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Policy Paper

Russland - YouTube und globale Plattformen

Seit Anfang der 2000er-Jahre ist der Kreml fest davon überzeugt, dass das Fernsehen kein Massenmedium, sondern eine mächtige Waffe ist und daher staatlich kontrolliert werden sollte; so war es auch in all den Jahren mit Putin an der Macht.

Gegen Ende der 2010er-Jahre hat das Internet das Fernsehen als beliebtestes Medienformat in Russland verdrängt. In diesem Zeitraum wurde auch das russischsprachige YouTube politisch: Bekannte Blogger fingen an, politische Inhalte zu produzieren, Oppositionspolitiker wurden zu den populärsten YouTubern und auch Mainstream-Journalisten wanderten zu dieser Plattform über – verursacht durch den Covid-19-Lockdown, als die Nachfrage nach russischsprachigen Inhalten auf YouTube in die Höhe schnellte.

Daher war es wenig überraschend, dass YouTube zu Beginn des Krieges zur wichtigsten „Kampfzone“ für unabhängige russische Journalisten wurde, einschließlich derer, die das Land verlassen hatten. Aber auch YouTube wurde vom russischen Propagandaapparat jahrelang mit großer Wirkung genutzt. Aus diesem Grund zögerte die russische Regierung auch, YouTube zu blockieren – im Unterschied zu anderen globalen Plattformen, die von der Zensurstelle des Kremls unmittelbar nach Kriegsbeginn gesperrt wurden. Das hat russischen Nutzern Zeit gegeben, sich an die neue Situation anzupassen und Tools zur Umgehung der Zensur zu implementieren. Die andere Plattform, die nicht sofort blockiert wurde, war Telegram, und auch die russischen Journalisten haben sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, um mit ihrem Publikum in Verbindung zu bleiben.

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Die Strategie des Kremls

2018 wurde dem Kreml bewusst, dass die russischen Zensurbehörden einen neuen Ansatz brauchen, um mit der Herausforderung fertig zu werden, die durch YouTube gewachsen ist. Bereits im November 2017 wies der Sicherheitsrat der Russischen Föderation das Kommunikationsministerium an, „Vorschläge für die Schaffung und Umsetzung eines staatlichen Informationssystems zur Gewährleistung der Integrität, Stabilität und Sicherheit des russischen Segments des Internets sowie für Ersatz-Root-Server für nationale Domain-Namen auf höchster Ebene vorzulegen.“ Der Sicherheitsrat warnte: „Eine ernste Bedrohung für die Sicherheit der Russischen Föderation geht von den zunehmenden Fähigkeiten westlicher Länder aus, offensive Operationen im Informationsraum durchzuführen, und von der Bereitschaft, diese umzusetzen.“

Vordergründig wollte der Sicherheitsrat das russische Internet zukunftsfähiger und unabhängiger machen. Tatsächlich aber strebte der Kreml ein fortschrittlicheres System zur Kontrolle des Internets im ganzen Land an.

2018 legte der Kreml dann ein völlig neues Konzept zur Erreichung dieses Ziels vor. Die Idee wurde von der Präsidialverwaltung entwickelt (genauer von Abteilung für die Anwendung von Informationstechnologien und die Entwicklung der elektronischen Demokratie, unter der Leitung von Andrei Lipov).

Die Abteilung von Andrei schlug vor, alle russischen Internetprovider mit speziellen Geräten auszustatten, mit denen die Zensurbehörden den Datenverkehr, einschließlich des Datenverkehrs globaler Plattformen wie YouTube, im ganzen Land von einem zentralen Punkt in Moskau aus unterdrücken und umleiten können – alles zur Verfügung gestellt und bezahlt vom Staat. Der Plan wurde als das System des Souveränen Internets bekannt und wurde im Mai 2019 als Gesetz verabschiedet.

Der zweite Teil des Plans bestand darin, russische Nutzer dazu zu bringen, von ausländischen auf russische Internetdienste umzusteigen. Dieser Ansatz wurde als Importsubstitution von Informationstechnologien bekannt.

Der Plan war facettenreich: Er umfasste die Einführung einer Sondergesetzgebung – das Gesetz über die Vorinstallation von Apps (welches Smartphone-Hersteller verpflichtet, in Russland hergestellte Apps auf den in Russland verkauften Smartphones vorzuinstallieren), das im November 2019 verabschiedet wurde, aber erst im Dezember 2020 in Kraft trat. Dazu gehörte auch die vom Kreml gesponserte Kampagne zur Unterstützung und Förderung russischer Alternativen zu globalen Plattformen.

Der neue Ansatz enthielt zudem zwei weitere wichtige Elemente:

  1. Erhöhter Druck auf globale Plattformen – einschließlich der Verhängung hoher Geldstrafen, Einschüchterung von Mitarbeitern, direkten Drohungen und Forderungen.
  2. Zusammenarbeit mit bekannten YouTube-Bloggern, um sie zum Umstieg auf die russischen Plattformen zu bewegen, gepaart mit direktem Druck auf populäre Blogger mit oppositionellen Ansichten, damit diese das Land verlassen.