Councils dagegen ausgesprochen. Besonders die Abgeordneten des demokratischen Lagers hätten sich beschwert, bis sogar die Pro-Peking Parteien die Regierung aufgefordert hätten, den Kurs zu ändern. Andernfalls hätten sie große Verluste bei den nächsten Wahlen gemacht. Die Zeitungen „Apple Daily“ und „Stand News“ hätten die Regierung so lange bloßgestellt, bis der öffentliche Druck so groß geworden wäre, dass sie den Kurs hätten ändern müssen.

Im „neuen“ Hongkong gibt es diese Ventile und korrigierenden Kräfte nicht mehr. Die Regierung hat sogar zwei Personen wegen angeblicher Volksverhetzung verhaften lassen, die das Vorgehen der Regierung auf Social Media attackiert und hinterfragt haben sollen. In diesem neuen Polizeistaat gibt es nur wenige, die sich trauen, die Regierung in Frage zu stellen. Politische Rückendeckung bedeutet inzwischen alles in einer Stadt, in der einst der Rechtsstaat existierte. Das neue Hongkong steht nun fest unter der Kontrolle Chinas.

 

Dennis Kwok ist Senior Fellow an der Harvard Kennedy School. Er ist ehemaliges Mitglied des Legislativrats von Hongkong (2012 bis 2020).