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Krieg in Europa
Knappe Nahrung, teure Energie: Südasien leidet unter den Nebenwirkungen des Krieges

Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin

Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Press Information Bureau/Pib Pho

Der die Folgen des Ukrainekriegs treffen auch die Schwellenländer Südasiens. Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung findet ihre Perspektive Gehör.

Als in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 russische Militärfahrzeuge über die ukrainische Grenze rollen und Russlands Präsident Wladimir Putin seine Invasionspläne in einer Fernsehansprache verkündet, beginnt nicht nur für Europa eine Zeitenwende. Der Angriffskrieg erschüttert auch Regionen in Tausenden Kilometer Entfernung zu Kiew und Moskau. Die Schwellenländer Südasiens sind besonders betroffen: Auf die Lieferung von Getreide, Düngemitteln und Energieträgern ist plötzlich kein Verlass mehr. Jahrzehntelange Rüstungspartnerschaften werden in Frage gestellt. Und das ohnehin bereits angespannte geopolitische Umfeld stellt die Schwellenländer der Region vor zusätzliche Herausforderungen.

Für die internationale Gemeinschaft ist es von großer Bedeutung, die Kriegsfolgen für Südasien zu verstehen. Die Weltregion, zu der unter anderem Indien, Bangladesch, Pakistan, Nepal und Sri Lanka zählen, beheimatet rund zwei Milliarden Menschen – und damit ein Viertel der Weltbevölkerung. Sie fordert verständlicherweise mit zunehmender Vehemenz, in globalen Fragen Gehör zu finden. Zu Wort kamen Expertinnen und Experten aus Südasien Ende November bei Veranstaltungen der Friedrich-Naumann-Stiftung und der indischen Denkfabrik Centre for Policy Research, die die Auswirkungen des Krieges und die regionale Kooperation in den Fokus rückten.

Enorme Abhängigkeit von Energieimporten

Der Veranstaltungsort, die südindische Metropole Kochi, bekommt die Folgen internationaler Machtpolitik bereits seit langem direkt zu spüren. Anfang des 16. Jahrhunderts gründeten die Portugiesen in der Stadt die erste europäische Siedlung in Indien – und blieben dort, bis im 17. Jahrhundert die Niederländer und später die Briten die Kontrolle übernahmen. In diesem Jahr erlebte die Stadt im Bundesstaat Kerala, die einen von Indiens sechs Flüssiggasterminals betreibt, die Turbulenzen auf den globalen Energiemärkten: Europas Umstieg von Gas aus russischen Pipelines zu Flüssiggas machte den Rohstoff für Schwellenländer in Asien plötzlich unbezahlbar.

Der aus Sri Lanka stammende Energieunternehmer Lakmal Fernando, der sich für einen Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzt, wies bei der Gesprächsveranstaltung auf die enorme Abhängigkeit seiner Heimat von Energieimporten hin. Mit Blick auf plötzliche Preissteigerungen sei das Land deshalb extrem verwundbar. Getroffen wurde der Inselstaat in diesem Jahr mit voller Wucht: Das bereits zuvor finanziell angeschlagene Land konnte das Geld für die kostspieligen Importe nicht mehr aufbringen und schlitterte in die Staatspleite. Die Kaufkraft der Bevölkerung sank drastisch: Die Teuerungsrate lag zuletzt bei über 60 Prozent.

Peking versucht Vorstellung von einer neuen Weltordnung voranzutreiben

Soumya Chaturvedi, Senior Research Fellow bei der Denkfabrik India Foundation, verwies auf die Probleme, die der Krieg für die Lebensmittelversorgung in Indien verursachte. Das Land sei sowohl auf Düngemittellieferungen als auch auf die Versorgung mit Speiseöl aus Russland und der Ukraine angewiesen, sagte sie. Bei beidem kam es nach dem russischen Einmarsch zu Störungen in den Lieferketten. Auch Needrup Zangpo, Chef der Bhutan Media Foundation, berichtete von erheblichen wirtschaftlichen Problemen, die bis in das 800.000 Einwohner große Königreich im Himalaja zu spüren sind.

Tenzin Lhadon, Forscherin am Tibet Policy Institute, legte ihren Fokus auf die Rolle Chinas: Die Regierung in Peking versuche die Situation zu nutzen, um ihre Vorstellung von einer neuen Weltordnung voranzutreiben. Offen sei, wie sehr China tatsächlich profitieren könne. Auch in Indien sorgt man sich vor einer gestärkten Russland-China-Allianz.

Trotz ähnlicher Betroffenheit fielen die politischen Reaktionen Südasiens auf den Ukrainekrieg sehr unterschiedlich aus: Bei Abstimmungen zu UN-Resolutionen, die Russlands Vorgehen verurteilten, enthielten sich Indien, Pakistan und Sri Lanka. Die Staaten pflegen enge Kontakte zur Regierung in Moskau – im Fall Indiens reichen diese Jahrzehnte zurück. Aus strategischer Sicht sind diese für Indien besonders deshalb wichtig, weil die indische Armee auf die Versorgung mit russischen Rüstungsgütern angewiesen ist. Indien lehnt auch eine Teilnahme am Embargo von russischen Energieträgern ab – und stieg in diesem Jahr zum größten Abnehmer von russischem Rohöl hinter China auf. Die Regierung in Neu-Delhi begründete dies damit, dass die Energieversorgung der Bevölkerung für sie Priorität habe.

Kleinere Staaten müssen als eigenständige Stimme wahrgenommen werden

Auch Bangladesch enthielt sich zunächst bei Abstimmungen über den russischen Angriffskrieg. Zuletzt stimmte das Land in der UN-Vollversammlung aber einer Verurteilung der russischen Annexionsversuche in der Ostukraine zu. Auch Nepal, die Malediven und Bhutan unterstützten die russlandkritischen Erklärungen – das Eintreten für die Unverletzlichkeit der Grenzen ist für die kleineren Staaten von besonders großer Bedeutung.

Binoj Basnyat, ein ehemaliger Generalmajor der nepalesischen Armee, betonte, wie wichtig es ist, kleinere Staaten als eigenständige Stimmen wahrzunehmen. Der Ukrainekrieg verdeutliche die Gefahr, dass Großmächte schwächeren Ländern kaum eine Wahl lassen, als sich ihrer Politik anzuschließen. Die Herangehensweise kleinerer und größerer Staaten beschrieb er als grundlegend verschieden: Großmächte würden in ihrem Eigeninteresse handeln, Kleinmächte auf der Grundlage des internationalen Rechts und ihrer Wertesysteme. Das Spannungsfeld berge das Risiko wachsender Ressentiments, wenn sich kleinere Länder nicht mehr fair behandelt fühlten.

Sein Landsmann, der nepalesische Politologe Bipin Ghimre, vertrat die Ansicht, dass ein gemeinsames Auftreten der südasiatischen Länder der Region helfen würde, ihre Interessen besser zu vertreten und einen Beitrag zur globalen Stabilität zu leisten. Bisher sei das der Region aber nicht gelungen – zumindest mit Blick auf Russland zeichnet sich keine gemeinsame Linie ab.